Funkdienst im Jahr 1932
Zeitgenössischer Bericht über eine Funkwache auf DS "Oceana"/DDCG
Autor: Frank Stoldt - Quelle: Taschenbuch des 'Deutschen Flotten-Vereins' von August 1932
Abschrift: H. Busch - Fotos: http://www.passagierschiffe.purespace.de/

In der hohen Dünung der nordspanischen Küste dampft die „Oceana“ der Hapag gen Süden. Die Dämmerung fällt bei unsichtigem Wetter schnell und früh, es ist März und der Dampfer auf der ersten der diesjährigen Ausflugsfahrten nach dem Mittelmeer. Am nächsten Morgen will man in Lissabon sein, um den Vergnügungsreisenden des Tajo mit seinen Fischerbooten, das Kloster in Belem mit dem Grab Vasco da Gamas  und das Königsschloß Cintra oben in den Bergen zeigen. Vier Doppelschläge hallen über das Deck. Acht Glas ! 
links: DS "Oceana"/DDCG

Der erste Funkoffizier betritt die Funkstelle, um seinen Kollegen abzulösen... „Was liegt vor, Herr Möller ?“ Der von Wache gehende Zweite nimmt mit einem Seufzer der Erleichterung den Fernhörer vom Kopf. „Nichts besonderes, Herr Hartmann! Zu 20:18 MGZ hat sich die „Resolute“ auf Welle 23 Meter angesagt. Das Schiff ist zwischen Hongkong und Manila und will seinen Norddeichverkehr über uns leiten. 20:45 kommt „General Artigas“, der ist morgen früh

gleichzeitig mit uns in Lissabon. Er kann Monsanto nicht erreichen und bittet um Vermittlung seines Anrufes. 22:30 will die „Arcona“ eine größere Anzahl Ozeanbriefe schicken. Sie ist morgen früh in Rio und hat heute noch tüchtig Reklame gemacht. Um 23:25 die „Europa“, gleichfalls mit Ozeanbriefen, läuft morgen bei Tagesanbruch in New York ein. Das ist alles!“ Der 1. F.O. wirft einen Blick auf die neben ihm hängende Wachzeitentafel, die Verkehrszeiten und Wellenlängen angibt. „Na, das ist ja ganz hübsch! So ein Vermittlungsschiff hat doch seine Vorzüge, - es ist immer etwas los!“ Der Zweite schmunzelt. „Gute Wache!“ „Danke, gute Ruhe !“
Hartmann setzt sich auf den Arbeitsplatz, klappt die Schreibmaschine auf und nimmt den Fernhörer auf den Kopf. Sein Gesicht belebt sich. Im Augenblick, als er sich an den Apparaten niederläßt, verschwindet der enge Horizont, in den außen das Schiff gespannt ist, und die Kleinheit der Funkstelle mit ihrer raumausgenützten Beengtheit. Fast rund um den Erdball kann er von hier aus seine Morsezeichen durch den Raum schicken. 
Ob der Schneesturm im Nordatlantik um die Masten der „Europa“ heult, oder das Kreuz des Südens über der „Cap Arkona“ steht – er kann sie in Sekunden erreichen. Ein ungeheures Verkehrsnetz webt sich um die Erde. 
Eigene Gesetze beherrschen den Äther. Eine straffe Organisation, in Jahrzehnten aufgebaut und der Praxis angepaßt, ist erforderlich, um eine glatte Abwicklung des Verkehrs zu gewährleisten. Der Funkoffizier muß mit dieser Regelung und aus seinen Apparaten, auf Kurz-, Mittel- und Langwellen, wie auf einer Klaviatur spielen können. 
Rings um seinen Arbeitsplatz ist alles Notwendige in Greifweite. Vor sich hat er die versenkbare Schreibmaschine, denn heute wird jedes Telegramm, jeder Wetterbericht, jede Funkpresse direkt vom Gehör in die Maschine getippt. Rechter Hand hat er zwei Tasten, in Kopfhöhe vor sich die Kurz- und Lang- wellenempfänger mit ihren Einstellungen, im Rücken befinden sich der Kurzwellensender von 800 Watt und der tönende und Notsender von 1,2 Kilowatt. 
Links befindet sich ein Stöpselbrett, mit dem noch andere Empfänger angeschaltet werden können. Die weißen und schwarzen Stecker neben der Schreibmaschine ermöglichen die Wahl eines beliebigen Senders. Formulare liegen, mit Durchschlagpapier versehen, über den Tasten.

links:  Funkarbeitsplatz auf DS "Oceana"/DDCG
Über der Schreibmaschine: Empfänger E363S (220-2500 kHz), darüber: Vorsatzfilter

Hartmann wirft einen Blick auf die Uhr: 20:05 MGZ
Schnell ein paar Eintragungen im Tagebuch, ein Durchblättern des aufgearbeiteten und vorliegenden Telegrammaterials. Allein von der letzten Wache ist es ein hoher Stoß. Die Funkstation ist wie ein Brennspiegel, in dem sich das ganze Leben und Treiben des Schiffes fängt, um dann wieder nach allen Seiten zu strahlen. Was läuft alles durch die Finger des Funkoffiziers: Wettermeldungen für die Schiffsleitung, Peilungen, Proviant-, Wasser- und Kohleanforderungen, Bestellungen des Reisebüros für den morgigen Ausflug, Fahrgasttelegramme mit Glückwünschen, mit geschäftlichen Erledigungen, alles vertraut sich dem Äther an.
20:15 - Hartmann schaltet sich mit einem kleinen Hebel von der 600-m-Welle auf den Kurzwellenempfänger. – Auf der anderen Seite der Welt dreht ein anderer Beamter an den Skalen seines Senders. 23 m ! 
Er drückt die Taste: „DDFT DDFT DDFT de DDCG DDCG DDCG QTC K 
„Resolute“ von „Oceana“, hier liegt Verkehr vor, komm! –
Schon nach einer Minute haben sich die Schiffe im Empfänger gefunden und Telegramme und Ozeanbriefe werden von den Morsezeichen durch den Raum getragen.
rechts:  DS "Resolue"/DDFT
Das Schiff lief 1917 als "William O'Swald" vom Stapel, fuhr als "Brabant" unter holländischer, dann als "Resolute" unter US-Flagge. 1923 kaufte  Hapag das 19703 BRT Schiff und behielt den Namen bei. 1935 wurde es nach Italien verkauft, als "Lombardia" 1943 in Neapel durch Bomben beschädigt und 1946 in La Spezia abgewrackt.
Bevor die „Oceana“ quittiert, d.h. den Empfang der Telegramme bestätigt, zirpt ein neuer Ton dazwischen: Norddeich Radio, die deutsche Großfunkstelle, hat sich mit eingeschaltet, und bestätigt den Empfang der „Resolute“-Depeschen schon an die „Oceana“. „Eine Ersparnis“, brummt Hartmann, und nimmt gleich darauf ein halbes Dutzend Depeschen von Norddeich, die für das Weltreiseschiff im Fernen Osten bestimmt sind. Im Anschluß kommen noch ein paar Radios für das eigene Schiff, Anfragen über den Verlauf der Reise, Mitteilungen an Schiffsleitung und Touristenbüro.
20:35 - Der Funkoffizier schaltet um auf Welle 600 Meter um die portugiesische Küstenfunkstelle Monsanto zu benachrichtigen, daß sie vom „General Artigas“ gerufen wird. Erledigt! Kleine Ruhepause, angefüllt mit Eintragungen im Tagebuch, mit Fertigmachen der eben erhaltenen Radiotelegramme, Zukleben, Ausschreiben der Empfangsbestätigungen. Klingel! Ein Telegraphenjunge erscheint: „Bitte bestellen!“
20:48 - Umschalten auf lange Welle. Tatsächlich, der „Artigas“ wartet schon auf 1987 Meter. „Rufen Sie Monsanto auf Welle 2050!“ Zwei Minuten später stehen die beiden anderen Funkstellen im Verkehr.
20:55 - Umschalten auf Welle 600 Meter! Nichts los! Es ist noch soviel Zeit, um in den von der „Resolute“ empfangenen Ozeanbriefen, die morgen in Lissabon zur Post müssen, einige Schreibfehler zu verbessern.
21:18 - Umschalten auf den englischen Wetterbericht von Rugby! Die Tiefs und Hochs des nordeuropäischen Wetters reichen so weit nach Süden, daß sie auch hier in Portugal noch wichtig sind. Und der Pilot des Wasserflugzeugs, das auf dem Achterdeck des Schiffes steht, - zu Rundflügen der Fahrgäste, - möchte bei seinen Flügen nicht von plötzlichen Wetteränderungen überrascht werden.
21:30 - Knapp ist der Rugbywetterbericht aus der Schreibmaschine gezogen, als von der 18750-Meter-Welle umgeschaltet wird auf allgemeinen Verkehr: Welle 2098 Meter. „Aha, der „Artigas“ mit seinem Radio!“ Empfangen, quittiert, schön !
21:45 - Nordatlantik-Kurzwellenperiode, 36-Meter-Welle!
22:00 - Nauen schickt deutsche Pressenachrichten, 29,55 Meter.
22:30 - Die „Cap Arcona“ / DHDL meldet sich vom Südatlantik mit ihren Ozeanbriefen. Die Aufnahme auf der „Ozeana“ geht glatt, aber der Südamerika- Schnelldampfer hat Schwierigkeiten mit dem Empfang. Über den brasilianischen Küstenbergen tobt ein Tropengewitter. Doch man schafft bis 23:10 die Aufnahme von 75 Ozeanbriefen.

links:  "Cap Arcona"/DHDL
Baujahr 1927 - 27600 BRT - 21Kn -  Im Mai 1945 wurde dieser berühmteste Hamburg-Süd-Liner in der Neustädter Bucht zum Grab für 5000 KZ-Häftlinge

rechts:  1930 liegen "Cap Arcona"/DHDL (hinten) und
"Oceana"/DDCG gemeinsam in Hamburg


Um 23:14 kommt der örtliche, portugiesische Wetterbericht von Montanto Radio auf 1000 Meter. Fernsprecher zur Brücke: Zwei Minuten später wird das Formular „Nachrichten für Seefahrer“ vom Quartiermeister in Empfang genommen.
23:25 ruft die „Europa“/DOAI auf Kurzwelle. Ozeanbriefe für Europa.
23:55 läutet die Brücke an: Wir möchten das Nauen-Zeitsignal. Gut! Welle 18 050 Meter. Dreimal in Minutenabstand tönt das „Stopp“ zu dem im Kartenhaus über den Chronometer gebeugten wachhabenden Offizier.

00:07  - Der Funkoffizier schaltet gerade auf Norddeich-Blindfunk, die Liste von Funktelegrammen, die die deutsche Küstenfunkstelle an Schiffe gibt, mit denen sie nur in einseitiger Verbindung steht, als sich die Tür auftut. Die Wachablösung, der dritte Funkoffizier, kommt herein. „Guten Morgen!“ „Guten Morgen!“ „War viel los?“ „Na, nicht so schlimm, langweilig war es auch nicht!“
Hartmann schreibt sein „Von Wache“ und erhebt sich mit steifen Gliedern. „Wenn Sie Zeit haben, machen Sie die Ozeanbriefe noch fertig, sonst lassen Sie mich um 6 Uhr wecken!“ „Jawohl, Herr Hartmann! Gute Ruhe!“ „Danke, gute Wache!“ 
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