Der Berufsweg des Seefunkoffiziers (Stand: 1961)
von Joh. Haessler, Flensburg. -  Leiter der Abt. Seefunk der Staatl. Schiffsingenieurschule Flensburg

Eine der Funkanlagen der Staatlichen Schiffsingenieur- und Seemaschinistenschule Flensburg
Der Funkdienst ist nicht zufällig mit der Seefahrt so eng verbunden. Es lag schon in den Geburtsjahren des Funks – um die Jahrhundertwende – klar auf der Hand, dass das Anwendungsfeld einer Nachrichtenübermittlung mittels hochfrequenter Wellen dort liegen würde, wo der Einsatz des Drahtes versagte oder unmöglich war. Die ersten Funkversuche auf größere Entfernungen wurden über See durchgeführt. Der bekannte Physiker Marconi, Techniker und Organisator in einer Person, baute als erster sein weltweites Seefunk-Nachrichtennetz auf. Da es in der Natur der Funkwellen lag, Landesgrenzen und ganze Kontinente zu überspringen, mußten bereits 1906 (Berlin) weltweite internationale Vereinbarungen getroffen werden, um gegenseitige Störungen zu vermeiden und einen reibungslosen Nachrichtenaustausch untereinander – ohne Ansehen der Nationalität oder der Art des verwendeten Systems der Funkgeräte – zu ermöglichen. 1906 konnte das Morsesignal  SOS  International als Notzeichen eingeführt werden, alle Länder sicherten diesen Meldungen eine unbedingte Vorrangsbeförderung zu. Tausenden von Menschen wurden seit dieser Zeit durch SOS-Signale Leben und Gesundheit gerettet. Wieviele bange Blicke und Worte fühlten Funkoffiziere in schweren Stunden an Bord auf sich gerichtet, während sie, vor ihren Geräten sitzend, mit ruhiger Hand die Morsetaste sowie Empfänger und Sender bedienten und Meldung um Meldung abgaben und aufnahmen. Von ihrer Arbeit hing in diesen Situationen Leben und Untergang von Schiff und Besatzung ab. Der Aufgabenkreis dieses Berufszweiges im Bordbetrieb war stets eng mit der Entwicklung der Funktechnik verbunden.
Galt es in den ersten Jahren des Seefunks mit guten Betriebsfertigkeiten aber primitivsten Geräten Pressemeldungen und Telegramme für Passagiere und Besatzungen über größte Entfernungen zu übermitteln, so sind es heute die Aufgaben des Funkoffiziers zu einer sicheren und wirtschaftlichen Schiffsführung beizutragen. Hierzu werden modernste funktechnische Geräte eingesetzt, deren Pflege und Betrieb gute technische Kenntnisse in Theorie und Praxis voraussetzen.
Nicht zuletzt wirken sich im Funk in neuester Zeit auch die allgemeinen Tendenzen einer Automation der Technik aus. Im Seefunk zeichnet sich diese Entwicklung beim schnellen Ausbau der Funk-Telephoniedienste auf Grenz-, Kurz- und Ultra-Kurzwellen, bei den Ortungsfunkgeräten wie Sichtfunkpeiler, DECCA-Navigator, LORAN, dem Wetterkarten-Bildfunk u.a.m. deutlich ab. Telephon und Funk-Fernschreiber werden das Bild der Zukunft formen.
Mit dieser Entwicklung hat sich im Laufe der Zeit auch der Aufgabenkreis des Funkoffiziers mehr und mehr in den technischen Sektor verlagert. Die Berufsbezeichnung „Elektronik-Offizier“, die bei den Kriegsmarinen einiger Länder bereits angewendet wird, würde in der Zukunft die Aufgaben eines Funkoffiziers sicher treffender umreißen.
Es ist im historischen Rückblick sicher interessant festzustellen, dass an der alten preußischen „Königlichen Seemaschinistenschule Flensburg“ bereits vor 1910 Seemaschinisten im Rahmen ihrer technischen Lehrgänge an hier vorhandenen Funkstationen ausgebildet wurden. Die Schule ist der Funktechnik treu geblieben. Heute, nach 50 Jahren Seefunktechnik, sind im Funklabor modernste Geräte und Stationen installiert. Damals zierten „Luftdrähte“ zum Auffangen der Funkwellen das alte Schulgebäude. Heute ragt ein moderner RADAR-Mast über die Dächer der Schule.
Wir sind mit der Technik gegangen und wollen auch in Zukunft Schritt halten.
Welche allgemeinen persönlichen Voraussetzungen sollten bei der Berufswahl zum Seefunker erfüllt werden? – Technisches Interesse und Verständnis, schnelle Entschlusskraft und Wendigkeit, Verantwortungsbewusstsein und Selbständigkeit sind erforderlich.
Wohl bei den meisten jungen Menschen nehmen die Berufswünsche in den letzten Schuljahren festere Formen an. Hobby, Lektüre usw. lassen erkennen, ob technische oder musische Interessen vorherrschen. Denen, die physikalischen Schulversuchen aufgeschlossen und gern gefolgt sind, kann die Neigung zu einem technischen Beruf nicht abgesprochen werden.
Von dem in die Funktechnik strebenden jungen Menschen wird ein besonderes gutes Vorstellungs- und Einfühlungsvermögen in physikalisch-technische Vorgänge erwartet, da in der Lehre von den hochfrequenten Schwingungen meist nur die mittelbaren Wirkungen aber nicht die Ursachen demonstriert werden können. Jeder Mensch hat heute bespielsweise schon Rundfunk gehört, jedoch ist es noch niemanden gelungen diese Wellen sichtbar zu machen.
In den letzten Jahren ist die Entwicklung des Rundfunks, Fernsehens, der Elektronik, RADAR usw. sehr stark vorangetrieben worden. Industrie und Reparaturtechnik konnten dem Tempo kaum folgen. Viele Entwicklungen stehen noch in den Anfängen, lassen jedoch schon jetzt große Erwartungen zu. Fachpersonal ist kaum noch verfügbar. Es kann schon aus diesen Gründen kein Risiko sein, diesen Beruf zu wählen.
Mit dem Zeugnis der mittleren Reife soll der angehende Seefunker mindestens 2 Jahre praktisch in einem Elektrofach (wenn möglich in der Rundfunk- und Fernsehbranche) tätig sein. Diese Praktikantenzeit vermittelt dem jungen Menschen den noch fehlenden persönlichen Kontakt zur manuellen Arbeit im Handwerks- oder Industriebetrieb. Der praktischen Tätigkeit folgt das eigentliche Berufstudium.
An der Seefunkabteilung der Staatlichen Schiffsingenieurschule in Flensburg beginnen die Semester jeweils im März und September des Jahres.
Der Lehrplan des ersten Semesters baut auf den Grundlagen einer guten allgemeinen Schulbildung (mittlere Reife oder Fachschulreife) und den danach erworbenen handwerklichen Kenntnissen auf. Die elektro-physikalischen Vorgänge der Gleich- und Wechselstromtechnik werden in Theorie und Praxis behandelt und fundiert. Die Kenntnisse vom Wechselstrom mit seinen elektrischen und magnetischen Feldern leiten über zur Lehre von der Hochfrequenz. Die Bauelemente der Funktechnik werden eingehend behandelt und ihre Funktionen an Lehrgeräten demonstriert. Mit der Zusammenschaltung von Schwingkreisen und Verstärkerstufen wird in die Wirkungsweise von Empfängern und Sendern eingeführt. Neben den technischen Fächern nimmt der Unterricht zum Erlernen der Handfertigkeiten zur Telegraphieaufnahme und –abgabe einen breiten Raum ein. Alle Technik wäre nutzlos, oft sogar gefährlich, wenn nicht gute Betriebsführung und beste Gerätewartung miteinander harmonierten. Es werden genaue Kenntnisse der internationalen Funkbetriebsvorschriften und entsprechender deutscher Bestimmungen, z. B. über die Behandlung und Berechnung von Funktelegrammen und Funkgesprächen gefordert.
Diese ersten Unterrichtsmonate bringen dem Studierenden eine Fülle neuen Wissens und neuer Eindrücke.
So führt z. B. eine wöchentliche Exkursion die angehenden Seefunker zu Küsten- und Seefunkstellen, an Bord eines Feuerschiffes und in Industriebetriebe Schleswig-Holsteins und Hamburgs. Einige Studierende mit besonders guten Morsefertigkeiten können schon am Ende dieses ersten Semesters die Prüfung zu einem Seefunksonderzeugnis ablegen und während der zweimonatigen Semesterferien als Urlaubsvertreter auf kleineren Schiffen zur See fahren. Sie erhalten damit bereits vor dem eigentlichen Lehrgangsabschluß einen persönlichen Kontakt zur Seefahrt. Gleichzeitig verdienen sie sich damit einen finanziellen Zuschuß zu ihren weiteren Studienkosten. Im September beginnt das zweite Semester. Die Kenntnisse in allen Fächern werden erweitert und gefestigt. Zusätzlich werden Spezialgeräte der Funkortung, wie DECCA, LORAN und RADAR behandelt, und in die Grundlagen des Peilens und der Wetterkunde eingeführt.
Der gesamte Unterrichtsstoff leitet zum praktischen Funkbetrieb an den verschiedenen Geräten des Funklabors über. Modernste Funkstationen sind hier bordgerecht installiert und ermöglichen einen praxisnahen gegenseitigen Funkverkehr auf allen Frequenzen. Der Ausbildungsleiter arbeitet, räumlich getrennt, als Küstenfunkstelle mit allen Einzelstationen. Im Betrieb mit den Geräten auftretende Störungen werden lokalisiert und beseitigt. Peil- und Radargeräte werden vorgeführt, häufig auftretende Fehlerquellen gezeigt und behoben.
In freien Nachmittagsstunden werden von den Studierenden u.a. eigene Morsesummer oder einfache Empfangsgeräte in den Werkstätten der Schule gebaut. Viele Teilnehmer erwerben eine Amateurfunklizenz der Bundespost (Prüfungen werden an der Schule abgehalten), um über die Amateurstation der Schule mit Kurzwellen-Amateuren des In- und Auslandes zu funken. Es ist oft schwer, den Sender der eifrigen Funkamateure zur gegebenen Zeit abzuschalten.
Während des Studiums wird im Rahmen der Technischen Abendschule die Möglichkeit geboten, an Lehrgängen teilzunehmen. Es laufen Kurse zur Wartung von Kreiselkompaß- und Selbststeueranlagen, über Grundlagen der Elektronik, der Pflege von RADAR-Geräten sowie Morselehrgänge. Ihr Besuch wird dem Bordfunker im Beruf dienlich.
So gerüstet geht es den Schul-Abschlußprüfungen zum Erwerb des Seefunkzeugnisses II. Klasse entgegen. Die Prüfungswochen sind für die Kandidaten und die Prüfer in gleicher Weise anstrengend. – In dieser Zeit verblassen wohl auch die vielen Erinnerungen an persönliche Erlebnisse in der schönen Grenzstadt Flensburg, die auch das „Heidelberg des Nordens“ genannt wird.
Nach bestandener Prüfung kann der junge Aspirant jetzt als „Funkoffizier“ die Planken eines Seeschiffes betreten. Bald schon wird er an der Gangway seines ersten Schiffes stehen.
Mit den gemischten Gefühlen einer ängstlichen Einsamkeit und der Buch-Romantik ferner Länder findet er sich vor den vielen Geräten seiner Bordfunkstation wieder.
Die Schiffssirene reißt ihn in die Gegenwart zurück. Kommandos schallen über das Deck und die Geräusche der Schiffsmaschinen künden den Reisebeginn an. Zögernd werden die ersten Schalter an den Geräten betätigt und die von der Schule her vertrauten Morsezeichen ertönen aus dem Lautsprecher. Vorsichtig und noch langsam werden die ersten Funkverbindungen abgewickelt. In kurzer Zeit ist diese Funkstation ein vertrauter Arbeitsplatz geworden. Wichtige Meldungen der Schiffssicherheit und des Schiffsbetriebes laufen durch seine Hand. Er fühlt sich schnell in die Funktionen der Schiffsführung und den Bordbetrieb eingegliedert.
Nach den ersten Reisen kann auch er sich an den Gesprächen in der Offiziersmesse mit eigenen Berufs- und Hafenerlebnissen beteiligen. Er gehört mit zu den „Fahrensleuten“.
Nach einer mehrjährigen Seefahrtzeit in allen Fahrtgebieten kann das Funkstudium zur Vorbereitung auf den Erwerb des Seefunkzeugnisse I. Klasse fortgesetzt werden.
Im allgemeinen werden für beide Zeugnisse die gleichen technischen und betrieblichen Fächer gelehrt. Sie unterscheiden sich im wesentlichen nur nach dem Schwierigkeitsgrad in den Abschlussprüfungen.
Nach einer weiteren einjährigen Fahrzeit mit diesem höchsten Funkzeugnis wird von der zuständigen Oberpostdirektion der sogen. „Leitervermerk“ eingetragen. Damit ist der Inhaber dieses Zeugnisses zur Leitung von Bordfunkstellen aller Arten und Größen berechtigt und hat den Berufsabschluß in seiner Laufbahn erreicht. Im Bordleben rückt er mit der „Salonberechtigung“ in den Kreis der leitenden ersten Schiffsoffiziere auf. Nicht allen Funkoffizieren kann eine leitende Stellung an Bord von Fahrgastschiffen geboten werden. Die Zahl der in Fahrt stehenden deutschen Passagierschiffe ist z. Zt. gering. Aus diesen und anderen Gründen treten viele Funkoffiziere nach ihrer Seefahrtzeit in Landstellungen der Funkindustrie über, oder setzen ihr Studium zum Elektro- oder H.F.-Ingenier fort.
Abschrift (mit freundl. Genehmigung des Verfassers): Rolf Marschner

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Version: 13-Dec-06 / Rev.: 11-Jun-11 / HBu