Die Geschichte mit den "Meter-Ampere"
Bericht für Seefunknetz.de von: © Hans-Joachim Brandt, DJ1ZB

Schon in der Frühzeit des Seefunks machte man sich Gedanken, wie man auf einfache Weise die Strahlungsleistung einer Sendeantenne auf einem Schiff definieren könne. Das Ergebnis war die Einheit Meter-Ampere, das Produkt aus dem am Senderausgang gemessenen Antennenstrom und der Höhe der Drahtantenne über der Wasserlinie.
Die Zweckmäßigkeit dieser Festlegung schien zunächst offenkundig, denn die Reichweite eines Schiffssenders hing zweifellos mit der Höhe der Antenne und dem Strom in ihrem Speisepunkt zusammen. Als Antennen wurden vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zumeist T- oder L-Antennen verwendet, die von Mast zu Mast gespannt waren. Die Einheit Meter-Ampere und damit die Reichweite auf Mittelwelle war zudem wichtig für den Seenotfunkverkehr und gehörte daher mit zu den Angaben, die in der Liste der Küsten- und Seefunkstellen aufgeführt waren, herausgegeben von der ITU in Genf. 
Vor allem die alten "Liner" mit ihren klassischen hohen Schiffsmasten (Bild 1) kamen früher auf eine beachtliche Zahl von Meter-Ampere. Mit Senderleistungen um 200 Watt erreichten Frachter um einhundert, Passagierschiffe einige hundert Meter-Ampere. Den Rekord hielten lange die alten Cunard-Liner Queen Mary, GBTT, mit 1030 und Queen Elizabeth, GBSS, mit sogar 1200 Meter-Ampere, mit Hilfe einer Senderleistung von 3 kW. "To rule the waves" war für Großbritannien offensichtlich auch in diesem Punkt einigen Aufwand wert.
Bild 1:   Zwei Queens
Das historische Foto links wurde vor genau 60 Jahren, am 27. September 1946, in Southampton gemacht. Links bereitet sich die damals neue "Queen Elizabeth" / GBSS (86673 tons) auf eine Probefahrt vor. Rechts wird sie gerade von der "Queen Mary" / GBTT (81237 tons)  -  noch als Truppentransporter in grauer Farbe  -  passiert. Die "Queen Elizabeth" sank Ende der 60er Jahre nach einem Feuer an Bord im Hafen von Hongkong. Die "Queen Mary" liegt noch heute als Hotel- und Kongresschiff in Long Beach / Calif.
Bei gegebener Antenne steigt die Meter-Ampere-Zahl mit der Wurzel der Senderleistung. Extreme Meter-Ampere-Werte aufgrund hoher Leistung lassen sich so  leicht auf eine normale Leistung umrechnen, um die Wirkung der Antenne selbst erkennen zu können.
Im Laufe der funktechnischen Forschung und Entwicklung stellte sich dann aber bald heraus, daß die abgestrahlte Leistung einer Antenne wesentlich exakter nach dem Quadrat des Antennenstromes mal dem Strahlungswiderstand der Antenne bestimmt werden kann. Der Strahlungswiderstand einer Antenne ist u. a. abhängig vom Verhältnis ihrer  mechanischen Länge zur Wellenlänge, aber im Gegensatz zu Meter und Ampere nicht direkt meßbar. Er ist mehr eine Rechengröße und liegt für Mittel- und Langwellenantennen auf Schiffen bei 1 Ohm oder darunter. Damit ist er wesentlich niedriger als der Verlustwiderstand des Antennenvariometers im Sender.
Eben weil der Strahlungswiderstand so niedrig ist, galt schon vor dem zweiten Weltkrieg bei den Entwicklern von Schiffssendern für Mittel- und Langwelle die Daumenregel, daß die Senderleistung de facto an den Verlustwiderstand des Antennenvariometers anzupassen sei. So betrachtet ist das Abstrahlen von Mittel- und Langwellen ein reines Verlustgeschäft; nur ein Bruchteil der Senderleistung wird wirklich abgestrahlt. Immerhin sind die Gegebenheiten auf Metallschiffen noch günstiger als bei Sendestellen an Land, bei denen für ein verlustarmes Gegengewicht zur Antenne viele Meter Draht oder Metallband in den Boden verlegt werden müssen. Quasi als Ausgleich ist die Ausbreitungsdämpfung auf Lang- und Mittelwellen geringer als bei höheren Frequenzen und hebt die genannten Nachteile teilweise wieder auf. Aufgrund dieser Zusammenhänge nötigte die Einheit Meter-Ampere den Funktechnikern bald nur noch ein mildes Lächeln ab. Für den Kurzwellenbereich machte sie ohnehin keinen Sinn, denn der Antennenstrom am Senderausgang, hinter der Antennenanpassung, ist abhängig von der Antennenlänge und der Arbeitsfrequenz.
Aber das focht die Einheit Meter-Ampere lange nicht an. Immerhin schienen ab den 50iger Jahren einige Staaten, wie die USA oder Japan, zu den Meter-Ampere keine Angaben mehr zu machen. Daher kann man heute anhand alter ITU-Listen u. U. nicht mehr ermitteln, wie z.B. US-amerikanische Liner jener Zeit, wie die United States, KJEH,  oder die America, WEDI, im Rennen um die maximalen Meter-Ampere gelegen hätten. Ziemlich sang- und klanglos verschwand zunächst die Meter-Ampere-Eintragung ab 1960 aus den ITU-Listen, ebenso die Angaben über die Leistung der in der Funkstation installierten Sender. Dadurch wurden diese "dicken Schwarten" auch spürbar dünner. Die Planung von Schiffsantennen für Mittelwelle erfolgte aber weiterhin nach den Meter-Ampere-Werten.
Ein Nachteil der von Mast zu Mast gespannten Drahtantennen war, daß man sie in Häfen abnehmen mußte, wenn zum Laden und Löschen Kräne eingesetzt oder dazu die am Mast angebrachten Ladebäume benutzt wurden. Im letzteren Falle befanden sich die Antennen zwar oberhalb des Bewegungsraumes der Ladebäume, aber durch die wechselnde Belastung kamen die Masten doch ganz schön ins Schwingen, und die Antenne oder ihr Abspannseil konnte reißen und die Antenne dann mit den schweren, in Metallschellen gefaßten Porzellanisolatoren herunterfallen und Personen gefährden.
Bild 2: Das "Storchennest"
Mit den 60iger Jahren setzte dann eine Entwicklung ein, die Schiffe rationeller zu gestalten und unnötig hohe Masten zu vermeiden. In diesem Zusammenhang suchte man auch die langen Drahtantennen durch räumlich kleinere Gebilde zu ersetzen. Die erste Lösung für diese neuen Antennen waren ca 7 - 12 m hohe vertikale, sogenannte "selbsttragende" Stabantennen mit einer Dachkapazität in Form eines am oberen Ende angeordneten "Wagenrades" oder "Storchennestes", wie die neuen Gebilde im Funkerjargon bald hießen (Bild 2). Da eine Kabelspeisung von Sendeantennen auf Handelsschiffen mit Ausnahme von UKW damals noch nicht üblich war, mußten auch diese neuen Antennen in unmittelbarer Nähe der Funkstation aufgestellt werden, bei Frachtern üblicherweise also auf dem Peildeck (auf dem Dach der Brücke).
Natürlich sollten diese Antennen auf Mittelwelle ebenfalls die nötige Meter-Ampere-Zahl und die im Schiffssicherheitsvertrag geforderte Mindestreichweite von 200 Seemeilen erreichen. Aber letzteres wollte zunächst nicht so recht klappen. Hier zeigte sich deutlich, daß die Einhaltung der Meter- Ampere-Zahl allein nicht geeignet war, die geforderte Reichweite sicherzustellen. Die Einheit Meter-Ampere ging indirekt von einem Formfaktor der Antenne aus, der bei den selbsttragenden Antennen nicht gegeben war. In den Jahren 1966 bis 1974 wurden von etlichen seefahrenden Ländern Messungen durchgeführt, um einen Überblick über das Problem des schlechten Antennen- wirkungsgrades dieser neuen Antennen zu bekommen und Abhilfemaßnahmen vorzuschlagen.

Wie kann man sich nun anschaulich machen, weshalb die kleinen Mittelwellenantennen trotz der gleichen Meter-Ampere-Zahl einen deutlich schlechteren Wirkungsgrad hatten? Wir brauchen uns nur das elektrische Feld der kleinen Antenne auf dem Peildeck vorzustellen, dann wird deutlich, daß die meisten von der Dachkapazität austretenden Feldlinien direkt von der Metallfläche des Peildecks aufgenommen werden. Nach Bild 1 hatten die von einer hohen und langen, von Mast zu Mast verspannten Drahtantenne ausgehenden Feldlinien noch die Chance, bis herab zur Wasserfläche zu gelangen. Bei ihnen war die Angabe der Meterzahl von der Wasserlinie bis zur Höhe der Antenne in etwa berechtigt, bei den Stabantennen auf dem Peildeck aber nicht mehr; ihre effektive Höhe war für Mittelwelle einfach zu gering.
Als Ergebnis der Reichweitenmessungen wurden 1974 die Meter-Ampere-Werte für die selbst- tragenden Antennen verdoppelt. Diese Werte sprachen quasi einen anderen Formfaktor von Antennen an und bedeuteten praktisch eine Vervierfachung der erforderlichen Senderleistung. Damit waren aber noch nicht andere Schwierigkeiten beseitigt, die sich bei diesen neuen Antennen herausstellten.

Schon von den Drahtantennen war bekannt, daß sich bei schwerer See auf den Isolatoren eine Salzschicht bildete, die die Antenne beim Betrieb auf Mittel- und Langwelle bedämpfte und den Antennenstrom auf die Hälfte oder gar ein Drittel herabsetzten konnte. Mit einem etliche Sekunden langen Drücken der Morsetaste konnte man allerdings in der Regel die Salzschicht mit der Senderleistung wieder "wegbrennen"; der Antennen- strom erreichte dabei unter Prasseln und Krachen im Empfänger wieder seinen üblichen Wert, und das Prasseln hörte dann auf. 
Bei den selbsttragenden Stabantennen war aber die Oberfläche des Standisolators wesentlich größer als bei den bei Drahtantennen üblichen Isolatoren und die Bedämpfung durch die im Querschnitt größere Salzschicht in der Regel so stark, daß das "Wegbrennen" nicht mehr funktionierte und der Funker den Antennenisolator erst reinigen mußte, wenn das Wetter es zuließ. Das war natürlich eine ernste betriebstechnische Einschränkung. Aufgrund dieser Probleme wurden daher nach Möglichkeit doch vermehrt wieder die bewährten Drahtantennen empfohlen.
Erst in den späten 80iger Jahren wurde vor allem auf den neuen Containerschiffen die Verwendung platz- sparender Antennen für Mittelwelle wieder dringlich. Inzwischen waren auch die selbsttragenden Antennen weiter verbessert worden. Sie unterschieden sich von den ersten Modellen durch eine zusätzliche Ladespule etwa in halber Höhe der Antenne, außerdem war die Dachkapazität, das "Wagenrad", durch eine leichtere Anordnung in Form schräg nach oben zeigender Speichen ersetzt worden (Bild 3 Mitte). Dadurch war die Hochfrequenz-Spannung unterhalb der Spule am Standisolator deutlich niedriger und damit auch die Empfind- lichkeit gegen Salzkrusten. Allerdings wurden bei dieser Antennenform öfter Schäden durch Blitzschläge gemeldet, bei der die Ladespule völlig zerstört wurde.
Unter Blitzschlag haben Stabantennen auf Schiffen heute häufiger zu leiden als in früheren Jahrzehnten (sie wirken aufgrund ihrer Spitzen zwangsläufig als Quellen für St. Elmsfeuer und letztlich als Blitzableiter), oft verbunden mit einer Zerstörung des zugehörigen Anpaßgerätes. Offensichtlich fehlt heute die Nebenfunktion der alten hohen Masten als Blitzableiter. Denn die Drahtantennen waren immer etwas unterhalb der Mastspitze aufgehängt; der Blitz schlug dann im wesentlichen in den Mast selbst ein. Hatte der Funker die Antenne mit dem dazu vorgesehenen kräftigen Messerschalter an der Decke des Funkraums rechtzeitig geerdet, waren keine Schäden zu erwarten. Ein nahendes Gewitter bemerkte der Funker an Bord als erster, bei seiner Hörwache.
Angesichts dieser mehr oder minder prinzipbedingten Probleme mit den kleinen Antennen waren sicher nicht nur die Techniker im Grunde erleichtert, als 1998 die Seefunk-Mittelwelle abgeschafft wurde. Schon in den Jahren davor hatte sich der normale Seefunkverkehr mehr und mehr auf den Seefunkdienst über Satelliten verlagert. Daher war es vertretbar, nun auch den Not- und Sicherheitsverkehr auf diesem Wege abzuwickeln. 
Bild 3: Speichenantenne
Dieser Zeitpunkt markierte allerdings nicht nur das Ende der fragwürdigen Einheit Meter-Ampere, sondern auch das Ende der Morse- telegrafie in der Seefahrt schlechthin und damit auch die Ausmusterung aller darin ausgebildeten Funkoffiziere! Aber auch im Zeitalter des Satellitenfunks soll es immer noch unbeabsichtigt ausgestrahlte Alarmzeichen und Seenotmeldungen geben; an der menschlichen Unzulänglichkeit hat sich trotz modernster Technik offenbar nichts geändert.
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Version:  27-Sep-06 / HBu