100 Jahre "Oldenburger Marine"
Großherzog Friedrich August von Oldenburg war Gründer des
"Deutschen Schulschiff-Vereins" der am 12. Januar 2000 100 Jahre alt wurde.
Ein Bericht des Freien Redakteurs Wolfgang Kiesel - Abdruck mit freundl. Genehmigung des Verfassers

Oldenburg als Heimathafen des letzten Deutschen Vollschiffes?
Tatsächlich! Wer genau hinschaut, findet am verzierten Heck der „Schulschiff Deutschland“ in der Bremer Vorstadt Vegesack die neun Buchstaben. Oldenburg ist und war zwar niemals der Liegeplatz des 86 Meter langen Großseglers, doch bis heute die eigentliche Heimat. Auch die sieben anderen Schulschiffe des Deutschen Schulschiff-Vereins (DSV) seit 1901 waren in Oldenburg registriert. Der Grund: Erbgroßherzog Friedrich August von Oldenburg war es, der vor genau 100 Jahren ganz wesentlich zur Gründung und zum Aufbau des DSV beigetragen hat. Am 12. Januar wird dieser Verein 100 Jahre alt und bemüht sich noch immer um die Ausbildung von Seeleuten für die Handelsschifffahrt. Ausbilder und Kadetten an Bord der Schulschiffe wurden denn auch stets als die „Oldenburger Marine“ bezeichnet.
Benötigt wurden Anfang des vergangenen Jahrhunderts 2000 zusätzliche Matrosen jährlich – gut ausgebildet an Bord eines großen Segelschiffes in praktischer Seemannschaft. Doch genau die Segelschiffe wurden vor 100 Jahren immer weniger. Der marinebe-geisterte Erbgroßherzog Friedrich August von Oldenburg übernahm die Initiative. Am 12. Januar 1900 kam es unter seinem Vorsitz und im Beisein des Kaisers in Berlin zur Gründungsversammlung des Deutschen Schulschiff-Vereins, der in den folgenden Jahrzehnten über eine Flotte von insgesamt acht segelnden Schulschiffen mit beinahe 1.000 Besatzungsmitgliedern verfügte.  Doch die erfolgreichste Phase der Vereinsaktivitäten endete bereits in den 20er Jahren. Was blieb, ist das inzwischen letzte deutsche Vollschiff, die „Schulschiff Deutschland“, seit Mai 1996 am neuen Liegeplatz in der Lesummündung in Vegesack. Was an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert fehlte, waren Ausbildungsplätze für rund 2.000 Matrosen jährlich. Die Lösung sollte ein Verein bringen, zu dem sich Vertreter von Reedereien und Werften, seefahrtsbegeisterte Adlige und hanseatische Kaufleute am Freitag, den 12. Januar 1900 im Berliner Hotel „Continental“ zusammenfanden. Den Vorsitz führte als „Protektor“ „seine königliche Hoheit“ Erbgroßherzog Friedrich August von Oldenburg, einer der unabhängigen Adeligen des Reiches. Er war selbst im Besitz eines nautischen Patents und stolzer Kapitän seiner Dampfyacht „Lensahn“.
Die Aufgabe des Deutschen Schulschiff-Vereins (DSV) sollte es sein, für die Förderung von tüchtigem seemännischem Nachwuchs zu sorgen – nicht etwa für die Elite oder Offizierskadetten, sondern vielmehr für Decksmannschaften „aus dem Volke“. Kaiser Wilhelm II. war von dieser Gründung so angetan, dass er spontan 5000 Mark pro Jahr aus seiner privaten Schatulle zur Verfügung stellte. Sitz des Vereins wurde Oldenburg, wo später auch alle Schulschiffe ins amtliche Register eingetragen wurden. Ihren Heimathafen und Liegeplatz aber sollten die Schiffe stets in Elsfleth haben, von wo es später eine allseits gelobte Bahnverbindung nach Oldenburg gab.
1901 das erste Schiff
Bereits 15 Monate nach der Gründung des DSV lief bei der Joh. C. Tecklenborg-Werft in Geestemünde, dem heutigen Bremerhaven, das erste Segelschulschiff des Vereins, die „Großherzogin Elisabeth“, heute „Duchesse Anne“, vom Stapel. Von den 119 – jeweils 14- bis 16-jährigen Schiffsjungenbewerbern, die sich noch im Mai 1901 in Elsfleth einschifften, stammten die allermeisten aus eher bürgerlichen Elternhäusern. Das Ausbildungskonzept für die „Zöglinge“ sah praktische Seemannschaft an Deck, in der Takelage sowie unter Deck vor – außerdem Deutsch, Rechnen, Englisch, Geografie und Geschichte, die jeweils eine Stunde wöchentlich unterrichtet wurden. Die Atmosphäre war zeitgemäß: „Die Zöglinge schulden Gehorsam und Ehrerbietung, und auch den Matrosen gegenüber haben sie sich bescheiden zu benehmen!“
Das 78 Meter lange Vollschiff „Großherzogin Elisabeth“ stand bis 1932 in den Diensten des Schulschiff-Vereins und war in dieser Zeit auf allen sieben Weltmeeren unterwegs. Spannende Reiseberichte finden sich in den Unterlagen des Vereins sowie in einer inzwischen vergriffenen Dokumentation, die Gerhard Eckardt 1981 für den DSV veröffentlichte.
Noch vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges ergänzten ein weiteres Vollschiff sowie eine noch größere Bark die Flotte des DSV. „Prinzess Eitel Friedrich“, die heutige „Dar Pomorza“ entstand 1910 bei Blohm & Voss in Hamburg und blieb für 10 Jahre im Ausbildungsauftrag des Vereins, bevor sie 1920 als Reparationsleistung an Frankreich abgeliefert wurde. Die 85 Meter lange „Großherzog Friedrich August“, die heutige „Statsraad Lehmkuhl“, lieferte Joh. C. Tecklenborg 1914, auch wurde als Reparationsleistung ein Opfer der Weltkriegsfolgen und verließ den Verein ebenfalls 1920.
Erst 1927 – das inzwischen betagte Vollschiff „Großherzogin Elisabeth“ mit mehr als 200 Mann Besatzung und 2.060 Quadratmetern Segelfläche, war der einzig verbliebene Ausbildungssegler des Deutschen Schulschiff-Vereins – gelang die Vergabe eines weiteren Neubauauftrages nach Bremerhaven. „Die Arbeitslosigkeit unter den Schiffbauern an der Unterweser ist bereits groß genug“, diente als Argument für öffentliche Hilfen des Bremer Senats, auch der Hamburger Senat beteiligte sich mit einem Darlehen. Der Schulschiffverein 
konnte selbst etliches beisteuern. Am 14. Juni 1927 lief das Vollschiff „Schulschiff Deutschland“ an der Geeste vom Stapel. Mit dem 86 Meter langen Schiff, das noch immer neben anderem zu Ausbildungszwecken, allerdings noch ohne Segel und am festen Liegeplatz, genutzt wird, begann eine zweite Erfolgsphase des Vereins. Lange und erfolgreiche Auslandsreisen beider Schiffe kennzeichnen diese Phase der praktischen Ausbildung in Seemannschaft.
Am Zenit des Erfolgs ein Seenotfall
Der Plan, für die Ausbildung der Küstenschifffahrt an Nord- und Ostsee ein eigenes Schulschiff einsetzen zu können, scheiterte nach einem Seenotfall am 25. November 1928. Nur wenige Monate zuvor war eine 75 Meter lange Bark – 1893 in Glasgow gebaut - angeschafft und auf den Namen „Schulschiff Pommern“ getauft worden. Bereits während der ersten Reise geriet das Schiff in einen schweren Sturm und in einer dramatischen Aktion konnten die 79 Besatzungsmitglieder von einem Schlepper der Bugsier-Reederei abgeborgen werden. Der Schiff wurde wegen Unwirtschaftlichkeit der Reparatur anschließend abgewrackt.
Die Zeit des Nationalsozialismus überstand der Ausbildungsbetrieb an Bord beinahe unverändert. Seit Gründung des DSV herrschte eine eher konservative fast militärische Stimmung an Bord der Segler. Was 1933 von außen erzwungen wurde, war die Bildung einer „Hitler-Jugend-Formation“ sowie die Ernennung eines Offiziers zum „politischen Leiter“. „Praktisch“, so formuliert es der Biograph des Vereins aus dieser Zeit, „hat sich an Bord aber wenig geändert.“
Bis 1944 fand der reguläre Ausbildungsbetrieb an Bord der „Schulschiff Deutschland“ mit Reisen auf der Ostsee statt. Es folgte eine Liegephase als Lazarettschiff in Lübeck bevor der Segler 1948 nach Bremen verholt und dort als Jugendherberge eingesetzt war. Mit dem 50. Geburtstag des Vereins im Jahr 1950 begannen die Bemühungen, den Ausbildungsbetrieb für den seemännischen Nachwuchs wieder aufzunehmen. Mit finanzieller Hilfe des Bremer Senats investierte der Schulschiff-Verein in die Takelage und die Unterkünfte des Schiffes, und am 1. April 1952 schifften sich die ersten 18 Jungen ein, die Bremer Reedereien am Ende ihrer Ausbildung zumeist in den praktischen Borddienst übernahmen. Bis 1972 fand dieser stationäre Schulschiffbetrieb statt, danach baute der Verein die „Schulschiff Deutschland“ um und nutzte den ehemaligen Segler als Schul-Internat und Ausbildungswerkstatt.
Ein Schiff zum Wohnen und Arbeiten
In den sechziger Jahren gab es einen Versuch, diese stationäre Form der Ausbildung beim Deutschen Schulschiff-Verein um ein segelndes Ausbildungsschiff zu ergänzen. Mit Hilfe der teilweise beigesteuerten Versicherungssummen von „Pamir“ und „Passat“, die ausschließlich für Ausbildungszwecke ausgegeben werden durften, konnte der Verein in Dänemark eine 30 Meter lange Ketsch erwerben, die bei der Lürssen-Werft in Vegesack den letzten Schliff als Ausbildungsschiff erhielt. Getauft auf den Namen „Seute Deern“ geriet die Finanzierung des Schiffes schnell an die Grenzen des Vereins: Kompetenzprobleme zwischen Bund und Ländern verhinderten zudem die Finanzierung der Ausbildung an Bord, wie der Vorsitzende des Vereins (seit 1969), der Vorstand des Norddeutschen Lloyd, Dr. Horst Willner, beklagte. Auch ein zweiter Versuch, die Bordausbildung zu realisieren, war langfristig nicht erfolgreich. 1967 hatte der Verein die „Seute Deern“ an den Norddeutschen Lloyd verchartert, unter seiner Regie wurden danach etliche Auslandreisen mit Steuermannsanwärtern durchgeführt. Doch mit der Änderung der Schiffsbesetzungsordnung 1970, die keine Bordausbildung mehr vorsah, kam auch das Aus für die Gaffelketsch unter der Regie des DSV. Die „Seute Deern“ wechselte zum Deutschen Jugendwerk zur See „Clipper“ und ermöglichte vielen Tausend Jugendlichen einen tiefen Einblick in die Erlebniswelt Seefahrt.
Mit dem Wechsel der „Schulschiff Deutschland“ von Bremen nach Vegesack 1996 und dem beinahe gleichzeitigen Wechsel von Horst Willner an den ehemaligen Bremer Wirtschaftssenator Claus Jäger im Vorstand des Schulschiff-Vereins ging auch eine konzeptionelle Änderung in den Aufgaben des Vereins einher. Noch immer werden Schiffsmechaniker, wie sie heute heißen, an Bord ausgebildet. Gleichzeitig aber gilt es für den Verein, das letzte deutsche Vollschiff und maritimes Denkmal zu erhalten, Traditionen zu pflegen und vielleicht sogar ein neues Selbstverständnis der Ausbildung für die maritime Erlebniswelt zu finden.
Ideen gibt es dafür jede Menge. Die nächste Reise der „Schulschiff Deutschland“ steht sogar schon fest – allerdings am Haken zweier Schlepper: Ende August 2000 nach Bremerhaven zur Sail2000, wo auch offiziell der Geburtstag des Schulschiff-Vereins zu feiern sein wird. Bis dahin gibt es eine informative Ausstellung zu „100 Jahre DSV“ ab 25. März im Bremer Schnoor, die Mitte Juni in Oldenburg sowie im Juni zum Hafenfest in Vegesack und im September während der Sail in Bremerhaven zu sehen ist.

Wolfgang Kiesel
Mail@wolfgang-kiesel.de


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Version: 08-Jan-00 / Rev.: 13-Jun-11 / 24-Feb-13 / HBu