Jack Binns Funktagebuch
Aus Modern Electrics, Februar 1909 - Übersetzung: Rolf Marschner, DL9CM

Am Morgen des 22. Januar 1909 wurde die „Republic“ kurz nach dem Auslaufen aus New York, in dichtem Nebel an der Küste von Massachusetts von der „Florida“ gerammt. Obwohl die „Republic“ zu sinken drohte, blieb sie solange schwimmfähig,  daß über Funk Hilfe von anderen Schiffen, vor allem aber die „Baltic“ herbeigerufen, und alle Passagiere und Besatzungmitglieder gerettet werden konnten. Der Notruf der „Republic“, gesendet von Jack Binns, wurde von der Küstenfunkstelle Siasconsett, auf Nantucket Island, Massachusetts, empfangen. Der nachfolgende Text gibt einen Überblick über die Kommunikation zwischen „Siasconsett“ und den beteiligten Schiffen der folgenden zwei Tage.
Die Quelle dieses Artikels ist nicht ganz eindeutig, da Binns zum Teil selbst kein Tagebuch schreiben konnte. Er wurde aus verschiedenen anderen Funktagebüchern und aus Zeitungsmeldungen zusammengestellt. Das Rufzeichen der „Republic“ war MKC, die „Florida“ hatte noch keine Funkanlage an Bord. „MSG“ war die Abkürzung für Message (Telegramm), während „CQ“, „alle Stationen Achtung“ bedeutete. Die beteiligten Schiffe hatten die folgenden Rufzeichen: „Baltic“: BC, „La Lorraine“: LI,  „Lucania“: LA,  „Furnessa“:  FI, Zollkreuzer „Gresham“
Das Funktagebuch
Es beginnt um 06:38 vormittags, nachdem Binns sich auf dem Boden seiner Kabine unter zersplitternden Holzwänden wiederfand, die über ihn hereingebrochen waren. Nach einer Schrecksekunde stürzte er in seine Station und sendete selbständig sein denkwürdiges CQD. Aufgrund der Dunkelheit in seiner Funkstation ist diese Zeit jedoch nur annähernd festgelegt. Jack Binns Funktagebuch ist eine der dramatischsten Seegeschichten, die bisher veröffentlicht wurden.
 

Jack Binns Schiff, die „Republic“/MKC der White Star Line

06:38 Sende CQD
06:40 „Siasconsett“/MSC antwortet auf mein CQD
06:41 Melde Siasconsett, daß die „Republic“ Schiffbruch erlitten hat und ich auf die Meldung des Kapitäns warte, daß meine Funkkabine zerstört ist, keine Sprechverbindung mehr zur Brücke besteht, und ich deshalb selbst dorthin laufen muß. 
06:42 Sende MSG, (Kapitänsmeldung) „Republic“ von unbekanntem Dampfer 175 Meilen östlich von Feuerschiff „Ambrose“ gerammt. Position 40.7 N 70 W.
06:45 MSC meldet, daß Schlepper in Wood’s Hole informiert und zur Hilfe beordert worden sind und daß die „Baltic“ ebenfalls informiert wird. 
Der Hebel meiner Taste ist in der Dunkelheit gebrochen.
06:50 Beobachte MSC, habe Verbindung mit der „Baltic“. Ich höre die  „Baltic“ sehr gut, aber für sie ist es nicht möglich meine schwachen  Zeichen zu empfangen.
07:00 Berichte Siasconsett gelegentlich über unsere Situation. „Macht schnell mit Euer Hilfe!“ Es ist noch pechschwarze Nacht draußen, kann meine Taste nicht sehen.
08:00 Bekomme wieder Licht, sende einige Telegramme an Siasconsett!
08:20 Siasconsett ruft uns, kann aber meine Antwort nicht hören. „Unser Schiff sinkt, versucht so schnell wie möglich zu kommen.
08:30 Die „Baltic“ kann mich jetzt hören, es ist sehr kalt hier. Ich teile ihr   die Situation mit und gebe ihr unsere Position. Einer der Stewards befördert die Telegramme jetzt, da mein Telefon nicht funktioniert, von der Brücke zu mir, und umgekehrt.
08:45 Siasconsett meldet, daß die „Baltic“ und die „La Lorraine“ zur Hilfe herbeieilen. 
- ungefähr um 08:30 kommt die „Florida“ in Sicht, ihr Vorschiff ist stark beschädigt. Sie will unsere Passagiere übernehmen, das Übersetzen beginnt!
08:46 Antworte O.K. Sende an die „Baltic“ und an die „La Lorraine“: „Beeilt euch OM‘s.“ Kein weiteres Zeichen irgendeiner Hilfe für uns. Die Passagiere sind bemerkenswert ruhig. Neben meiner Funkstation liegen zwei Tote, ich weiß nicht wer sie sind. Sie sind wahrscheinlich bei der Kollision in ihrer Kabine getötet worden.
09:12 Höre wie die „La Lorraine“ „Siasconsett“ mitteilt, daß sie schnellstens zu uns eilt. „Unsere Kessel werden bald platzen!“
09:15 Der Kapitän sendet ein Telegramm und teilt mit, daß alle Passagiere  auf die „Florida“ gebracht worden sind und alles O.K. ist.
09:47 Die La Lorraine kann mich jetzt hören, sie erkundigt sich nach der Wassertiefe und welchen Kurs sie steuern soll. Hier dicker Nebel, schwer zu navigieren, haben sie Nebel?
09:50 Ich antworte ihr, dicker Nebel hier, achten sie auf unsere Raketen, die „Florida“ ist hier, aber wir sehen sie nicht. Unsere Position 26 Meilen südwestlich von Feuerschiff Nantucket. Die „Florida“ ist stark behindert, ist an unserer Steuerbordseite und hat keinen Funk an Bord. Sie hat unsere Passagiere übernommen.
10:00 Arbeite mit der „Baltic“ und gebe ihr Kurshinweise. Der Steward teilt  mit, daß wir langsam sinken und daß ich auf das Signal zum Verlassen des Schiffes achten soll. Ich höre, daß nur zwei Passagiere getötet wurden, sie sind beim Zusammenstoß eingeklemmt worden. 
11:30 Höre leise die „Lucania“ mit Siasconsett arbeiten, sie berichtet über unsere Situation.
11:55 Erreiche selbst Siasconsett, berichte über unsere Situation und erbitte schnelle Hilfe. Es sieht ganz danach aus, daß unser Schiff untergehen wird.
12:00 Arbeite während der Mittagszeit durchgehend mit der „Baltic“, die schnellstens zu uns kommt. Erhalte etwas zum Essen aus der Pantry. Habe seit letzter Nacht nichts mehr zu mir nehmen können, bin auch nur halb angezogen.
14:00 Arbeite weiterhin mit der „Baltic“ und der „La Lorraine“, beide können uns nicht finden. Unser Schiff sinkt immer weiter, das Heck liegt bereits tief im Wasser.
15:30 Die „Baltic“ wendet sich mit „CQ“ an alle, navigiert vorsichtig! Sie kommt uns immer näher.
16:15 Habe ständige Verbindung mit der „Baltic“, sie wird in Kürze bei uns sein, sie hört unsere Raketen, Verdammt, ich wünschte, sie würde schneller sein, dieser Platz hier ist nicht sehr angenehm, aber ich werde zusammen mit dem Kapitän aushalten!
16:30 Die „Baltic“ versucht immer noch uns zu finden. Der Kapitän sagt er hört ihre Raketen im Osten. Ich frage die „Baltic“ ob es ihre waren, sie sagt ja, ich sage ihr daraufhin sie möge mehr nach Westen steuern, „großartige Zusammenarbeit“!
17:10 Die „Baltic“ teilt mit, daß sie unser Nebelhorn hören kann. Der Nebel lichtet sich nicht, es ist immer noch pechschwarz draußen.
17:12 Ich melde der „Baltic“, daß wir ihre letzte Rakete in Richtung Westnordwest gehört haben und bitte sie mehr Ostsüdost zu steuern.
17:30 Sende Telegramm an die „Baltic“
18:06 Teile der „Baltic“ mit, daß wir ihr Nebelhorn jetzt lauter hören!
18:14 „La Lorraine“ berichtet, daß sie vier Nebelhorn-Signale gehört hat, ich teile ihr mit, daß es das Nebelhorn der „Florida“ war, und daß sie zu ihrer Hilfe eilen soll, wenn sie sie findet!
18:20 Die „Baltic“ kommt uns jetzt sehr nahe. Bitte kommt vorsichtig teile ich ihr mit. Sie ist nahe unserer Backbordseite. Unser Schiff liegt bereits tiefer im Wasser. Es ist immer noch sehr dunkel! Die gute „Baltic“ kann uns nicht finden. Wir bleiben alleine hier.
18:30 Der Funker der „Baltic“ berichtet: „Wir werden Euch finden“ und daß die „La Lorraine“ und die „Lucania“ die „Florida“ gefunden haben. Gib mir genügend Hinweise, wenn wir uns Euch nähern. Ich erwidere, wir werden Raketen schießen, bitte haltet Ausschau nach ihnen!
18:40 Der Funker der „Baltic“ teilt uns mit, daß die „La Lorraine“ zur „Florida“ geht und sie uns beistehen will.
19:00 Teile der „Baltic“ mit, daß sie äußerst vorsichtig manövrieren soll, da sie bereits sehr nahe ist, wir können sie allerdings immer noch nicht sehen.
19:20 Höre Jubelrufe, sehe die „Baltic“ jetzt direkt von meiner Station aus. Tolle Sache, sie sieht verdammt gut aus. Der Nebel lichtet sich, es läuft alles wie geschmiert. Der Kapitän tauscht Grüße aus und sagt: „Kommt an unsere Leeseite und nehmt unsere Boote in Empfang. Die Funkstation wird geschlossen. Ich sage der „Baltic“ Aufwiedersehen. Aufwiedersehen old man bis wir uns wieder treffen. Ich hasse es, die „Republic“ zu verlassen. Ich nehme meine Taste und gehe nach vorne um in ein Boot zu steigen.
Zwei Tage nach ihrer Kollision mit der "Republic" schiebt sich die "Florida", mit einem Segeltuch vor dem zerstörten Bug, mühsam in den New Yorker Hafen. Die Flaggen auf halbmast zum Gedenken an die Besatzungsmitglieder der "Florida" und die Passagiere der "Republic", die ums Leben kamen.

links:
Die Florida erreicht New York

Nachdem Funker Binns seine zerstörte Station verlassen hatte, war er bis zum nächsten Tag, einem Sonntag, nicht an Bord der „Republic“. Als ein Teil der Mannschaft auf das Schiff zurück gebracht werden sollte, bestand Binns seinem Kapitän gegenüber darauf, auch wieder an Bord zurückzukehren. Binns nächste Eintragung ins Funktagebuch beginnt im 09:00 Uhr.

09:00 Kontrolliere meine Station. Sie arbeitet zu meiner Zufriedenheit, obwohl sie nur noch schwache Signale sendet. Ich melde dem Kapitän, daß die „Republic“ ein großes Loch, direkt neben dem Maschinenraum an der Backbordseite hat, notdürftig abgedichtet mit Persenninge. Sie ist zwischenzeitlich noch tiefer gesunken!
09:10 Sende ein Telegramm des Kapitäns mit der Frage, wo die Schlepper   bleiben.
10:00 Verabschiede mich von der „Baltic“, sie hat alle Passagiere der „Republic“ und der „Florida“ und ein Teil unserer Besatzung an Bord.  Arbeite jetzt mit der „Furnessia“, die zu uns gekommen ist, um uns beizustehen.
10:55 Der Zollkreuzer „Gresham“ erreicht uns. Unter Schwierigkeiten  übernimmt er über unserem Bug eine Schleppleine. Ich bitte die „Furnessia“ eine Leine an unserem Heck zu übernehmen um uns zu steuern.
11:30 Teile der „Gresham“ mit, daß sie an Steuerbord kommen soll, da die Schleppleine von unserem Backbordanker durchgescheuert wird. Die „Republic“ scheint sich zu halten. Vielleicht können wir sie retten!
11:55 Frage die „Gresham“ welchen Kurs sie nehmen will, sie antwortet  Nordwest!
12:00 Teile der „Furnessia“ mit, daß die Gresham“ einen nordwestlichen Kurs steuern wird.
12:30 Schleppversuch beginnt, es geht sehr langsam. Außer dem Kapitän sind 37 Besatzungsmitglieder an Bord. Alle befinden sich bei ihm!
13:00 Sende Telegramm an Siasconsett und teile mit, daß wir nun von der „Gresham“ geschleppt werden und, daß die „Furnessia“ hinten steuert.
14:00 Bin weiterhin auf „Stand by“, „Gresham“ und die „Furnessia“ verständigen sich.
15:00 Höre weiterhin ob uns jemand ruft, aber keiner will etwas von uns. Die „Furnessia“ und die „Gresham“ verständigen sich über das Schleppen. Kein Schiff am Horizont zu sehen. „Baltic“ und „Florida“ sind verschwunden.
16:00 Unser Schiff schwimmt weiterhin, aber ich befürchte, daß es sich nicht mehr lange halten kann.
17:00 Der Kapitän schickt seine Leute nach unten in die Boote und befiehlt mir nach vorne zu kommen. Das Schiff hat jetzt schwere Schlagseite. Ich gehe zurück um einen letzten Blick auf meine Funkstation zu werfen. Sende eine letzte Meldung an „Furnessia“ und „Gresham“ und sage „Viel Glück OM’s!“
Funker Binns und alle anderen Besatzungsmitglieder, außer dem Kapitän und dem Zweiten Offizier gingen von Bord. Sie wurden von der „Gresham“ übernommen und blieben dort an Deck stehen, um den letzten Kampf der „Republic“ mit zu erleben. Zwei Stunden später müssen die Schleppleinen gekappt werden, da die „Republic“ sinkt.
Entspannt und lächelnd steht
Jack Binns da, nachdem er in
einer 36stündigen Wache an
Bord der sinkenden "Republic"
über 200 Funksprüche aussandte.
Anmerkung:
Als die „Republic“ von der „Florida“ gerammt wurde, riß sie die Backbordwand seiner Funkkabine weg, nur das Dach hing noch über seinem Kopf. Der Vordersteven der „Florida“ war direkt neben seiner Schlafstelle auf Höhe des Maschinenraumes eingedrungen. Da seine Antenne noch intakt und isoliert war, bestand für Jack Binns die Möglichkeit seinen durch Batterien gespeisten Sender zu tasten. Das eindringende Wasser hatte sofort die Generatoren des Schiffes erreicht und überflutet. Die Reichweite seines Senders war damit auf 50 bis 60 Meilen herabgemindert. Er saß halb angezogen in bitterer Kälte, ohne Licht an seiner Station, bis ihm irgendwann Kleider und ein warmer Mantel gebracht wurden. 
Nach dem Untergang der „Republic“ konnten auch der Kapitän und der Zweite Offizier gerettet werden.
Jack Binns ist nach dem Untergang der „Republic“ noch zwei weitere Jahre als Funker auf der „Adriatic“ unter Kapitän E.J. Smith, dem unglücklichen Kapitän der „Titanic“ gefahren. Er hat dann seinen Dienst bei der Marconi-Gesellschaft aufgegeben um eine Anstellung bei einer New Yorker Zeitung anzutreten.
Zum Bericht 
'Der Untergang der Republic'

Beachten Sie zu diesem Thema auch folgenden Link:
http://rms-republic.com
 

Zollkutter „Gresham“, 
der die „Republic“ schleppte


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Version: 21-Jan-01 / Rev.: 27-Jan-06 / HBu