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Am
wohl ersten Seenotfall der mit Hilfe der drahtlosen Telegrafie abgewickelt
wurde, war ein deutsches Schiff beteiligt. Das Segelschiff „Elbe“ war bei
stürmischem Wetter auf dem Weg von Nantes nach Hamburg, als es am
17. März 1899 bei den Goodwin Sands in der Nordsee auf Grund lief.
Wenige Monate zuvor war auf dem Feuerschiff „East Goodwin“ eine Marconi-Station
installiert worden. Dort hatte man die Strandung der „Elbe“ beobachtet
und sandte ein Telegramm zum ebenfalls bereits mit Funk ausgerüsteten
Leuchtturm „South Foreland“ von wo aus in Ramsgate ein Schlepper alarmiert
wurde. Mit dessen Hilfe konnte die „Elbe“ einige Stunden später wieder
flott gemacht werden. Nur sechs Wochen später, am 28. April 1899,
wurde das Feuerschiff „East Goodwin“ Opfer einer Kollision. Der englische
Dampfer „R.F. Matthews“ war mit einer Ladung Kohle unterwegs von Newcastle
nach Genua und rammte das Feuerschiff. Man rief erneut „South Foreland
Lighthouse“ und berichtete: „We have just been run into by the steamer
R.F. Matthew of London. Steamship is standing by us. Our bows very badly
damaged“
Als
der Lloyddampfer „Kaiser Wilhelm der Grosse“ 1900 als erstes Handelsschiff
der Welt mit einer Funkenstation (System Marconi) ausgerüstet wurde,
hatte man also bereits erkannt, dass die neue Technik nicht nur ein schönes
Spielzeug für die Passagiere an Bord der Luxusliner ist, sondern durch
schnellen Nachrichtenaustausch im Seenotfall auch Hilfe herbeigeholt werden
kann. Je mehr Schiffe mit Funkensendern ausgerüstet wurden, desto
mehr erkannte man aber auch, dass das neue Medium grenzüberschreitende
Wirkung hat und es daher einer internationalen Norm bedurfte.
Die Station auf dem deutschen Feuerschiff "Borkumriff" hatte der Norddeutsche Lloyd von der Marconi-Gesellschaft gemietet, den Funkdienst versahen der deutsche Kapitän und sein Erster Offizier. Die Station auf Borkum hatte die deutsche Wasser- und Schiffahrtsverwaltung von der Marconi-Gesellschaft gekauft, sie wurde von deutschen Telegrafenbeamten bedient und stand unter der Oberhoheit der Reichspost- und Telegrafenverwaltung. Es gehört ins Reich der Fabeln, dass dem deutschen Kaiser durch die (deutsche) Marconi-Station auf Borkum die Annahme eines Telegramms verweigert worden sei. Niemand in der oben geschilderten Hirarchie hätte seinem obersten Dienstherrn so die Stirn geboten. Dieser Geschichte zufolge ordnete Wilhelm II aber wutentbrannt – in einer Bremer Tageszeitung fand ich das Wort „Tobsuchtsanfall“ – den Bau einer eigenen Küstenfunkstelle (das spätere Norddeich Radio) an und veranlasste eine internationale Funkkonferenz. Eine Geschichte also, eine schöne Geschichte sogar! So schön, dass sie sich nicht verdrängen lässt! Erstmals erwähnt wird sie in den 50er Jahren in den Memoiren von Hans Bredow, dem ersten Direktor der Telefunken Gesellschaft. Auf deutschen Vorschlag und Einladung hin - die Deutschen hatten erstens eine große Handelsflotte und zweitens wollten sie natürlich Ihre eigene Funkindustrie ins Geschäft bringen und Marconi nicht das Funkmonopol (Stichwort: "Marconismus") überlassen - wurde für den 4. August 1903 eine Internationale Funk-Vorkonferenz nach Berlin einberufen.
Ein britischer Vorschlag lautete „CQD“. Zusammengesetzt aus dem CQ für Anrufe „an Alle“ – üblich bei der amerikanischen Eisenbahn-Telegrafie - und dem Zusatz D für das englische Wort für Seenot: „distress“. Die amerikanischen Delegierten schlugen das Notsignal aus dem internationalen Flaggencode vor: „NC“. Diese Kombination hätte sicher auch ein sehr markantes Morsesignal abgegeben. Die italienischen Delegierten meinten, „SSSDDD“ sei das richtige Signal. Aus Deutschland kam der Vorschlag „SOS“. Man war zunächst für „SOE“, einem Ankündigungszeichen aus dem deutschen Flaggen-Handbuch, kam dann aber zu der Überzeugung, dass der letzte Buchstabe des Signals im Morsecode zu kurz und die Übermittlung damit nicht sicher genug sei. Man ersetzte das „E“ durch ein weiteres „S“. Die Delegierten der Vorkonferenz konnten sich auf keinen der Vorschläge einigen und überliessen die Entscheidung der noch einzuberufenden „Großen Internationalen Funkkonferenz“. Marconi schuf am 1. Februar 1904 mit folgender Anordnung für seine Gesellschaft jedoch Tatsachen: CIRCULAR No. 57 Therefore, on and after the 1st February, 1904, the call to be given by ships in distress or in any way requiring assistance shall be "C.Q.D." This signal must on no account be used except by order of the Captain of the ship in distress, or other vessels or stations retransmitting the signal on account of the ship in distress. All stations must recognise the urgency of this call and make every effort to establish satisfactory communication with the least possible delay. Any mis-use of the call will result in the instant dismissal of the person improperly employing it. THE MARCONI INTERNATIONAL MARINE COMMUNICATION COMPANY, LIMITED, 18, Finch Lane, London, E.C., 7th January, 1904. Deutschland folgte am 30. März 1905 mit der „Regelung der Funkentelegraphie im Deutschen Reich“ , in der es unter Anderem heisst: a) Beförderungszeichen ------Ruhezeichen; darf nur von öffentlichen Küstenstationen gegeben werden; ...---...Notzeichen; wird von einem Schiffe in Not solange wiederholt, bis alle anderen Stationen ihren Verkehr abgebrochen haben; ...---.Suchzeichen; darf von Schiffen auf hoher See wiederholt mit ihren eigenen Namen, die dem Zeichen folgen müssen, gegeben werden; es ist zu beantworten durch "hier" mit nachfolgenden Namen.
Das internationale Seenotzeichen für die drahtlose Telegrafie lautet SOS Diese Festlegungen behielt bis zum Ende des terrestrischen Seefunks am 1. Februar 1999 ihre Gültigkeit. Bis
zur endgüligen Umsetzung der Konferenzbeschlüsse dauerte es noch
einige Zeit. Die USA genehmigten 1908 den Gebrauch des SOS , aber
das CQD geisterte noch lange durch den „Äther“ - besonders
auf britischen Schiffen. Als erste internationale Nutzung des neuen Zeichens
ist der Seenotfall der englischen „Slavonia“ vermerkt. Der Cunard-Liner
war am 10. Juni 1909 an der Azoreninsel Flores gestrandet und nach seinem
SOS wurden alle Personen an Bord von den deutschen Schiffen „Prinzess
Irene“ und „Batavia“ gerettet.
Auf
der zweiten internationalen Funkkonferenz im Sommer 1912 in London wurde
– noch ganz unter dem Eindruck des „Titanic“-Desasters und der Rolle die
die Funkentelegrafie dabei gespielt hatte – endgültig und verbindlich
vereinbart:
Lands End Radio / GLD war 31. Dezember 1997 die letzte englische Station die einen SOS-Fall abwickelte. Die „Oak“/C6MX8 hatte Glück, die Meldung wurde gehört und das Schiff nach Liverpool geschleppt. Am nächsten Tag, dem 1. Januar 1998, wurde der Telegrafiebetrieb bei den englischen Küstenfunkstellen eingestellt! GLD war einst auch die erste englische Funkstelle, die ein SOS aufnahm: 1910 verwendete das Schiff „Minihaha“/MMA das markante Zeichen, als es einen Notruf an GLD – damals hiess die Station noch Lizard Radio – absetzte. Diesem
Aufsatz ist zu entnehmen, dass SOS nicht für Abkürzungen
wie „Save our Souls“ oder „Save our Ship“ steht, genauso wenig wie
CQD für „Come quick Danger“. Diese Auslegungen wurden später
in die Notzeichen hinein gedeutet. Die damals vorgeschlagenen Zeichen sollten
einzig und allein in ihrer Zusammenstellung ein markantes und unüberhörbares
Signal bilden. Im Nachhinein lässt sich heute sagen, dass man mit
SOS eine gute Wahl getroffen hat.
P.S.: Leider haben sich die Funktion des Zeichens verstümmelnde Schreibweisen für SOS durchgesetzt. Das ärgert mich ! In der Literatur findet man S.O.S. oder S-O-S. So hätte das Zeichen aber nicht funktioniert! Dabei war und ist es immer noch ganz einfach: Quellen: D. Vierus: "CQD SOS MAYDAY (2000) G. Ulsamer: "Feuerschiff Borkumriff - Die interessante Geschichte des Nachrichtenwesens an der Küste" (1988) UIT Genf: "From Semaphore to Satellite" (1965) B. Faulkner: "CQD and SOS - the real story" in "radiouser" (August 2006) Funktagebuch SS "Carpathia" 14apr12 / 05:30 p.m. bis 15apr12 / 01:30 a.m. H.E. Hancock / Marconi Marine: "Wireless at Sea - The first 50 Years" (1950) WDR-TV: "Der Seenotruf SOS" (1991) |