Die ersten Rettungsbootstationen
Fotos (4): DEBEG  und Telefunken-Zeitung  - 

Als Folge der grossen Schiffskatatrophen wie "Titanic" (April 1912) oder "Empress of Ireland" (Mai 1914) konstruierte die Marconi-Gesell- schaft eine Funkanlage, die speziell auf die Bedürfnisse in Rettungsbooten zugeschnitten war. Bereits im Frühsommer 1914 wurde ein Rettungsboot der "Aquitania" (Cunard-Line) mit einer solchen Funkanlage ausgerüstet. Sie bestand aus einem Funkensender kleiner Leistung und einem Detektorempfänger. Die Sendeantenne wurde an einem aufzurichtenden Mast angebracht. Der Erste Weltkrieg unterbrach ab August 1914 vorerst diese Entwicklung.³
Nach einer Beinahe-Katastrophe im Jahr 1923 wurde das Thema "Funk im Rettungsboot" wieder aufgenommen: Das - ehemals Deutsche und nach dem Ersten Weltkrieg von England in Besitz genommene - Frachtschiff "Trevessa" befand sich auf der Heimreise von Australien nach Europa, als es Schiffbruch erlitt. Der Funkoffizier erhielt auf sein SOS mit dem 500 Watt Löschfunkensender von Telefunken nur zwei leise und unleserliche Bestätigungen. Die Besatzung konnte sich in die beiden Boote retten. Eines der Boote erreichte nach 29 Tagen und 1556 Seemeilen die Insel Rodriguez im Indischen Ozean, das zweite Boot kam nach 25 Tagen und 1747 Seemeilen in Mauritius an.³
Ab Juli 1925 gelten in England neue Bestimmungen für Rettungsboote: Sind mehr als 15 Rettungsboote an Bord, muss eines davon, bei mehr als 20 Booten müssen zwei davon mit Funk ausgerüstet sein. Marconi stellt daraufhin eine neue Rettungsbootsstation mit einem 250 W Löschfunkensender vor. Der 2-Röhren-Empfänger ist mit Sparröhren bestückt, die Versorgungsspannung kommt aus dem von einem Petroleummotor angetriebenen Generator. Bereits im April 1926 führen 185 Schiffe unter englischer Flagge Rettungsbootfunkstationen mit.¹
Im Januar 1924 erhalten die zwei Motor-Rettungsboote des neuen Lloyddampfers "Columbus" / QLVG je eine Funkstation für die Frequenzen 500, 666 und 1000 kHz (600, 450 und 300 m). Der Sender ist ein modifizierter 200 Watt Löschfunkensender (0,2 TK) von Telefunken, der Detektor-Empfänger arbeitet im Bereich zwischen 150 und 2500 kHz. Ein über eine Kupplung vom Bootsmotor angetriebener Generator versorgt die Anlage mit den nötigen Betriebsspannungen. Die 2-drahtige Antenne ist in 6 Metern Höhe an zwei einklappbaren Masten befestigt.¹ 
Auch die beiden Motorrettungsboote der 1925 und 1926 bei Blohm+Voss in Hamburg für die Hamburg-Amerika-Linie (HAPAG) gebauten Schiffe "New York" / DJNY, "Hamburg" / DHJZ und "Albert Ballin" / DHAO wurden mit dieser Station ausgerüstet.
Unten links:  Die Bootsstation der "Columbus" ist im vorderen, nach oben geschlossenen Teil des Rettungsbootes untergebracht. Am Funkgerät befindet sich oben der Detektorempfänger, im Gehäuse sind unten rechts der Generator, unten links die typische Telefunken-Löschfunkenstrecke zu erkennen.
Ganz unten links:   Mit Funk ausgerüstetes Rettungsboot an Deck des NDL-Dampfers "Columbus". Die Anordnung der Antenne an den hochgeklappten Masten und auch der Zugang zum "Funkraum" im vorderen Bereich des Bootes sind gut zu erkennen.
Rechts:  Debeg-Rettungsbotstation Rb.St.1199 mit Umformer  Ab Mai 1928 baut die Debeg die neue Seenot Sende-/Empfangsstation Rb.St.1199. Der Tonfunkensender leistet 150 Watt und arbeitet auf 500 kHz und einer "Ausweichwelle".¹Für den Empfang ist im unteren Bereich des "Kastens" ein Röhrenempfänger eingebaut. Die Rb.St.1199 wird entweder über einen Umformer aus einer 24-Volt Batterie oder aus einem vom Rettungsbootsmotor angetriebenen Generator mit Strom versorgt. Mit dieser Station werden zunächst auch zwei Motor-Rettungsboote des neuen deutschen Passgierschiffs "Bremen" / DOAH ausgerüstet.
Ganz oben rechts (Abb. 2): Mit Indienststellung des Schwesterschiffes "Europa" / DOAI im März 1930 erhalten zwei Rettungsboote der beiden Schiffe eine von der Debeg neu entwickelte Rettungsbootstation. Zitat²: "Die Station hatte einen Funkensender, der fest auf die Seenotfrequenz 500 kHz eingestellt war. Er wurde mit Wechselstrom von 200 Volt und 500 Hz betrieben, den ein aus der 24-Volt-Batterie (von 100 Ah) des Rettungsbootes gespeister Einankerumformer lieferte. Der Umformer wurde zwangsläufig mit der Handhabung des Antennenumschalters ein- und ausgeschaltet. Im unteren Teil des wassersicht abschliessenden Kastens ist der Sender mit dem Umformer untergebracht, im oberen Teil der Empfänger. Dies ist ein Drei-Röhrengerät mit rückgekoppeltem Audion und zwei Niederfrequenz-Verstärkerstufen. Sein Wellenbereich beträgt 400 bis 900 m (333 bis 750 kHz). Ausser diesem Röhrengerät war noch ein Detektorempfänger vorhanden."

Im April und Mai 1929 tagte in London die Zweite Schiffssicherheitskonferenz (auch "Zweite Titanic-Konferenz"), die unter anderem neue Vorschriften für Rettungsbootsanlagen abfasste. Diese neuen Vorschriften wurden mit der "Verordnung über die Funkausrüstung und den Funkwachdienst der Schiffe" vom 25. Dezember 1932 in deutsches Recht umgesetzt. Danach müssen Rettungsbootstationen eine Senderstärke von 5 Meterampere haben. Ein Boot mit Funkanlage ist erforderlich, wenn die Zahl der Rettungsboote auf Fahrgastschiffen größer als 13 ist. Sind mehr als 19 Boote vorhanden, müssen zwei davon mit einer Funkanlage ausgerüstet sein.¹


Benutzte Quellen:
¹ H.-G. Korth, Bremen (2007): "Historisches rund um die Telegrafie - Seefunktechnik der Handelsmarine"
² Wilhelm Hahn, Berlin (1966): Die Einrichtungen der Seefunkstellen zu Zeiten der Deutschen Reichspost ("Archiv für das Post- und Fermeldewesen" Mai 1966)
³ H.E. Hancock (1950): "Wireless at Sea - The First Fifty Years"
Bildnachweis:

Abb.1, Abb.3 und Abb.4  Quelle: div. Telefunken-Zeitungen (20er und 30er Jahre / Mit freundl.Genehmigung des DTM / 2009 / Herr Schmalfuss)
Abb.2  Quelle: Jubiläumsband "25 Jahre DEBEG" (1936)
Zur Seefunk-Homepage
Version: 08-Mar-08 / Rev.: 06-Jun-06 / 18-Aug-11 / HBu