Das Funk-Fernschreibverfahren SITOR
Ein Referat von © 2007: Robert R. Kühn

Über SITOR¹ und anderes
Dass die Morsetelegraphie ihrem Wesen nach eine manuelle Übertragungsart war, ist selbstverständlich. Weniger offenkundig ist die Tatsache, dass sich die Morsetelegraphie mit den damaligen technischen Mitteln in das damals einzige Datennetz, TELEX, nicht einbinden ließ. Die Telegraphie selbst mittels Morsezeichen hat sich nun durchaus automatisieren lassen, wie eine Reihe von Decodern, die auf dem Markt waren, bewies. Die Sendeseite hat sich seit Creed, dem Lochstreifenabtaster, schon seit vielen Jahrzehnten automatisieren lassen. 

Einer der Gründe, von der Telegraphie mittels Morsezeichen abzugehen liegt darin, dass das Morsealphabet keine Redundanz besitzt. Redundanz : „Weitschweifigkeit“, durch einen „Überschuss“ an Elementen die Übertragungssicherheit, hier  auf der Funkstrecke, zu verbessern.  Dass das Morsealphabet nicht redundant ist, erkennt man darin z.B.  dass das Morsezeichen „B“ durch ein zusätzlich empfangenes Element zu „6“ wird und so weiter. .  Die Verfahren zur Sicherung einer Übertragung haben ihren Ursprung in der Informationstheorie, nämlich, dass eine Übertragung umso sicherer wird, je mehr der verwendete Code „überflüssige“ bit hat. Für eine gesicherte Übertragung auf dem Funkweg eignet sich der ebenfalls nicht-redundante 5 bit-Code des TELEX-Systems genau so wenig wie der Morsecode. Immerhin hat sich der TELEX-Dienst über Kabel über Jahrzehnte ohne redundanten Code  als äußerst zuverlässig gezeigt, sodass es nahelag, eine Funkübertragung zu konzipieren, die in den TELEX-Übertragungsweg hineinpasst, ohne die Übertragungssicherheit zu verschlechtern. Eine Automatisierung musste deshalb vor allem die Übertragungssicherheit gegenüber der Morsetelegrahie dramatisch verbessern und eben auch einen automatischen Betrieb, d.h. ohne Personal ermöglichen. 

Eines der Verfahren, TELEX-Signale gesichert über eine Funkstrecke zu übertragen ist vor einigen Jahrzehnten von Philips im festen Funkdienst eingeführt worden. Die Philips-Informatiker hatten sowohl theoretisch als auch im praktischen Betrieb herausgefunden, dass eine Redundanz von 2 zusätzlichen bit eine ausreichende Übertragungssicherheit bei der Funkübertragung von TELEX-Zeichen ergibt. Dieses Verfahren ist leicht verändert im SITOR-Verfahren eingesetzt worden. Die beiden zusätzlichen bit werden benutzt, um ein festes Verhältnis von 0- zu 1-bits zu erzeugen, bei SITOR ist diese „Parität“ konstant 3 zu 4. Dadurch erhält man ein „fehlererkennendes System“, „foreward detecting system“, FED.
Andere Firmen benutzten andere Algorithmen, um die Übertragungssicherheit zu verbessern. Marconi hatte nach meiner Erinnerung sogar einen 10-bit-Code vorgestellt, der Fehler auf dem Übertragungsweg nicht nur erkennen, sondern sogar beseitigen konnte. Dieses System ist ein „fehlerkorrigierendes System“, „foreward correcting system,“ FEC. 

Die heute als anachronistisch anmutende Entscheidung für das TELEX-Netz fußte auf der Überlegung, dass bis in die jüngere Vergangenheit nur das TELEX-Netz für die Datenübertragung weltweit vorhanden war. M.W. verfügen in Europa auch heute noch eine ganze Reihe von Firmen über einen TELEX-Anschluss. (Ende 2006 in der Schweiz 300 Teilnehmer !). Modernere Daten-Netze existierten damals nur in den klassischen Industrieländern und sind auch heute in Drittländern noch nicht die Regel. Damit war der Zeichenvorrat auf den des TELEX-Netzes beschränkt, genau so wie die heute lächerlich anmutende Übertragungsrate von ungefähr 400 Zeichen in der Minute. 
Für den geringen Zeichenvorrat des TELEX-Netzes mit den 5 bit-Signalen genügte, wie gesagt, die Erweiterung um 2 zusätzliche bit, um den Code „prüfbar“ zu machen, d.h. Fehler auf der Funkstrecke erkennen zu können. 

SITOR ist ein Simplex-System, in dem zur Zeit nur eine der beiden Übertragungsrichtungen zur Zeit bedient werden kann. Zeitgleich hatte Siemens ein echtes Duplex-Verfahren – ARQ 1a - vorgestellt und auf dem Atomschiff „Otto Hahn“ betrieben. Das Verfahren konnte sich nicht durchsetzen, weil die Sende- und Empfangskanäle als Telegraphiekanäle in der „administrativen“ Modulationsart F1 so eng beieinander lagen, dass Duplex-Betrieb als Telegraphieverfahren nicht möglich war. Für die „Otto Hahn“ gab es eine Ausnahmegenehmigung. SITOR konnte sich durchsetzen weil es ein Simplex-Verfahren war, das mit geringem Abstand von Sende- und Empfangsfrequenz auskommt und, wenigstens theoretisch, für Senden und Empfang die gleiche Frequenz benutzen konnte.

Das Verfahren
Das TELEX-Signal wird dem SITOR-Gerät zugeführt und gespeichert. Vor der Aussendung wird aus dem 5 bit-Signal des TELEX-Netzes das 7 bit-Signal der SITOR-Übertragung hergestellt, wie gesagt, mit prüfbarer, d.h konstanter Parität 3 zu 4. 

SITOR kann in zwei unterschiedlichen Modi betrieben werden: 
a)      Im FEC-Verfahren, wobei die Fehlerkorrektur durch die Wiederholung von als falsch erkannten Zeichen geschieht, ARQ von automatic request,  und
b)      Im FED-Verfahren, in dem als falsch erkannte Zeichen als solche gekennzeichnet werden. 

Der Nachrichtenaustausch zwischen zwei Stellen geschieht im ARQ-Modus, einseitige Dienste, wie Anrufe und Mitteilungen an CQ im FED-Modus. 

Der Simplex-Betrieb ordnet Sende- und Empfangsseite im ARQ-Modus unterschiedliche Blocklängen zu: Gesendet wird die Nachricht in dreier-Blöcken zu je 7 bit, die Empfangsseite quittiert mit einem einzigen 7 bit-Signal.

Der gesamte Ablauf im zweiseitigen ARQ-Betrieb (automatic request)
Gerufen wird mit Hilfe eines Anrufblocks, der das „Rufzeichen“ der angerufenen Stelle (zunächst 4, später 5 Ziffern, auch MMSI) enthält. DAN hatte nach meiner Erinnerung das SITOR-Rufzeichen 2805. Mit dem Empfang der Antwort auf den Anruf beginnt das Einphasen. Dies ist notwendig, weil SITOR mit  festem Takt arbeitet - im Gegensatz zum TELEX-Betrieb, der im Start-Stop-Betrieb arbeitet, also von einem Takt unabhängig ist -. Die rufende Stelle bleibt „Master“ und gibt den Takt und das Verfahren vor. Die angerufene Stelle bleibt „Slave“ und wird vom „Master“ kontrolliert. 
Der „Master“ beginnt mit der Übertragung und gibt die Sendeberechtigung nach dem ersten Durchgang mittels eines „bk“-Signals (+?) an den „Slave“. Dieser gibt ebenfalls mit dem „bk“-Signal die Sendeberechtigung an den „Master“ zurück. Auf diese  Weise wechselt die Sendeberechtigung fortlaufend zwischen „Master“ und „Slave“. Ob die angebotene Nachricht aus dem TELEX-Netz stammt oder zum Verständigungsverkehr der Funker auf beiden Seiten gehört, spielt im Grunde keine Rolle. Nach internationaler Gepflogenheit  wird die Übertragung einer Nachricht, die über das TELEX-Netz befördert wird, mit der Zeichenfolge zczc eingeleitet und mit nnnn bendet.
Die jeweils sendende Stelle sendet im ARQ-Modus die zugeführte TELEX-Nachricht in Blöcken  zu je 3 TELEX-Zeichen. Jedes 7bit-Zeichen arbeitet mit der bit-Länge von 10 ms, dauert also 70 ms, der dreier-Block mithin 210 ms. Die Verkürzung der bit-Länge von 20 ms (50 Baud) des TELEX-Codes auf 10 ms (100 Baud) des SITOR-Codes ist nicht nur wegen der um 2 bit längeren Zeichen notwendig, sondern auch weil zusätzlich Zeit für die Quittung benötigt wird und auch die Zeit berücksichtigt werden muss, die Nachricht und Quittung auf der Funkstrecke benötigen.
Nach der 210 ms dauernden Aussendung der Nachricht im 3er-Block schaltet sich der Sender ab und gibt den Weg für einen ungestörten Empfang des Quittungssignals frei. Theoretisch könnte man, wie schon gesagt, für Senden und Empfang die gleiche Frequenz benutzen. Tatsächlich wurde aber der Empfänger nach dem Sperren des eigenen Signals nicht schnell genug wieder „offen“. 
Die jeweils empfangende  Stelle prüft nach dem Empfang jedes Blocks, ob für jedes Zeichen die Parität 3 „Space“ zu 4 „Mark“ erhalten geblieben ist. Je nach Ergebnis sendet sie ein entsprechendes Quittungssignal. Quittiert sie „ok“, setzt die dann wieder sendende Stelle die Nachrichtenübertragung fort. Quittiert sie „no ok“ wiederholt die zuvor sendende Stelle den als fehlerhaft erkannten Block. Die Verbindung wird auf stand-by zurückgeschaltet, wenn nach einer festgesetzten Anzahl von Wiederholungen immer noch kein „ok“ gesendet wird. In der Anlage an der Hamburger Schule war sie m.W. auf 14 Wiederholungen eingestellt.

Anders im FED-Betrieb, der ohne Gegenstelle arbeitet: Genau wie im ARQ-Betrieb muss die empfangende Stelle „eingephast“ werden. Wenn man den Beginn des Einphasens verpasst hat, muss man die Wiederholung des Einphasungssignals abwarten, das von Zeit zu Zeit eingestreut wird. Diese Einfügung ist notwendig, um Übereinstimmung zwischen dem  Takt der SITOR-Übertragung mit 70 ms-Zeichenlänge und dem Takt des TELEX-Signal mit 170 ms-Zeichenlänge (5 Signal-bit,  1,5fach verlängerter Startschritt und 2fach verlängerter Stopschritt) aufrecht zu erhalten. Auch hier wird die angebotene TELEX-Nachricht auf 7 bit-Signale umgesetzt.  Zur Sicherheit wird jedes einzelne Zeichen im Abstand von 280 ms wiederholt. Wird in der Erstaussendung ein Fehler entdeckt, wird die Zweitaussendung abgewartet. Wird sie dann als fehlerfrei erkannt, wird das Zeichen zum Druck freigegeben. Ohnehin wird erst nach Empfang des duplizierten Zeichens der Druck freigegeben. Wird  sowohl in der Erstaussendung des Zeichens als auch in der 280 ms späteren Wiederholung ein Fehler entdeckt, wird ein „Schmierzeichen“ gedruckt, meistens eine  Leertaste. 
Die gleiche Technik wie im (einseitigen) FED-Betrieb wird auch im Navtex-Verfahren verwendet. Zur Erinnerung: Navtex ist der vollständig  automatisierte Warndienst, der  auf 518 bzw. 490 kHz weltweit betrieben wird. 

Zur Technik der Funkstrecke
Das SITOR-Signal wird in der Modulationart F1abgestrahlt. Die Eckfrequenzen, „Mark“ und „Space“ zugehörig, liegen symmetrisch zur (administrativen) Mittenfrequenz, die von Amts wegen „zugeteilte Frequenz“ genannt wird. Die eine der beiden „logischen“ Eckfrequenzen liegt 85 Hz niedriger als die „zugeteilte“ Frequenz, die andere „logische“ Eckfrequenz 85 Hz höher als die „zugeteilte“ Frequenz. Der Hub von 170 Hz stammt aus der Technik der Alliierten im zweiten Weltkrieg und hat sich über die riesigen Surplus- Bestände verbreitet. Ungesicherter Funkfernschreib-Betrieb ist schon bald nach dem Krieg von Funkamateuren betrieben worden.
Um nicht neue Sender für die Modulationsart F1 beschaffen zu müssen, ist man den Weg über die SSB-Technik gegangen: Ein SSB-Träger wird mit 1415 Hz bzw. 1585 Hz moduliert, die zu den logischen Zuständen  „0“ und „1“, „Space“ und „Mark“, gehören. Folglich liegt die Sendefrequenz um die Mittenfrequenz 1500 Hz höher als die „zugeteilte Frequenz“. Im Seefunk werden im  SSB-Betrieb sowohl der

Träger als auch das untere Seitenband unter- drückt. Der SSB-Sender sendet deshalb im SITOR-Betrieb im Rhythmus der 7 bit-Signale abwechselnd auf einer Frequenz, die 1415 Hz und 1585 Hz über dem (nicht mehr vorhandenen) Träger liegt. Damit ergibt sich ein Frequenz- spektrum, das mit Ausnahme der Reste von Träger und unterem Seitenband nahezu ein F1-Signal ist. Sinngemäß werden im Empfänger die Tonfrequenzen 1415 Hz und 1585 Hz wie jedes SSB-Signal im Überlagerungsverfahren zurückgewonnen.
Administrativ arbeitet SITOR in der Modulationsart F1B, technisch ist es die Modulationart A 7J. ( A = Amplituden-Modulation, 7 = Datenübertragung, J = Einseitenband-Modulation ohne Träger). Die Modulationsart A7J unterscheidet sich von der „echten“ Modulationsart F1 durch die Reste von Träger und unterem Seitenband, die allerdings im praktischen Betrieb keine Rolle spielen.

SITOR im Seefunk
Die deutsche Reederschaft hat sich nie sonderlich für SITOR erwärmen können. Hapag-Lloyd sagte damals : „…was zu schreiben ist, geht über die Agenturen. Die Schiffe interessieren uns nicht…“. Andere Reedereien hatten während der halbjährigen Garantiezeit große Probleme mit dem „wachfreien“ Maschinenbetrieb, die fast ausnahmslos nur über die TELEX-Verbindungen ohne zusätzliche Liegezeiten gelöst werden konnten. Trotzdem haben sie SITOR in der Folgezeit nicht oder kaum eingesetzt.
Lange Jahre hat sich die IMO für die Einführung des Funkfernschreibverfahrens aus Sicherheitsgründen stark gemacht, um den Sprachschwierigkeiten zu entgehen. Geblieben ist als Option wenigstens die theoretische Möglichkeit, den Notverkehr über Funkfernschreiben abzuwickeln, denn SITOR ist Bestandteil des GMDSS. Nachteilig ist nach meiner Beobachtung die umständliche Bedienung der Anlage. (PC-Technik !). 

Die neueste Entwicklung in der Nachrichtenübertragung über See (neben INMARSAT) ist von den vielen Tausend Weltumseglern vorangetrieben worden. Seit vielen Jahren gibt es ein Netz der Weltumsegler auf Frequenzen des Amateurfunks, das sich sehr bewährt hat. So ist ein Übertragungssystem entstanden, das eMail-Verkehr  zwischen Schiff und Land erlaubt. Wie in SITOR-Systemen werden auch hier die nach wie vor vorhandenen SSB-Frequenzen des Seefunks in allen KW-Bändern benutzt. Daraus hat sich eine neue Organisation gebildet, die eMail-Küstenfunkstellen in der ganzen Welt - mit Ausnahme der US-Ostküste - betreibt. In Deutschland ist es die neue Küstenfunkstelle Kiel Radio mit dem alten Rufzeichen DAO. Inzwischen wird dieser Dienst auch der Berufsschiffahrt angeboten. Nachteilig ist natürlich die Beschränkung auf eine einzige Übertragungsart. Hierüber in einem späteren Beitrag mehr. Wer neugierig  ist, kann vorher schon Kiel Radio über Google anklicken. Das ganze Spektrum der technisch möglichen Übertragungsarten bietet natürlich INMARSAT. Welche der denkbaren Möglichkeiten von INMARSAT genutzt werden können, hängt vom Vertrag zwischen dem Reeder und INMARSAT ab. Einfach mal INMARSAT anklicken! 


¹SITOR Abkürzung für: Simplex Telex over Radio
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Version: 29-Apr-07 / Rev.: 13-Jun-11 / HBu