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Vor
Jahrzehnten gab es noch eine ansehnliche und moderne Hochsee-Fischereiflotte.
Deutsche Fischereifahrzeuge waren vom Englischen Kanal bis Spitzbegen,
von Neufundland bis zur Barentssee zu finden. Hemmnisse durch erweiterte
Hoheitszonen oder Fangquoten kannte man noch nicht. Es zählten nur
die Menge der gefangenen Fische und der damit verbundene Auktionserlös
an einem der Fischmärkte. Ich fuhr damals als Funker auf der ALEMANNIA,
einem ölbefeuerten Fischdampfer von 649 BRT und fast 5000 Ztr.
Laderaumkapazität. An der Spitze der 36 Mann Besatzung stand Kapitän
Karl Schumacher. Am 29. März 1957 befanden wir uns seit zwei Tagen
ganz allein östlich von Angmagssalik (Ostgrönland) und fischten
hart an einer nördlich von uns gelegenen Packeisgrenze. Es wehte
ein eisiger Nordsturm, der uns mit Stärke 9 direkt vom Packeis her
mit arktischem Seerauch, Nebelfetzen und Nieselregen um die Ohren blies.
FD "Alemannia"/DFAW 1957 Der Autor in der Funkstation.Zu erkennen sind folgende Geräte: Oben links: HAGENUK KW-Sender KS-300 Rechts daneben: Modulator M-300 Links darunter:GW-Sender GS-100 Hinter dem Kopf des Autors: Netzteil N-351/1 Darunter: Netzteil N-351/2 Rechts oben: Sichtfunkpeiler der Fa.Plath |
Der
Seegang war dabei, bedingt durch die unmittelbare Nähe des Eises,
so niedrig, daß wir trotz des Sturmes noch fischen konnten. Ansonsten
ist das bei dieser Windstärke mit entsprechendem Seegang meist nicht
mehr möglich. Die Fischdampfer waren damals noch durchweg Seitenfänger,
die beim Netzeinholen quer zur See lagen. Die dadurch oftmals überkommenden
Brecher haben vielen Seeleuten zu unfreiwilligen Bädern verholfen,
wobei leider auch mancher gute Mann für immer über Bord gewaschen
wurde. Auch für unsere Matrosen auf der ALEMANNIA war die Arbeit an
Deck an diesem Tag alles andere als ein Vergnügen. Peitschte ihnen
doch dieses naß-eisige Gemisch mit Sturmstärke in ihre
Gesichter. Alle waren aber schon lange an Bord, Kummer gewöhnt
und hart im Nehmen.
Foto
rechts:
Die Funkstation der "Alemannia"/DFAW aus einer anderen Pespektive. Links oben, neben dem Autor mit seiner Tochter, steht ein Empfänger HAGENUK E-75 |
Von überkommender Gischt total vereist. |
Mir
erging es da schon besser, saß ich doch hoch und trocken vor
meinen Geräten im Funkraum und hörte mir das Gezeter aus den
Lautsprechern von drei Empfängern an, welches den Funkverkehr ausmacht.
Es war nicht unbedingt gemütlich, die Tür zur Brücke stand
- wie gewöhnlich - offen, aber das war ich gewohnt. Dann stieg plötzlich
ein Unbehagen in mir auf, als die Lautstärke des Funkverkehrs immer
geringer wurde, und schließlich garnichts mehr zu hören war.
Die Überprüfung der Empfänger und Sender ergaben keine Störung,
sodaß es nur noch an den Antennen liegen konnte. Also begab ich mich
die Schritte nach vorn zur Brücke, um nachzusehen, was da los war.
Dabei wurde mir zum ersten Mal bewußt, wie schwammig das Schlingern
des Schiffes geworden war. Kapitän Schumacher hatte übrigens
inzwischen das Hieven (Einholen) des Fanggeschirrs veranlaßt und
war, wie immer in dieser Situation, allein auf der Brücke. Er machte
mich auch gleich auf das aufmerksam, was ich im selben Augenblick selber
sah.
Die
ganze Takelage des Vormastes bis hoch zum Flaggenknopf, alle Aufbauten,
praktisch das ganz Schiff war von einer durchsichtigen glasurähnlichen
Eisschicht bedeckt bzw. umgeben. Meine von Mast zu Mast, über Rahen
laufende Antennen aus sehr dicken Kupferlitzen, die jedem Orkan standhalten,
hingen als armdicke Eiswürste gebrochen herab. Dem Gewicht des anhaftenden
Eises waren sie nicht mehr gewachsen gewesen.
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Kapitän
Schumacher, der die Gefahr, die auf uns zukam, rechtzeitig erkannt hatte,
ließ das Fanggeschirr schon vor Ende der eigentlichen Schleppzeit
einholen, um voll manövrierfähig zu werden. Denn das war uns
ohne viele Worte klar: Wenn die Vereisung unseres Schiffes so weiterging,
mußte die durch die viele Tonnen schwere Eislast hervorgerufene Topplastigkeit
auf Dauer unweigerlich zum Kentern der ALEMANNIA führen. Ein
Überleben würde es für uns dann nicht geben. Es war
uns auch noch zu gut das Schicksal der beiden englischen Fischdampfer LORELLA
und RODERIGO in Erinnerung, die am 28. Januar 1955 durch Vereisung im Froststurm
nördlich von Island mit ihren gesamten Besatzungen untergegangen waren.Noch
hielt sich das starke Überholen des Schiffes, bedingt durch das Hieven
der kilometerlangen Kurrleinen in erträglichen Grenzen. Nachdem die
Scherbretter vorgehievt und abgefangen waren, wurde das Schiff mit dem
Heck in den Wind gedreht, damit der Dampfer beim Netzeinholen keine Dummheiten
machte.
Als erste Maßnahme gegen die drohende Kentergefahr sollte das Schiff nun in eines der vielen Treibeisfelder gebracht werden, denn in so einem Eisfeld darf man eine ruhigere See erwarten. Normalerweise wird den Eisfeldern natürlich aus dem Weg gegangen, da sie die Gefahr einer Leckage oder Beschädigung der Schiffsschraube mit sich bringen. Aber die Aussicht zu kentern war für uns jetzt wesentlich unangenehmer. So klemmte ich mich hinter das Radargerät um die Umgebung zu erkunden. Die Vereisung des Scanners wirkte sich auch auf die Anzeige auf dem Bildschirm aus, uns so konnte ich mehr ahnend als sehend, die Konturen eines Eisfeldes ausmachen. |
Nachdem
das Fanggeschirr an Deck war, wurde der Kurs in diese Richtung abgesetzt.
Inzwischen waren auch der 1. Steuermann und ein Rudergänger auf die
Brücke gekommen und berichteten über die Unmöglichkeit,
das Eis abzuschlagen. Es war eisenhart und stellenweise bis zu 10 cm dick.
Die einzige Rettung konnte für uns nur darin bestehen, so schnell
wie möglich in wärmere Gefilde zu kommen.
Die Decksleute wurden unter Deck geschickt und verschwanden in ihren warmen Unterkünften. Wir dampften nun schräg vor dem Wind laufend nach Südosten auf das Eisfeld zu. Im stillen hofften wir, daß die Vereisung endlich nachlassen oder ganz aufhören würde. Denn die Topplastigkeit wirkte sich manchmal bereits so schlimm aus, daß der Dampfer mit einer Krängung von fast 30 Grad "hängen blieb". Nur mit Ruder- und Maschinenmanövern gelang es dem Kapitän immer wieder, das Schiff- wenn auch widerwillig - auf die Beine, d.h. - auf ebenen Kiel zu bekommen. Diese kurze Fahrt bis zum Eisfeld setzte uns am meisten zu. Trotzdem verlief auf der Brücke alles ohne Dramatik. Es wurde kein überflüssiges Wort gesprochen. Der sonst üblich lockere Umgangston war allerdings einem stillen Ernst gewichen. Die Spannung löste sich etwas, als wir das scharrende Spektakel der an unseren Bordwänden entlangschlurrenden Eisschollen vernahmen. Es klang wie Musik |
(Foto: Hans Wölbing) |