Über
SITOR¹
und anderes
Dass
die Morsetelegraphie ihrem Wesen nach eine manuelle Übertragungsart
war, ist selbstverständlich. Weniger offenkundig ist die Tatsache,
dass sich die Morsetelegraphie mit den damaligen technischen Mitteln in
das damals einzige Datennetz, TELEX, nicht einbinden ließ. Die Telegraphie
selbst mittels Morsezeichen hat sich nun durchaus automatisieren lassen,
wie eine Reihe von Decodern, die auf dem Markt waren, bewies. Die Sendeseite
hat sich seit Creed, dem Lochstreifenabtaster, schon seit vielen Jahrzehnten
automatisieren lassen.
Einer
der Gründe, von der Telegraphie mittels Morsezeichen abzugehen liegt
darin, dass das Morsealphabet keine Redundanz besitzt. Redundanz : „Weitschweifigkeit“,
durch einen „Überschuss“ an Elementen die Übertragungssicherheit,
hier auf der Funkstrecke, zu verbessern. Dass das Morsealphabet
nicht redundant ist, erkennt man darin z.B. dass das Morsezeichen
„B“ durch ein zusätzlich empfangenes Element zu „6“ wird und so weiter.
. Die Verfahren zur Sicherung einer Übertragung haben ihren
Ursprung in der Informationstheorie, nämlich, dass eine Übertragung
umso sicherer wird, je mehr der verwendete Code „überflüssige“
bit hat. Für eine gesicherte Übertragung auf dem Funkweg eignet
sich der ebenfalls nicht-redundante 5 bit-Code des TELEX-Systems genau
so wenig wie der Morsecode. Immerhin hat sich der TELEX-Dienst über
Kabel über Jahrzehnte ohne redundanten Code als äußerst
zuverlässig gezeigt, sodass es nahelag, eine Funkübertragung
zu konzipieren, die in den TELEX-Übertragungsweg hineinpasst, ohne
die Übertragungssicherheit zu verschlechtern. Eine Automatisierung
musste deshalb vor allem die Übertragungssicherheit gegenüber
der Morsetelegrahie dramatisch verbessern und eben auch einen automatischen
Betrieb, d.h. ohne Personal ermöglichen.
Eines
der Verfahren, TELEX-Signale gesichert über eine Funkstrecke zu übertragen
ist vor einigen Jahrzehnten von Philips im festen Funkdienst eingeführt
worden. Die Philips-Informatiker hatten sowohl theoretisch als auch im
praktischen Betrieb herausgefunden, dass eine Redundanz von 2 zusätzlichen
bit eine ausreichende Übertragungssicherheit bei der Funkübertragung
von TELEX-Zeichen ergibt. Dieses Verfahren ist leicht verändert im
SITOR-Verfahren eingesetzt worden. Die beiden zusätzlichen bit werden
benutzt, um ein festes Verhältnis von 0- zu 1-bits zu erzeugen, bei
SITOR ist diese „Parität“ konstant 3 zu 4. Dadurch erhält man
ein „fehlererkennendes System“, „foreward detecting system“, FED.
Andere
Firmen benutzten andere Algorithmen, um die Übertragungssicherheit
zu verbessern. Marconi hatte nach meiner Erinnerung sogar einen 10-bit-Code
vorgestellt, der Fehler auf dem Übertragungsweg nicht nur erkennen,
sondern sogar beseitigen konnte. Dieses System ist ein „fehlerkorrigierendes
System“, „foreward correcting system,“ FEC.
Die
heute als anachronistisch anmutende Entscheidung für das TELEX-Netz
fußte auf der Überlegung, dass bis in die jüngere Vergangenheit
nur das TELEX-Netz für die Datenübertragung weltweit vorhanden
war. M.W. verfügen in Europa auch heute noch eine ganze Reihe von
Firmen über einen TELEX-Anschluss. (Ende 2006 in der Schweiz 300 Teilnehmer
!). Modernere Daten-Netze existierten damals nur in den klassischen Industrieländern
und sind auch heute in Drittländern noch nicht die Regel. Damit war
der Zeichenvorrat auf den des TELEX-Netzes beschränkt, genau so wie
die heute lächerlich anmutende Übertragungsrate von ungefähr
400 Zeichen in der Minute.
Für
den geringen Zeichenvorrat des TELEX-Netzes mit den 5 bit-Signalen genügte,
wie gesagt, die Erweiterung um 2 zusätzliche bit, um den Code „prüfbar“
zu machen, d.h. Fehler auf der Funkstrecke erkennen zu können.
SITOR
ist ein Simplex-System, in dem zur Zeit nur eine der beiden Übertragungsrichtungen
zur Zeit bedient werden kann. Zeitgleich hatte Siemens ein echtes Duplex-Verfahren
– ARQ 1a - vorgestellt und auf dem Atomschiff „Otto Hahn“ betrieben. Das
Verfahren konnte sich nicht durchsetzen, weil die Sende- und Empfangskanäle
als Telegraphiekanäle in der „administrativen“ Modulationsart F1 so
eng beieinander lagen, dass Duplex-Betrieb als Telegraphieverfahren nicht
möglich war. Für die „Otto Hahn“ gab es eine Ausnahmegenehmigung.
SITOR konnte sich durchsetzen weil es ein Simplex-Verfahren war, das mit
geringem Abstand von Sende- und Empfangsfrequenz auskommt und, wenigstens
theoretisch, für Senden und Empfang die gleiche Frequenz benutzen
konnte.
Das
Verfahren
Das
TELEX-Signal wird dem SITOR-Gerät zugeführt und gespeichert.
Vor der Aussendung wird aus dem 5 bit-Signal des TELEX-Netzes das 7 bit-Signal
der SITOR-Übertragung hergestellt, wie gesagt, mit prüfbarer,
d.h konstanter Parität 3 zu 4.
SITOR
kann in zwei unterschiedlichen Modi betrieben werden:
a)
Im FEC-Verfahren, wobei die Fehlerkorrektur durch die Wiederholung von
als falsch erkannten Zeichen geschieht, ARQ von automatic request,
und
b)
Im FED-Verfahren, in dem als falsch erkannte Zeichen als solche gekennzeichnet
werden.
Der
Nachrichtenaustausch zwischen zwei Stellen geschieht im ARQ-Modus, einseitige
Dienste, wie Anrufe und Mitteilungen an CQ im FED-Modus.
Der
Simplex-Betrieb ordnet Sende- und Empfangsseite im ARQ-Modus unterschiedliche
Blocklängen zu: Gesendet wird die Nachricht in dreier-Blöcken
zu je 7 bit, die Empfangsseite quittiert mit einem einzigen 7 bit-Signal.
Der
gesamte Ablauf im zweiseitigen ARQ-Betrieb (automatic request)
Gerufen
wird mit Hilfe eines Anrufblocks, der das „Rufzeichen“ der angerufenen
Stelle (zunächst 4, später 5 Ziffern, auch MMSI) enthält.
DAN hatte nach meiner Erinnerung das SITOR-Rufzeichen 2805. Mit dem Empfang
der Antwort auf den Anruf beginnt das Einphasen. Dies ist notwendig, weil
SITOR mit festem Takt arbeitet - im Gegensatz zum TELEX-Betrieb,
der im Start-Stop-Betrieb arbeitet, also von einem Takt unabhängig
ist -. Die rufende Stelle bleibt „Master“ und gibt den Takt und das Verfahren
vor. Die angerufene Stelle bleibt „Slave“ und wird vom „Master“ kontrolliert.
Der
„Master“ beginnt mit der Übertragung und gibt die Sendeberechtigung
nach dem ersten Durchgang mittels eines „bk“-Signals (+?) an den „Slave“.
Dieser gibt ebenfalls mit dem „bk“-Signal die Sendeberechtigung an den
„Master“ zurück. Auf diese Weise wechselt die Sendeberechtigung
fortlaufend zwischen „Master“ und „Slave“. Ob die angebotene Nachricht
aus dem TELEX-Netz stammt oder zum Verständigungsverkehr der Funker
auf beiden Seiten gehört, spielt im Grunde keine Rolle. Nach internationaler
Gepflogenheit wird die Übertragung einer Nachricht, die über
das TELEX-Netz befördert wird, mit der Zeichenfolge zczc eingeleitet
und mit nnnn bendet.
Die
jeweils sendende Stelle sendet im ARQ-Modus die zugeführte TELEX-Nachricht
in Blöcken zu je 3 TELEX-Zeichen. Jedes 7bit-Zeichen arbeitet
mit der bit-Länge von 10 ms, dauert also 70 ms, der dreier-Block mithin
210 ms. Die Verkürzung der bit-Länge von 20 ms (50 Baud) des
TELEX-Codes auf 10 ms (100 Baud) des SITOR-Codes ist nicht nur wegen der
um 2 bit längeren Zeichen notwendig, sondern auch weil zusätzlich
Zeit für die Quittung benötigt wird und auch die Zeit berücksichtigt
werden muss, die Nachricht und Quittung auf der Funkstrecke benötigen.
Nach
der 210 ms dauernden Aussendung der Nachricht im 3er-Block schaltet sich
der Sender ab und gibt den Weg für einen ungestörten Empfang
des Quittungssignals frei. Theoretisch könnte man, wie schon gesagt,
für Senden und Empfang die gleiche Frequenz benutzen. Tatsächlich
wurde aber der Empfänger nach dem Sperren des eigenen Signals nicht
schnell genug wieder „offen“.
Die
jeweils empfangende Stelle prüft nach dem Empfang jedes Blocks,
ob für jedes Zeichen die Parität 3 „Space“ zu 4 „Mark“ erhalten
geblieben ist. Je nach Ergebnis sendet sie ein entsprechendes Quittungssignal.
Quittiert sie „ok“, setzt die dann wieder sendende Stelle die Nachrichtenübertragung
fort. Quittiert sie „no ok“ wiederholt die zuvor sendende Stelle den als
fehlerhaft erkannten Block. Die Verbindung wird auf stand-by zurückgeschaltet,
wenn nach einer festgesetzten Anzahl von Wiederholungen immer noch kein
„ok“ gesendet wird. In der Anlage an der Hamburger Schule war sie m.W.
auf 14 Wiederholungen eingestellt.
Anders
im FED-Betrieb, der ohne Gegenstelle arbeitet: Genau wie im ARQ-Betrieb
muss die empfangende Stelle „eingephast“ werden. Wenn man den Beginn des
Einphasens verpasst hat, muss man die Wiederholung des Einphasungssignals
abwarten, das von Zeit zu Zeit eingestreut wird. Diese Einfügung ist
notwendig, um Übereinstimmung zwischen dem Takt der SITOR-Übertragung
mit 70 ms-Zeichenlänge und dem Takt des TELEX-Signal mit 170 ms-Zeichenlänge
(5 Signal-bit, 1,5fach verlängerter Startschritt und 2fach verlängerter
Stopschritt) aufrecht zu erhalten. Auch hier wird die angebotene TELEX-Nachricht
auf 7 bit-Signale umgesetzt. Zur Sicherheit wird jedes einzelne Zeichen
im Abstand von 280 ms wiederholt. Wird in der Erstaussendung ein Fehler
entdeckt, wird die Zweitaussendung abgewartet. Wird sie dann als fehlerfrei
erkannt, wird das Zeichen zum Druck freigegeben. Ohnehin wird erst nach
Empfang des duplizierten Zeichens der Druck freigegeben. Wird sowohl
in der Erstaussendung des Zeichens als auch in der 280 ms späteren
Wiederholung ein Fehler entdeckt, wird ein „Schmierzeichen“ gedruckt, meistens
eine Leertaste.
Die
gleiche Technik wie im (einseitigen) FED-Betrieb wird auch im Navtex-Verfahren
verwendet. Zur Erinnerung: Navtex ist der vollständig automatisierte
Warndienst, der auf 518 bzw. 490 kHz weltweit betrieben wird.
Zur
Technik der Funkstrecke
Das
SITOR-Signal wird in der Modulationart F1abgestrahlt. Die Eckfrequenzen,
„Mark“ und „Space“ zugehörig, liegen symmetrisch zur (administrativen)
Mittenfrequenz, die von Amts wegen „zugeteilte Frequenz“ genannt wird.
Die eine der beiden „logischen“ Eckfrequenzen liegt 85 Hz niedriger als
die „zugeteilte“ Frequenz, die andere „logische“ Eckfrequenz 85 Hz höher
als die „zugeteilte“ Frequenz. Der Hub von 170 Hz stammt aus der Technik
der Alliierten im zweiten Weltkrieg und hat sich über die riesigen
Surplus- Bestände verbreitet. Ungesicherter Funkfernschreib-Betrieb
ist schon bald nach dem Krieg von Funkamateuren betrieben worden.
Um
nicht neue Sender für die Modulationsart F1 beschaffen zu müssen,
ist man den Weg über die SSB-Technik gegangen: Ein SSB-Träger
wird mit 1415 Hz bzw. 1585 Hz moduliert, die zu den logischen Zuständen
„0“ und „1“, „Space“ und „Mark“, gehören. Folglich liegt die Sendefrequenz
um die Mittenfrequenz 1500 Hz höher als die „zugeteilte Frequenz“.
Im Seefunk werden im SSB-Betrieb sowohl der
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Träger
als auch das untere Seitenband unter- drückt. Der SSB-Sender sendet
deshalb im SITOR-Betrieb im Rhythmus der 7 bit-Signale abwechselnd auf
einer Frequenz, die 1415 Hz und 1585 Hz über dem (nicht mehr vorhandenen)
Träger liegt. Damit ergibt sich ein Frequenz- spektrum, das mit Ausnahme
der Reste von Träger und unterem Seitenband nahezu ein F1-Signal ist.
Sinngemäß werden im Empfänger die Tonfrequenzen 1415 Hz
und 1585 Hz wie jedes SSB-Signal im Überlagerungsverfahren zurückgewonnen. |
Administrativ
arbeitet SITOR in der Modulationsart F1B, technisch ist es die Modulationart
A 7J. ( A = Amplituden-Modulation, 7 = Datenübertragung, J = Einseitenband-Modulation
ohne Träger). Die Modulationsart A7J unterscheidet sich von der „echten“
Modulationsart F1 durch die Reste von Träger und unterem Seitenband,
die allerdings im praktischen Betrieb keine Rolle spielen.
SITOR
im Seefunk
Die
deutsche Reederschaft hat sich nie sonderlich für SITOR erwärmen
können. Hapag-Lloyd sagte damals : „…was zu schreiben ist, geht über
die Agenturen. Die Schiffe interessieren uns nicht…“. Andere Reedereien
hatten während der halbjährigen Garantiezeit große Probleme
mit dem „wachfreien“ Maschinenbetrieb, die fast ausnahmslos nur über
die TELEX-Verbindungen ohne zusätzliche Liegezeiten gelöst werden
konnten. Trotzdem haben sie SITOR in der Folgezeit nicht oder kaum eingesetzt.
Lange
Jahre hat sich die IMO für die Einführung des Funkfernschreibverfahrens
aus Sicherheitsgründen stark gemacht, um den Sprachschwierigkeiten
zu entgehen. Geblieben ist als Option wenigstens die theoretische Möglichkeit,
den Notverkehr über Funkfernschreiben abzuwickeln, denn SITOR ist
Bestandteil des GMDSS. Nachteilig ist nach meiner Beobachtung die umständliche
Bedienung der Anlage. (PC-Technik !).
Die
neueste Entwicklung in der Nachrichtenübertragung über See (neben
INMARSAT) ist von den vielen Tausend Weltumseglern vorangetrieben worden.
Seit vielen Jahren gibt es ein Netz der Weltumsegler auf Frequenzen des
Amateurfunks, das sich sehr bewährt hat. So ist ein Übertragungssystem
entstanden, das eMail-Verkehr zwischen Schiff und Land erlaubt. Wie
in SITOR-Systemen werden auch hier die nach wie vor vorhandenen SSB-Frequenzen
des Seefunks in allen KW-Bändern benutzt. Daraus hat sich eine neue
Organisation gebildet, die eMail-Küstenfunkstellen in der ganzen Welt
- mit Ausnahme der US-Ostküste - betreibt. In Deutschland ist es die
neue Küstenfunkstelle Kiel Radio mit dem alten Rufzeichen DAO. Inzwischen
wird dieser Dienst auch der Berufsschiffahrt angeboten. Nachteilig ist
natürlich die Beschränkung auf eine einzige Übertragungsart.
Hierüber in einem späteren Beitrag mehr. Wer neugierig
ist, kann vorher schon Kiel Radio über Google anklicken. Das ganze
Spektrum der technisch möglichen Übertragungsarten bietet natürlich
INMARSAT. Welche der denkbaren Möglichkeiten von INMARSAT genutzt
werden können, hängt vom Vertrag zwischen dem Reeder und INMARSAT
ab. Einfach mal INMARSAT anklicken!
¹SITOR
Abkürzung für: Simplex Telex over Radio
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