Auf in den Pazifik
Bericht für Seefunknetz.de von: © 2008 Hans-Joachim Brandt, DJ1ZB

Mein drittes Schiff, Heinrich Schulte/DCUW, war für ein Jahr in den Pazifik verchartert. Ein Jahr ohne Urlaub bedeutete auch einen Heuerzuschlag von 25%. Der Charterer war die Scarlet Line (SL), so genannt, weil sie über viele Monate einen speziellen Fährdienst von Dänemark nach Schweden betrieben hatte, damit die Dänen den Film „Vom Winde verweht“ sehen konnten, der in ihrem Land damals verboten war. 
Oben: Das Dampfschiff "Heinrich Schulte" / DCUW gehörte der Emdener Reederei Schulte & Bruns.
Das Schiff sah ich zuerst im Sommer 1957 in Lübeck im Trockendock. Die Buchstaben „SL“ prangten bereits am Schornstein. Die Funk- station war gleichzeitig meine Kabine und lag im Brückenaufbau steuerbord hinten; nebenan auf der Backbordseite war der Kartenraum. Ein Debeg-Mechaniker war noch an Bord. Der kam mir gerade recht, denn mit der Einrichtung der Funkstation war ich so nicht zufrieden. 
Genau dort, wo auf dem Tisch zu rechter Hand die Morsetaste hingehört, hatte jemand einen Notempfänger H2L/7 montiert und damit die halbe Tischfläche belegt. Der Mechaniker ging auf meine Vorschläge ein, diesen Empfänger oben auf dem Gehäuse des Hauptempfängers E 66a auf der linken Tischseite zu befestigen und mir noch eine weitere Antennensteckdose mit einem Kabel zu einem freien Kontakt am Antennenwahlschalter zu montieren. Ferner wünschte ich mir eine Kopfhörerleitung vom E66a zum Chronometer im Kartentisch, damit man nicht das Zeitzeichen bei offenen Türen mit voller Lautsprecherstärke über die Brücke in die hinterste Ecke des Kartenraumes blasen musste. Denn wie gut die Zeitzeichen im Pazifik zu empfangen sein würden, wusste ich noch nicht. Aber der Mechaniker zeigte Verständnis für meine Wünsche und war wirklich sehr hilfsbereit. Zum Schluss erklärte er mir noch einige Besonderheiten der Funkstation, und danach fühlte ich mich fast schon wie zuhause. Weitere Geräte in der Station waren ein Mittelwellensender S 356S und ein Kurzwellensender S 540 sowie das für Schiffe mit nur einem Funker vorgeschriebene Autoalarmgerät (Lo572). Sprechfunk gab es nicht. Im Kartenraum war ein Peiler E 374N montiert. Die Hauptantenne war eine klassische T-Antenne von Mast zu Mast; die Notsendeantenne ein Draht von der Funkkabine zum Schornstein und weiter zu einem Mast am Steuerbordende des Bootsdecks. Ein genauso gespannter Draht backbord diente als Empfangsantenne; als zweite Empfangsantenne führte ein Draht zum Flaggenstag. Nach und nach lernte ich dann auch den Kapitän und die übrige Besatzung kennen.

Von Hamburg nach New York
Nachdem das Schiff im Dock wieder aufgeschwommen war, fuhren wir zunächst durch den Nord-Ostsee-Kanal nach Hamburg, um Zement für New York zu laden. Bei 10 Knoten Reisegeschwindigkeit brauchten wir bis dorthin drei Wochen. Unsere Dampfmaschine hatte einen Hochdruck- und einen Mitteldruck-Zylinder, und dahinter wurde bei stetiger Vorwärtsfahrt noch eine Abdampfturbine mit Kondensator angekuppelt. Die Gesamtleistung betrug 1250 PS. Die Schraube drehte mit 100 Umdrehungen pro Minute, und das Schiff fuhr daher sehr ruhig und vibrationsarm. 
Als Funker lebte man an Bord ständig mit zwei verschiedenen Zeiten. Alle Funkaktivitäten liefen unter GMT, der Normalzeit des Längengrades Null. Das Leben an Bord läuft aber nach der Bordzeit ab, die sich vor allem bei Reisen in West- oder Ostrichtung täglich ändert. Genau genommen gibt es zwei Arten von Bordzeiten. Die eine ist die sogenannte Zonenzeit und ändert sich alle 15 Längengrade um eine Stunde, wie es heute auch auf Kreuzfahrtschiffen anzutreffen ist. Daneben gibt es noch die wahre Ortszeit. Die wird verwendet, wenn der Kapitän den Ehrgeiz hat, jeden Tag um 12 Uhr Bordzeit beim Nehmen des Mittagsbestecks die Sonne im Zenith zu haben. Das Nehmen des Mittagsbestecks war früher fast ein sakraler Akt, zu dem alle nautischen Offiziere mit ihren Sextanten auf die Brücke kamen. Die wahre Ortszeit für den folgenden Tag muss natürlich nach Kurs und Geschwindigkeit des Schiffes vorausberechnet werden. Das Umstellen der Borduhren erfolgte in der Wache von 0-4 Uhr. Die Uhr im Funkraum zeigte GMT an (heute UTC).  Da ich keine Armbanduhren mag und die Essenszeiten nicht versäumen wollte, benutzte ich zur Anzeige der Bordzeit einen Wecker, der auf ein quadratisches Brett geschnallt war, damit er bei Seegang nicht umfiel. Die Nebenarbeiten des Funkers hielten sich bei Schulte & Bruns in Grenzen und beschränkten sich auf gelegentliche Schreibarbeiten mit der Maschine, das Anlegen von Zoll-Listen und dem Auszahlen von Vorschüssen.
Die Atlantikroute kannte ich schon, von Reisen nach Kanada her. Alle zwei Tage ging ein Positionstelegramm an unsere Reederei Schulte & Bruns, eine Maßnahme, die man nach dem Untergang der Melanie Schulte / DICR eingeführt hatte. Ferner nahm ich die Wetterberichte von Portishead Radio / GKU, für den östlichen und danach die von Washington Radio / NSS, für den westlichen Nordatlantik, später auch für den östlichen Pazifik. Alle Wetterberichte wurden in Morse gesendet. Bei schwerer See hörte man nicht selten nach diesen Wetterberichten auf 500 kHz einen CQ-Ruf: “Ani got wx NSS (oder GKU)?“ Das musste nicht bedeuten, dass der Funker den Wetterbericht verschlafen hatte. Von einem Besuch auf einem französischen Liberty-Schiff im Hafen von Casablanca wusste ich, dass in manchen Funkkabinen noch Empfänger aus der Zeit des 2. Weltkrieges in Gebrauch waren. Sie ließen beim Drehen der Abstimmung ein Krachen hören, wegen schlechter Kontaktgabe der Rotoren der Drehkondensatoren, und waren mechanisch so labil gebaut, dass sie beim Vibrieren des Schiffes im Seegang den eingestellten Sender verloren. Bis man den Empfänger wieder richtig abgestimmt hatte, war ein Teil des Textes verloren, und dieses Problem konnte sich ja wiederholen! Wichtig für die Bindung an die Heimat war natürlich die Schiffspresse des Hamburger Abendblattes, die über Norddeich Radio, DAN, gesendet wurde. Für deren Aufnahme benutzte ich nach Möglichkeit die Schreibmaschine mit zwei Durchschlägen, für jede Messe ein Exemplar. Aber manchmal arbeitete auch mein neues, knapp 100 m langes Schiff bei schwerer See dermaßen, dass der Buchstabenvorschub der Schreibmaschine nicht mehr funktionierte und ich dann alles lieber mit der Hand aufnahm, als öfter mehrere Buchstaben übereinander zu tippen und das dann ausbessern zu müssen. Dieses Problem mit der Schreibmaschine war auch davon abhängig, ob der Arbeitstisch der Funkkabine längs oder quer zur Fahrtrichtung des Schiffes angeordnet war. Aus den gleichen Gründen war die normale Handmorsetaste am zuverlässigsten. Diese musste ich auf dem Tisch festschrauben, denn einmal baumelte sie am Kabel hängend vom Tisch herunter, als ich vom Essen wieder auf Wache kam. Auch eine Schlackertaste mag keinen Seegang; das mechanische Pendel arbeitet bei Schieflage unregelmäßig. Elektronische Tasten waren zu jener Zeit noch röhrenbestückt und selten. Der Koch in der Kombüse und die Stewards in den Messen hatten natürlich auch ihre Not mit dem Seegang. Solange er sich noch in Grenzen hielt, bewahrten doppelt aufgelegte angefeuchtete Tischtücher das Geschirr vor dem Rutschen. Kam es schlimmer, konnte man am Tischrand Leisten hochklappen oder aufstecken, die dann (fast) alles auffingen, was ins Rutschen gekommen war, auch wenn Gläser und Tassen sich dann schon geleert hatten. 
Die Küstenfunkstellen bei New York, WCC und WSL, betrieben von RCA bzw Mackay Radio, waren mit ihrer hohen Leistung von bis zu 40 kW oft schon mitten im Atlantik zu hören. Immer wieder gab es dann auch Schiffe, die sie vergeblich riefen. Vielleicht hatten diese nur einen Mittelwellensender, wie es der internationale Schiffssicherheitsvertrag für ein Frachtschiff über 1600 BRT als Mindestausrüstung verlangte, und probierten es halt. Aber die Entfernung war in Wirklichkeit noch so groß, dass man mit einem Kurzwellensender noch auf dem 8-MHz-Band rufen würde.
Wenn sich ein Schiff dem Ziel näherte, waren die Nautiker früher immer bemüht, Ortsbestimmungen möglichst in Bezug auf die nahende Küste zu machen. Auf meiner ersten Reise nach Kanada kam der 1. Offizier zu mir und sagte, er könne das Funkfeuer von Cape Race nicht hören. Ich rief dann Cape Race Radio / VCE,  an, und man schaltete es ein.

Oben:  Das Leuchtfeuer von Cape Race an der Südost-Spitze Neufundlands. Der hohe Sendemast vor dem roten Gebäude rechts vom Leuchtturm ist ein Sender für Loran C und war für einige Jahre das höchste Bauwerk Kanadas.
Als der 1. Offizier mit der Peilung fertig war, fragte ich ihn, mit einem Peilstrahl könne er doch keine Ortsbestimmung machen, was er denn als zweites Kriterium nehme. Da schmunzelte er und sagte, er messe mit dem Echolot die Meerestiefe. Mit dieser zusätzlichen Angabe könne er auf der Seekarte die zugehörige Tiefenlinie finden und damit auch unsere Position. Heute, in der Zeit des GPS, mögen solche Methoden vorsintflutlich anmuten, aber in den 50iger Jahren mussten die Nautiker noch anwenden, was sie gelernt hatten.
Unmittelbar vor New York war die Arbeitsweise von WCC und WSL auf 500 kHz gekennzeichnet durch die generelle Verwendung der Schlackertaste (Vibroplex-Bug), eine vorbildliche Gebeweise und sehr knapp gehaltene Anweisungen. Zwischen den Rufzeichen wurde „de“ generell weggelassen; offensichtlich wollte man sich die schon erwähnte hohe Sendeleistung im Nahbereich „nicht unnötig um die Ohren hauen“. Auf diese Weise machten die Operateure indirekt auch gute Reklame für ihre Telegrafengesellschaft; schon bald fühlte ich mich irgendwie zu Mackay hingezogen. Auf den Arbeitsfrequenzen dagegen konnte der Gebestil durchaus ungezwungener sein; mehr zum Süden hin und im Golf von Mexico galt das dann auch für 500 kHz.

New York
New York war für mich noch neu, und so war es schon beeindruckend, wie wir an der Freiheitsstatue vorbeifuhren und dann die Skyline von Manhattan auftauchen sahen, die ich bislang nur von Bildern kannte. Mein QTP (Einlaufmeldung) gab ich sowohl an die Hafenfunkstelle WSF von Mackay Radio als auch an WNY von der RCA, zumal ich noch nicht wusste, über welchen Weg wir Telegramme erhalten würden. Spannend war auch die Durchfahrt unter der Brooklyn Bridge (Fotos unten), obwohl wir eigentlich annehmen mussten, dass sie auch für die Durchfahrt größerer Schiffe bemessen war. Dann machten wir an einer Pier im Stadtteil Queens fest.

Von dort fuhr ich mit der U-Bahn erst zur Grand Central Station in der 42. Straße und streifte dann durch Manhatten bis hinunter zur Battery. In einer fremdsprachigen Stadt ist man natürlich immer besonders anfällig für deutsche Laute: „Warum willst denn Du nun unbedingt hinter dem her und ihm sagen, wo das ist! Er hat doch etliche Leute gefragt, und keiner hat es ihm sagen können“. Gut, dass ich nicht an solche Landsleute geraten war, denn auf der Rückfahrt verbiesterte ich mich in der U-Bahn, fand aber an einem Schaubild der U-Bahn-Linien immer hilfsbereite Leute, die mir den richtigen Weg zurück zum Schiff weisen konnten. 
Aber am nächsten Tag wollte ich mir doch einen Stadtplan mit den U-Bahnlinien besorgen und fragte in einem Buchladen danach, wie in Deutschland üblich. Aber dort führte man ihn nicht, den gab es nur beim Verwaltungsgebäude der U-Bahnen. Aber auf dem Wege dorthin hätte ich mich ja wieder verirren können. Der Verkäufer zeigte schließlich Verständnis für meine Lage und gab mir seinen eigenen Plan von der YMCA, er würde schon wieder einen bekommen. Die YMCA (unserem CVJM nicht vergleichbar) habe ich auch anderswo bei späteren Anlässen stets in guter Erinnerung behalten. Damals  wurde an der Day Line Pier am Hudson River auch die Mayflower II gezeigt, ein Nachbau des berühmten Einwandererschiffes, gerade mal 35 m lang! Vergleichsweise kam ich mir auf unserem 96 m langen Schiff doch schon sehr gut aufgehoben vor. Am letzten Tag fuhr ich noch einmal mit unserem Chief (Leitenden Ingenieur) und dem 2. Ingenieur nach Manhattan auf den Aussichtsturm der Radio City. Abends war ich immer froh, wieder an Bord zu sein, denn New York empfand ich irgendwie als eine sehr hektische Stadt. Ein US-amerikanischer Tänzer, der an der Bayerischen Staatsoper engagiert war und den ich später in München traf, konnte das nachfühlen. Er hätte in New York immer Verdauungsstörungen.

Nach Süden 
Unsere nächste Fracht nach Vancouver übernahmen wir in Newport News. Dazu fuhren wir an der Chesapeak Bay vorbei, wo noch viele „eingemottete“ Liberty- und Victory-Schiffe aus dem 2. Weltkrieg vor Anker lagen, und ein Stück in den James River zu einer Verladerampe. Es war Sommer und hier im Inland stieg die Temperatur auf 40 Grad Celsius an. Aber wir mussten Türen und Fenster schliessen, denn beim Laden eines weißen Pulvers für die Sprengstoffherstellung staubte es ungemein und reizte Augen und Nasen. 

Nachdem wir wieder auf See waren, rief ich auf 500 kHz WSL an, um mein TR (travel route) abzugeben. Dann wurde ich von 5LBM gerufen. Das war ein ehemaliger Kollege von Norddeich Radio, der auf „Allen D. Christensen“ (Foto links) mit Erz von Peru nach den USA unterwegs war und wohl erfahren hatte, auch welchem Schiff ich inzwischen fuhr. Wir verabredeten uns für später auf 8 MHz.
Dann ging die Reise weiter nach Süden, zwischen Cuba und Haiti hindurch und auf den Panamakanal zu. In der Karibik stieg die Lufttemperatur auf 36 Grad und die des Wassers auf 33 Grad, und die Leistung unserer Abdampfturbine fiel spürbar ab. 
Sonnensegel
Trotz der hohen Temperaturen wurde die Fahrt aber recht angenehm, nachdem die Matrosen über dem Bootsdeck, dem Peildeck und dem Heckaufbau Sonnensegel gespannt hatten. Die Decks und die Räume darunter wurden nicht mehr so heiß, und der Wind strich unter den Sonnensegeln hindurch und wirkte ungemein erfrischend. Nach diesem Prinzip hatten die Portugiesen ja in den Tropen auch Häuser gebaut, dessen oberstes Stockwerk niedrig und offen war und von Luft durchströmt wurde. Nur einmal hatte ich Probleme mit einem Sonnensegel: Die Matrosen hatten es so gespannt, dass es über dem Schutzkorb des Durchführungsisolators der Hauptantenne lag und die Antenne berührte. Auf Kurzwelle machte das nicht aus, aber auf Mittelwelle ließ sich die Antenne nicht mehr abstimmen! Ich musste darum bitten, das Sonnensegel etwas auf Abstand zu verspannen. Auf Mittelwelle hat so eine T-Antenne durchaus eine Impedanz von über 50000 Ohm und ist daher gegen solche Berührungen extrem empfindlich, selbst wenn es scheinbar nichtleitende Stoffe sind. Aus dem gleichen Grunde werden Mittelwellenantennen bei schlechtem Wetter beeinträchtigt, wenn sich ihre Isolatoren mit einer Salzkruste überziehen. 
Um diese Zeit hatte Norddeich Radio die Aussendung der Schiffspresse, die sonst nachts auf 8 MHz gesendet wurde, auf 22 MHz und nach unserer Ortszeit auf den Nachmittag gelegt. Unter den neuen Bedingungen war der Empfang mit der hohen Hauptantenne am besten, und ich freute mich nachträglich, dass ich mir für solche Fälle das Kabel zum Empfänger hatte legen lassen. Aber dann vernahm ich im Kopfhörer das Knacksen eines Blitzschlages, und kurz darauf noch einmal. Wenn auf so hohen Frequenzen ein Blitz zu hören ist, schoss es mir durch den Kopf, dann muss das Gewitter sehr nahe sein. Also: Schluss mit der Presse; sofort an dem großen Messerschalter an der Kabinendecke die Hauptantenne erden! Bald darauf hörten wir alle an Bord Blitz und Donner gleichzeitig; es hatte unser Schiff erwischt. Ein Matrose, der an der vorderen Ladeluke stand und die Hand auf den Lukenrand gelegt hatte, spürte die Schrittspannung des Blitzstromes über das Deck. Aber mein Empfänger war noch einmal davongekommen! 
Panamakanal
Es dauerte ziemlich lange, bis ich mein TR bei der Kanalfunkstelle NBA los werden konnte. Auf 500 kHz waren die atmosphärischen Störungen (QRN) einfach zu stark, schließlich erwischte ich die Station auf 4 MHz (wegen dieses QRN gibt es ja auch die Tropen- Rundfunkbänder). Die Nacht hindurch lagen wir in Cristobal und bunkerten Heizöl. Am frühen Morgen kam der Kanallotse und ließ die Drahtantenne seines (10-m)-Sprechfunkgerätes durch ein geöffnetes Brückenfenster am Flaggenstag hochziehen. Dann ging es in den Panamakanal hinein. Zwischendurch wurde gemeldet, dass ein Heizer und ein Leichtmatrose vermisst werden. Einer von beiden hatte schon längere Zeit in Costa Rica gelebt und sprach fließend spanisch, und man musste annehmen, dass beide nach dorthin desertiert waren. Der Lotse setzte per Funk noch eine Meldung an die Polizei ab, aber die beiden hatten offenbar schon sehr früh die Grenze nach Costa Rica überschritten. Damals war es auf Schiffen unter deutscher Flagge noch üblich, dass nur in einem deutschen Hafen an- und abgemustert werden konnte. Die Reederei würde uns also mit dem Flugzeug zwei neue Leute zum nächsten Hafen nachsenden.
Auf der Fahrt zu den Gatunschleusen (Fotos oben) zeigte man mir die Stelle, an der Ferdinand de Lesseps, der Erbauer des Suezkanals, schon 1882 die Arbeiten an seinem Panamakanal begonnen hatte, der wie der Suezkanal ohne Schleusen auskommen sollte. Der dann von den USA bis 1914 verwirklichte Kanal nutzt jedoch für die Inlandspassage eine Anhebung des Wasserweges um 26 m. 
Dazu wurde der Gatunsee zu einer größeren befahrbaren Wasserfläche aufgestaut, was auch die Arbeiten am Gaillard-Cut durch das Gebirge im letzten Drittel des Weges erleichterte. In der Abenddämmerung passierten wir schließlich die Pedro Miguel- und die Miraflores- Schleusen und setzten dann im Pazifik unsere Reise nach Vancouver fort. Erste Bunkerstation sollte San Pedro bei Los Angeles sein.
Auf dem Wege dorthin fiel bei einer Funkverbindung mit meinem Norddeich-Kollegen mein Kurzwellensender S 540 aus, obwohl er nur mit 50 Watt Leistung betrieben wurde. Zwar war das Schiff nicht ausrüstungspflichtig für Kurzwelle, aber so weit entfernt von der Heimat sollte man Kurzwelle schon haben. Als Funkamateur hatte ich meinen Röhrensender selbst gebaut, daher traute ich mir auch zu, den S 540 zu reparieren. Die Hochspannungswicklung des Netztransformators hatte einen Masseschluss. Also setzte ich ein Telegramm an die Reederei auf, bei der Debeg einen neuen zu bestellen und per Luftfracht zum nächstmöglichen Hafen schicken zu lassen. Auf 500 kHz fand ich dann ein US-amerikanisches Schiff, dessen Funker sich bereit erklärte, das Telegramm auf Kurzwelle über Norddeich Radio zu schicken. Nach dem Wechsel auf eine Arbeitsfrequenz gab ich ihm den deutschen Text „QSZ“, also jedes Wort zweimal. Dann wiederholte er sicherheitshalber den Text, und ich habe noch nie einen „Ami“ so fließend einen deutschen Text geben hören, ein eindeutiger Vorteil der buchstabenweisen Morseübermittlung, über alle Sprachbarrieren hinweg! Bei unserer Ankunft in San Pedro war der neue Transformator schon mit der Post dabei, im Gegensatz zum defekten sogar einer in vergossener Ausführung. Die Lage und Farben aller Drahtanschlüsse hatte ich mir aufgezeichnet; also wurde jetzt der alte Trafo ausgebaut, der neue montiert und alle Drähte wieder angelötet; dann ging der Sender wieder. Den Kontakt zu meinem Kollegen auf 8 MHz hatte ich allerdings verloren. Dafür hörte ich von jetzt an auf Kurzwelle gelegentlich Stationen miteinander morsen, die scheinbar sehr oft zwei Zeichen zu einem zusammenzogen; verstehen konnte man nichts. Aber das waren Japaner mit ihrem Kata Kana Radio Code, der für die japanische Pinselschrift neben den Zeichen des ITU-Alphabets auch noch diverse Kombinationen mit fünf oder gar sechs Elementen benutzt. Nur Klammer, Fragezeichen und Anführungszeichen und wohl die Zahlen entsprechen direkt dem ITU-Alphabet.
Auf dem weiteren Seeweg  nach Vancouver wurde ich nachts einmal von der Brückenwache geweckt: Das Autoalarmgerät klingelte, ich hatte es nicht gehört. Also Empfänger einschalten und hören, was auf der Seenotfrequenz 500 kHz los ist. Galveston Radio, KLC, eine am Golf von Mexiko gelegene Küstenfunkstelle, wiederholte mit seinem 5-kW-Sender die SOS-Meldung über den Untergang des deutschen Segelschulschiffes Pamir / DKEF! Durch die Raumwelle nachts war diese Station auch im Pazifik zu hören. Von der Katastrophe waren wir natürlich viel zu weit entfernt, aber doch betroffen, vor allem nachdem wir über die Deutsche Welle und später über Zeitschriften weitere Einzelheiten erfuhren. Im Pazifik arbeitete ich meistens über die Mackay-Station Palo Alto Radio / KFS (wörtlich „tiefer Sumpf“, also gut geeignet für die Erdnetze von Mittelwellenantennen) bei San Francisco, dem Sitz der Vertretung unseres Charterers. Die KFS-Funker hatten beim Geben einen eigenen Gag: Bei der Ankündigung der Sammelanrufe (tfc list) ließen sie im Wort „list“ zwischen „i“ und „s“ nur eine halbe Strichlänge Abstand, auch der Doppelstrich am Schluss hatte mehr Punkte als nötig, so als wenn sich hier an der Westküste auch das spanische Element der kalifornischen Bevölkerung noch in der Funkerei bemerkbar machte. Aber arbeiten konnte man mit KFS ausgezeichnet.
Dann erreichten wir Vancouver Island und die kleine Insel James Island, auf der sich nur eine Sprengstoff-Fabrik befand, sicher ist sicher. Mein QTP gab ich an Victoria Radio, VAI. Das Löschen unserer Ladung dauerte 8 Tage. Wir mussten alle an Bord bleiben, es war keine einfache Zeit. Der Rest unserer Ladung war für New Westminster bestimmt, südlich von Vancouver. Dort hatte ich neun Besatzungsmitglieder zum Arzt zu führen. An Land hat ein Funker ja sonst nichts zu tun; außerdem muss er für sein Funkzeugnis ohnehin englisch (oder eine andere weltweit verbreitete Sprache) können; also kann er auch solche Tätigkeiten übernehmen.
Oben:  Vancouver Island. James Island liegt nord-östlich von Victoria, Port Thasis ist im nördlichen Westen eingezeichnet.
In Vancouver erfuhren wir auch, dass wir nicht weiter nach Alaska fahren würden, wie es in Hamburg noch geheißen hat, sondern über Hawaii nach Tahiti! Für die neue  Reise luden wir Holz in Tacoma und bei einem großen Sägewerk in Port Thasis, einsam gelegen am Ende eines langen Fjords auf der Westseite von Vancouver Island. Für die schnelle Verbindung mit der Zivilisation stand ein Wasserflugzeug zur Verfügung; Proviant kam alle zwei Wochen per Schiff. Angesichts der hohen Berghänge des Fjords kam uns unser Schiff so winzig vor, und die Seeleute meinten mitleidig, von hier aus sei es wohl nichts mit einer Funkverbindung nach Norddeich Radio. Nun, Telegramme dorthin hatte ich nicht, aber auf 16 MHz war DAN durchaus zu hören; ich rief aber nicht an. Die Schiffspresse von DAN konnte ich aber nicht mehr aufnehmen; Frequenz und Zeit waren zu ungünstig geworden. Dafür konnten wir selbst im Pazifik die Deutsche Welle für Nordamerika im 25-m-Band hören; der Großkreis dieser Aussendung führte weiter bis in die Südsee!
Auf unseren weiteren Routen im Pazifik war Europa am sichersten auf 12 MHz zu erreichen, wenn sich die eine Station noch in der Dunkelheit und die andere in der Dämmerung befand. Da DAN zu den für mich günstigen Zeiten keine Wache auf 12 MHz hatte, arbeitete ich gerne über die dänische Küstenfunkstelle Lyngby Radio, OXZ. Diese tastete mehrere Sender auf bis zu vier Kurzwellenbändern parallel und wechselte das Anrufband in kurzen Abständen, so dass ich das günstigste Band schnell herausfinden und nutzen konnte.

Hawaii
Auf dem Weg nach Honolulu waren manche Besatzungsmitglieder enttäuscht, dass die Rundfunksender dort keine Hawaii-Musik sendeten, sondern genau das gleiche Gedudel wie auf dem Festland der USA. In besonderer Erinnerung ist mir noch KHVH, ein Rundfunksender im Hawaiian Village Hotel an Strand von Waikiki, mit seiner typischen Ansage: „This is käi äitsch wi äitsch in Honolulu, the most listened station to“. Jeden Vormittag interviewten Reporter dieser Station die Hotelgäste beim Frühstück, fragten, wo sie her kämen, womit sie ihr Geld verdienen, was sie schon erlebt haben auf der Insel und anderes mehr, quasi eine Art drahtloser „who is who and who is here“ zur Information aller Zuhörer.

Trotz der schon bestehenden Flugverbindungen fuhren damals noch viele US-Urlauber von San Francisco und Los Angeles aus mit dem Schiff nach Hawaii, was viereinhalb Tage dauerte. Am häufigsten hörte ich die Lurline / KIEK (Foto rechts), die schon vor dem 2. Weltkrieg diese Line befuhr. Inzwischen aber hat sich das Flugzeug allgemein durchgesetzt, und die Pier auf Oahu mit dem bekannten Aloha-Tower ist touristisch umgestaltet worden und deshalb immer noch ein Anziehungspunkt. 
Bei meinem ersten Kontakt mit der Küstenfunkstelle Kahuku Radio, KHK, war ich etwas erstaunt, nahm es aber gelassen. 
Das Folgende ist für Nichtfunker vielleicht nicht sofort zu verstehen, daher kurz eine Übersetzung: de = von, pse = bitte; k = kommen; r = in Ordnung, verstanden; QSW = ich gehe zum Senden auf … kHz; UP = ich gehe auf die angegebene Arbeitsfrequenz.

Ich rief an: „KHK (3x) de DCUW (3x) pse k“
Antwort: „DCUW de KHK r k“
Ich wieder: „qsw 480“
Antwort: „r k“
Ich nochmals zur Sicherheit: „UP“

KHK hörte mich dann auch auf 480 kHz und antwortete auf 484 kHz, wie ich es zur Vorbereitung des Anrufes im Verzeichnis der Küstenfunkstellen nachgelesen hatte. Hatte man sich an diese Eigenheit gewöhnt, konnte man aber mit KHK problemlos arbeiten. Verständnisvoll schmunzeln musste ich aber, als ich bei einer anderen Gelegenheit mithörte, wie der britische Liner Orsova / GNDL  (Foto rechts), den wir später einmal im Hafen von Vancouver sahen, KHK anrief. KHK reagierte genau so. Der Funker auf GNDL aber fühlte sich offenbar auf den Arm genommen und legte sich mit dem Funker von KHK an.

Foto unten:  Die Funkstation von Marconi-Marine auf dem britischen Passagierdampfer "Orsova" / GNDL  (Baujahr 1954)

Weiter nach Tahiti
Unser erster Aufenthalt in Honolulu war nur kurz. Nur wenig Holz war hier auszuladen, und für ausgedehnte Landgänge blieb keine Zeit. Mit zwei Mann musste ich allerdings wieder zum Arzt, denn die medizinischen Untersuchungsergebnisse von Vancouver waren nach hier übermittelt worden. Der Arzt zeige mir, wie man eine Penicillinspritze aufzieht und den Delinquenten 2 ccm intramuskulär ins Gesäß verabreicht. Das hatte ich dann an Bord unserem 2. Offizier (der auf Schiffen, die keinen Arzt fahren, üblicherweise dessen Aufgaben übernimmt, soweit zumutbar) zu erklären. Unerwartet bekamen wir an Bord noch Besuch von Mitarbeitern des US Hydrographic Office. Sie baten uns, im Südpazifik, wo nur wenige Schiffe unterwegs sind, im Rahmen des geophysikalischen Jahres 1957 Wetterbeobachtungen zu machen und diese als Wettertelegramme (OBSe) möglichst an nichtkommerzielle Küstenfunkstellen zu übermitteln, z. B. an Stationen der US Coast Guard. Für die Wetterbeobachtungen erhielt der 2. Offizier eine Menge Material über Wolkenbilder und andere Daten, mit denen er zunächst seine Mühe hatte. Als Belohnung für diese Arbeit lieferten die Amerikaner uns vorweg ausgezeichnetes Kartenmaterial über den Südpazifik. Unser Kapitän freute sich besonders über die darin enthaltenen detaillierten Angaben über  Meeresströmungen, die  für unser langsames Schiff durchaus interessant waren.
Die Verschlüsselung dieser Daten in den OBSen und ihre Übermittlung fiel natürlich mir zu; auch der deutsche Nautische Funkdienst des Deutschen Hydrografischen Institutes enthielt entsprechende Unterlagen. Im westlichen Mittelmeer hatte ich damit schon OBSe entschlüsselt, die andere Schiffe auf Mittelwelle an Küstenfunkstellen übermittelten, um aktuelle Wetterdaten zu enthalten. Denn mit den Vorhersagen der Wetterberichte für das Mittelmeer war das manchmal so eine Sache.

Äquatortaufe
Bevor wir die südliche Erdhälfte befahren durften, war natürlich die Äquatortaufe fällig. Das war bei uns gar nicht so einfach, denn von 29 Mann Besatzung waren 20 nicht getauft, auch der Bootsmann und ich nicht. Daher stellten wir beide als „unwürdige Abgesandte Neptuns“ zunächst einen Schlachtplan auf. Der Bootsmann baute mit den Matrosen auf Luke 3 (der dritten Ladeluke vom Bug aus, hinter dem Mittschiffsaufbau) zwischen den Ladebäumen mit einer großen Persenning ein „Taufbecken“, das mit Seewasser gefüllt wurde. 

Der Koch, der schon getauft war, stellte aus nicht sonderlich wohlschmeckenden Zutaten Drinks für die Täuflinge her, und ich hatte 20 Taufnamen zu erfinden, die möglichst alle einen Bezug zur Südsee haben sollten, und schrieb sie auf eine lange Papierrolle hinter die Namen der Täuflinge. Die wurden dann der Reihe nach aufgerufen, bekamen zunächst vom Koch ihren „Schnaps“, wurden dann mit einer Senfbrühe und anderen Deftigkeiten übergossen und hatten dann von selbst den Drang, im Taufbecken von alldem wieder befreit zu werden. Bedingt durch diesen Ablauf kam der Bootsmann als zweitletzter dran und ich als letzter. Die schon Getauften schauten vom Bootsdeck aus amüsiert dem Treiben zu, sofern sie nicht auf der Brücke oder im Maschinenraum auf Wache waren. Danach gab es Freibier. Später bekam jeder Täufling eine Urkunde.
Auf dem Wege nach Tahiti mussten wir einige unbewohnte Inseln passieren, wie Starbuck und Vostok. Unser Schiff hatte noch kein Radar, und unbewohnte Inseln haben natürlich auch keine Leuchtfeuer. In solchen Fällen legte unser Kapitän daher den Kurs so fest, dass wir an Inseln, die wir bei Tage passieren würden, auf Sichtweite herankamen und ein Besteck nehmen konnten, während bei Nacht ein größerer Sicherheitsabstand vorgesehen wurde. Denn die Ortsangaben solcher nicht bewohnter Inseln sind historisch bedingt recht ungenau. Oft finden sich in den Seehandbüchern Hinweise, diese oder jene Insel läge in Wirklichkeit einige Seemeilen mehr westlich oder östlich der in den Karten eingetragenen Position. Darin drückt sich eine lange währende Unsicherheit in der Ortsbestimmung aus: Nach der Erfindung des Sextanten 1731 durch Hadley konnte man die geografische Breite schon recht genau bestimmen. Aber für die Ermittlung der geografischen Länge war das einfachste Verfahren die Kenntnis der Zeitdifferenz zwischen der Greenwichzeit (heute UTC) und der wahren Ortszeit.  Für die Lösung dieses Problems wurde bereits 1598 in Spanien von König Philipp II. und später auch in den Niederlanden und Großbritannien Preise ausgesetzt (aber nie gezahlt). 
James Cook führte auf seinen Reisen ab 1769 eine spezielle Uhr mit, eine Meisterleistung des britischen Uhrenbauers John Harrison, die es ihm erlaubte, alle entdeckten Inseln nicht nur exakt zu kartografieren, sondern auch sicher wiederzufinden. Im Vergleich dazu wurden die Hawaii-Inseln nach spanischen Quellen zwar bereits 1555 von Gaetano entdeckt und sind in alten spanischen Karten zu finden, wurden aber danach nicht mehr gezielt angelaufen.

Bei uns an Bord zeigte 1957 noch ein Chronometer die Greenwichzeit an, eine kardanisch im Kartentisch aufgehängte mechanische Uhr in einem Messinggehäuse. Das Chronometer wurde täglich mit einem auf Kurzwelle empfangenen Zeitzeichen (im Pazifik von WWVH auf Hawaii) kontrolliert, aber nie nachgestellt, um mechanische Verspannungen in der Uhr zu vermeiden. Neu gestellt wurden die Chronometer nur bei gründlichen Überholungen im Heimathafen, wenn dafür genügend Zeit zur Verfügung stand. Die per Funk ermittelte Zeitdifferenz, die sich im Laufe der Zeit durchaus auf etliche Minuten addiert haben konnte, wurde ins Schiffstagebuch eingetragen. Vor der Erschließung der Kurzwelle für die Nachrichtenübertragung war diese Zeitdifferenz eine Unbekannte, die sich eben bei der Ortsbestimmung neu entdeckter Inseln als Ungenauigkeit in Ost-West-Richtung ausdrückte.

Kurz vor Tahiti gab es in einem Dampfkessel einen Rohrreißer, und wir trieben 12 Stunden steuerlos, bis der zweite Kessel angeheizt war und genügend Dampfdruck abgab. Danach mussten die Maschinisten noch den defekten Kessel wieder reparieren.

Tahiti
Am Kai erwartete eine ansehnliche Menschenmenge das neue Schiff.

Die Motorisierung der Insulaner hielt sich damals noch in Grenzen; man sah viele Fahrräder und Mopeds. Nachdem sich der Auflauf wieder weitgehend zerstreut hatte, wurde ich an Deck von einem Touristen am Kai in Deutsch angesprochen, ob er den Kapitän besuchen könne. Ich fragte nach seinem Namen; es war der Schauspieler Karl-Heinz Böhm, neben ihm seine damalige Frau Gundula Blau. In seinem Südsee-Outfit hatte ich ihn zunächst nicht erkannt. Aber unser Kapitän war nicht begeistert: „Wat schall denn dat nu woar. De kennt mi doch as wenig as ik em“. Aus dem Besuch wurde also nichts, aber Karl-Heinz Böhms Anwesenheit auf der Insel sprach sich an Bord schnell herum. Später sahen Besatzungsmitglieder ihn noch in einer Gaststätte an einem anderen Tisch sitzen. Zuerst schien alles entspannt, aber dann stand ein alter Heizer auf und rief zu ihm hinüber: „Nu wart dat aber Tid, dat Du einen utgeben deist!“ Darauf zahlte Karl-Heinz Böhm schnell und verließ das Lokal. Ein Elsässer Farmer fuhr mich gerne zur Küstenfunkstelle von Tahiti. Einzelheiten dazu sind auf dieser Webseite unter der Rubrik „Seefunk-Geschichten“ und dem Titel „Funken in der Südsee – Tahiti Radio, FJA“ nachzulesen.
Am Tag der Abfahrt war ab 12 Uhr Landgangsperre angeordnet, aber das funktionierte nicht. Die Disziplin war angesichts der schönen Tahitimädchen aus dem Leim geraten. Der Hafen war ja nicht groß, ein mehrmaliges längeres Ziehen an der Dampfpfeife kündigte allen unmissverständlich an, dass unser Kessel tatsächlich schon unter Dampf stand und wir auslaufen wollten. Das wirkte. In den folgenden Wochen bekam der 2. Offizier weitere Patienten für Penicilin; der Aufenthalt auf Tahiti zeigte seine Folgen. (Foto unten links)
Das nächste Ziel war die benachbarte Insel Makatea, wo wir Phosphat für Honolulu laden sollten. Dieser Vorgang erinnerte an längst zurückliegende Zeiten der Seefahrt. Zwar gab es dort eine moderne Ladebrücke (Foto oben rechts), 1953 von einer Saarbrücker Firma gebaut, als das Saarland noch nicht wieder zu Deutschland gehörte. Aber bei starker Dünung war das Laden trotzdem nicht möglich. Daher hatten wir Order, um 12 Uhr Ortszeit vor der Ladebrücke aufzukreuzen und einem Flaggensignal zu entnehmen, ob geladen werden kann. Wenn nicht, konnten wir uns wieder treiben lassen bis zum nächsten Mittag. An sich hatte ich mit meinem Bordempfänger eine Funkstation auf der Insel gehört, im Morsebetrieb so um 5 MHz herum, die den ganzen Vorgang hätte vereinfachen können. Sie hatte wohl keine behördliche Genehmigung für den Kontakt mit
Schiffen, und die Betriebsleitung hielten das alte Verfahren für erprobt und ausreichend. An Land gehen konnten wir auf Makatea nie. Nach Aufgabe der Phosphatförderung in den 70iger Jahren wurde die Verladebrücke wieder abgebrochen, denn eine Zierde der schönen Insel war sie natürlich nicht.

Wieder Honolulu
Diesmal hatten wir in Honolulu einen längeren Aufenthalt, und ich nahm mir zusammen mit unserem 2. Ingenieur und dem Reiniger ein Taxi für eine Reise um die Insel Oahu. Den drei US-Amerikanern, die noch mitfuhren, waren wir möglicherweise eine Last. Denn wir wollten an einem Sightseeing-Punkt immer den Wagen verlassen, uns zu Fuß umsehen und auch etwas essen, während denen ein Blick aus dem Auto genügte und sie am liebsten gleich weitergefahren wären. Aber der einheimische Fahrer hatte Geduld und ließ uns gewähren. Hier außerhalb von Honolulu überwog eindeutig die Kultur der Polynesier. Die Gebäude waren im polynesischen Stil gebaut, die Musik war geschmackvoll gewählt und dezent in der Lautstärke, ganz im Gegensatz zur Hauptstadt der Insel.
Die Reise führte dann wieder zurück nach Vancouver; wir luden dort und in Coos Bay, Oregon, abermals Holz und waren kurz vor Weihnachten 1957 wieder in Honolulu. Begleitet von deutschen Weihnachtsliedern von einer „Quality Station“, dem Rundfunksender KAIM, der von einem Musikclub finanziert wurde, liefen wir nach kurzem Aufenthalt wieder aus nach Tahiti. Dabei bekamen wir dieses Mal die sogenannten „channel winds“ zu spüren, die durch das Hindurchpressen einer Windfront durch die Kette der Hawaii-Inseln entstehen. Zunächst schien diese achterliche See nicht kritisch zu sein. Aber plötzlich kam von hinten eine außergewöhnlich hohe Welle, ergoß sich über das Heck und schwappte sogar das Bootsdeck hinauf, hob dort das Sonnensegel an und zerbrach dessen Befestigungsleisten. Dann lief die Woge weiter durch die in den Tropen immer offenstehenden Türen in den oberen Flur, in den Salon, sogar in die Kabine des Kapitäns und ins Hospital, wo die Post für Tahiti nass wurde. Da die Türen hohe Schwellen hatten (gedacht für Fälle, bei denen das Wasser nicht so massiv hereinströmt), lief das Wasser aber von alleine nicht wieder heraus. Ich sehe noch den völlig hilflosen Kapitän mit Papieren in den Händen im hin- und her schwappenden Wasser in seiner Kabine stehen. Da hatte der Salonsteward einiges zu tun, das alles wieder aufzuklaren, und Aufgabe des Zimmermanns war es dann, die Sonnensegelleisten zu reparieren. Damals konnte ich mich besonders freuen, dass ich auf der Brücke noch einen Stock höher wohnte, wo alles trocken blieb!
Dann gab es noch einen Tag mit Problemen am Ruder auf der Brücke. Das Schiff hatte aber achtern auf dem Mannschaftsaufbau noch ein mannsgroßes Notruder. An dem standen dann zwei Matrosen mit einem tragbaren Kompass vor sich, mit einem Wachoffizier dabei, und hielten das Schiff auf Kurs, bis die Maschinisten das Ruder auf der Brücke wieder repariert hatten.

Sylvester auf Tahiti
Einen Abend vor der Ankunft in Papeete wollte ich mein OBS für das US Hydrographic Office an Wellington Radio / ZLW, absetzen. Aber diesmal musste ich lange rufen, bis ich Verbindung bekam. Zunächst wunderte mich das, denn sonst ging das zügiger. Dann aber fiel mir ein, dass die Neuseeländer ja schon an diesem Abend Sylvester hatten, während wir mit zu denen gehören würden, zu denen das neue Jahr zuletzt kommt.
Durch die Ankunft in Papeete zu Sylvester hatten wir dieses mal besonders viel Zeit auf dieser Insel. In einem Lokal lernte ich einen einheimischen Funker und seine Schwester kennen. Von der und einer anderen Nachbarin bekam ich um Mitternacht überraschend auf jede Backe einen Kuss. Auf mein Erstaunen hin wurde mir erklärt, dass das in der Sylversternacht hier üblich sei. Unsere Besatzung hatte das natürlich auch schnell herausgefunden und diesen Brauch bis in die Morgenstunden gepflegt (und nicht nur das).
Für den Neujahrstag hatte unser Schiffsagent eine Inselrundfahrt anberaumt, an der außer dem Kapitän, dem 1. Offizier und dem Chief auch ich teilnehmen durfte. Die Fahrt ging zunächst an der Ostküste entlang zum kleineren Südteil der Insel, bis die Straße dort bei einem einfachen Lokal endete (das Südende der Insel kann man auch heute noch nur auf dem Wasser umfahren). Dann ging es wieder zurück zum engsten Teil der Insel, wo wir im chinesischen Restaurant Taravao zum Mittag aßen. Von dem Essen dort hatte ich schon gelesen, es roch etwas verdächtig, schmeckte aber doch ganz vorzüglich. Von dort ging es dann weiter auf die Westseite der Insel, an einer alten polynesischen Kultstätte, einem „Marae“ vorbei wieder nach Papeete. Den Flughafen im Nordwesten der Insel bei Haaa gab es damals noch nicht; zu der Zeit landeten noch Wasserflugzeuge im flachen Wasser zwischen dem Korallenriff und dem Festland. Der Flughafen entstand erst 1960 und wurde ein Jahr später gleich für die neuen interkontinentalen Düsen-Jets ausgebaut.
Am 2. Januar 1958 verließen wir wieder die schöne Insel, luden wieder Phosphat bei Makatea und setzten unser Reise nach Honolulu fort. Wir hatten sogar zwei Passagiere an Bord, im Hospital; ein Ehepaar fuhr mit uns zurück in die Staaten. Das liest sich schon wie Routine, aber wir konnten nicht ahnen, dass wir mit unserem Schiff nicht mehr zurückkommen würden und ohnehin den kritischsten Teil der Reise noch vor uns hatten.
Fortsetzung in: "In Etappen bis in die Werft"


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Version: 10-May-08 / HBu