Der Null-Meridian

Dass der Null-Meridian durch die Sternwarte von Greenwich läuft erscheint uns heute genauso selbstverständlich wie die Tatsache, dass er über beide Pole der Erde verläuft. Dabei ist der Verlauf durch Greenwich eine rein willkürliche Festlegung, die, gemessen an dem Zeitraum in dem Menschen versucht haben die ihnen bekannte Welt in "Planquadrate" einzuteilen, erst von relativ kurzem Bestand ist. Erst 1883 wurde dieser Anfangsmeridian auf einer internationalen geodätischen Konferenz in Rom festgelegt. Der griechische Astronom Hipparch von Nikaia (190-120 v.Chr.) teilte wohl als Erster die damals bekannte Welt nach Längen und Breiten ein. Er legte den Anfangsmeridian durch seinen Beobachtungsort, die Insel Rhodos. 
Um 150 n.Chr. legte der alexandrinische Mathematiker und Astronom Claudius Ptolemäus den Nullmeridian an den westlichsten Teil der ihm bekannten Welt: Durch die westlichste Insel der Hesperiden (Die "glückseligen Inseln")  die heute Kanarische Inseln heissen. Diese westlichste und kleinste der Kanarischen Inseln heisst El Hierro, wurde aber über Jahrhunderte Isla del Meridiano genannt. Einige arabische Astronomen legten den Meridian durch die Westspitze Afrikas, andere um 1075 n.Chr. durch den 10. Längengrad westlich von Bagdad, aber es blieb grundsätzlich beim System des Ptolemäus. Beim kanarischen Nullmeridian blieb es auch, als 1432 die Azoren entdeckt wurden und die Welt folglich ein Stück nach Westen weiterrückte. Auch die Hinzufügung Amerikas zur bekannten Welt tat dem keinen Abbruch. Mercator schlug den über die westlichste Azoreninsel Corvo verlaufenden Längengrad als Anfangsmeridian vor: Es blieb bei El Hierro, auch Ferro genannt. 
El Hierro - Isla del Meridiano
Im April 1634 tagten in Paris Gelehrte aus allen seefahrenden Nationen. Dieser Kongress empfahl erneut, den Nullmeridian durch die Insel Ferro zu legen. Der französische Koenig Ludwig XIII erklärte diesen Empfehlung als für alle Kartographen verbindlich. Bei genauem Hinsehen entpuppt sich der Beschluss allerdings als "politisch". Man nahm an, Ferro liege genau 20 Grad westlich von Paris: Der Nullmeridian war also ein verkappter Meridian von Paris. Bei dieser Einteilung, bei der die gesamte "neue" Welt im Westen, die "alte" Welt im Osten lag, blieb es bis zur o.g. Konferenz von Rom im Jahre 1883. England und die gesamte Schiffahrt übernahmen den neuen Nullmeridian sofort, Deutschland übernahm ihn 1885, Frankreich um die Jahrhundertwende.
In Österreich-Ungarn, wo bis dahin beide Systeme parallel liefen, wurde er sogar erst 1918 übernommen. Insgesamt hat die Insel El Hierro mehr als 1700 Jahre als Trägerin des Nullmeridians fungiert und kann somit den stolzen Namen Isla del Meridiano zurecht führen. Hier begann 1493 Kolumbus seine zweite Reise über den "grossen Teich" und sah Kap Orchilla als das letzte europäische Land im Meer versinken. 
Die Kanarischen Inseln
mit El Hierro unten links

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Version: 30-Mar-00 / Rev.: 13-Jun-11 / HBu