Die letzte Reise des Fischdampfers "Johannes Krüss"
DEQW warum keine Meldung ?
Bericht: Ch. Biedekarken

Es ist Dienstag, der 21. Februar 1967, ein nasskalter Tag an dem man am liebsten im Bett bleiben möchte. Seit 7 Uhr herrscht Hochbetrieb an der Ausrüstungspier der Hochsee- fischerei Kämpf  & Co KG. Menschen eilen zwischen Land- betrieb und dem FD „JOHANNES KRÜSS“ mit der Fischerei- nummer BX 651 hin und her. Die schmale Gangway, die Verbindung zwischen Schiff und Pier, federt leicht unter den Schritten der Männer, die die letzten Ausrüstungsgegenstände an Bord bringen. Als würde ihn dies alles nichts angehen, liegt der 60,4 m lange und 9,19 m breite Dampfer wie ein Brett im Hafenwasser des Fischereihafens Bremerhaven.Mit seinem grünen Außenbordsanstrich, der besonders an Stb.-Seite in ein Rostrot übergegangen ist und der „Kämpf-Flagge“ im Schorn- stein, wartet er darauf, in die offene See entlassen zu werden. 
Zur Karwoche am 16. oder 17. März will man, den Bauch voller Frischfisch, wieder zurück sein. Reeder, Kapitän und Mannschaft erhoffen sich einen guten Erlös, da bekanntlich in dieser Woche die Nachfrage nach Fisch besonders groß ist. 
Es ist kurz vor 10 Uhr als man die Leinen loswirft und das Schiff mit langsamer Fahrt, angetrieben von einer 1000 PS starken ölgefeuerten Dampfmaschine, auf die Schleusen zusteuert. An der Pier steht Reeder Helmut Kämpf, der seinem Kapitän Rudolf Starossek noch ein „Gute Reise und dicke Büdels“ hinterherruft. Nach dem Ausschleusen wendet sich das Schiff wie von selbst nach Stb., um in das Fahrwasser der Weser zu gelangen. Außer dem Kapitän befinden sich noch 22 Mann Besatzung an Bord. Der 31 Jahre alte Matrose Herbert Schulz erkrankt noch auf der Ausreise und wird mit Verdacht auf Blinddarmentzündung in Stornoway auf den nördlichen Hebriden am 24. Februar zur ärztlichen Behandlung an Land abgesetzt. Am 25. Februar um 9 Uhr geht bei der Reederei ein Telegramm ein, dass man Stornoway am 24. Februar um 21 Uhr verlassen habe.
Die Order für Kapitän Starossek heißt Frischfisch, das Fanggebiet ist ihm freigestellt. Der Reeder verlässt sich auf die Spürnase und die Erfahrung seines Kapitäns. Zunächst dampft dieser in Richtung Ostküste Grönlands, um sich an die eisfreien Fangplätze vorzutasten. Das Thermometer zeigt 22 Grad unter Null. Am 28. Februar um 18.50 Uhr erkundigt sich „JOHANNES KRÜSS“ bei dem Heckfänger „SIRIUS“ BX 685 der Hochseefischerei Nordstern AG nach Wind und Wetter auf den grönländischen Fangplätzen. Es herrscht Westwind der Stärke 10 Beaufort, was für diese Jahreszeit dort nichts Ungewöhnliches ist. Zu diesem Zeitpunkt  befindet sich „JOHANNES KRÜSS“  auf 38 Grad West etwa 300 Seemeilen östlich von Kap Farvel an der Südspitze Grönlands. In diesem Gespräch läßt Kapitän Starossek mitteilen, dass er sich noch nicht entschieden hat, ob er nach Ost- oder Westgrönland dampft. In den folgenden Tagen wartet man in der Reederei auf das erste Tagesfangergebnis. Als am 5. März noch immer keine Meldung des Funkers Erich Kunz in Bremerhaven eintrifft, drahtet Reeder Kämpf am folgenden Tag um 9.05 Uhr über Norddeich-Radio an FD JOHANNES KRÜSS: „Warum keine Meldung“? Zu diesem Zeitpunkt ist der Empfänger nicht zu ermitteln und Norddeich-Radio schickt den Funkspruch als „unzustellbar“ zurück. Funkstille über „JOHANNES KRÜSS“.

Jetzt beginnt für die Reederei die Suche nach ihrem Schiff, die sich zeitlich so darstellt:
Am 7. März  gibt der Funker des Trawlers „J.HINR. WILHELMS“ BX 636, Reederei C. Kämpf,  eine Meldung an alle Fischereifahrzeuge: „Wer hat JOHANNES KRÜSS gesehen“? Eine positive Antwort erhält er nicht.
Am 8. März wird der Heckfänger „JOCHEN HOMANN“ BX702, der  Reederei Grundmann & Gröschel, K-R  Kämpf & Co, mit der stärksten Funkausrüstung, einem Seitenbandsender, angewiesen, nach „JOHANNES KRÜSS“ zu forschen. Am gleichen Tag beantragt die Reederei bei der Wasser- und Schiffahrtsdirektion Bremen und dem Bundesverkehrs- ministerium, Abteilung Seeverkehr, die genehmigungspflichtige Suchaktion unter dem Rufzeichen DAAG einzuleiten.
Am 9. März trifft die Genehmigung ein, und Norddeich-Radio strahlt nun acht mal täglich über drei Frequenzen diese internationale Suchmeldung „An alle“ aus. Inzwischen formieren sich verschiedene Fischereifahrzeuge zu Suchgruppen. „JOCHEN HOMANN“ meldet der Reederei Kämpf, dass der Heckfänger „SEYDISFJORD“ BX 704 der Hochseefischerei Kämpf die Leitung der Suche unter Ostgrönland und der FD „BRAUNSCWEIG“ BX 638 der NORDSEE Deutsche Hochseefischerei GmbH die Leitung unter Westgrönland übernommen haben. Um 15.00 Uhr geht, auf Anraten des Bundesverkehrsministeriums, ein Funkspruch der „SEYDISFJORD“ an die grönländische Funkstation OXI in Godthaab mit der Bitte, Suchmeldungen nach „JOHANNES KRÜSS“ auszustrahlen.
Am 10. März wird der Reederei Kämpf durch ein Seefunkgespräch der „SEYDISFJORD“ mitgeteilt, dass der Polizeichef von Godthaab die Koordinierung der Suchaktion übernommen hat. Alle Funk- und Radiostationen an der Küste sind an der Suche beteiligt und strahlen dringende Suchmeldungen aus. Inzwischen sind auch zwei Wasserflugzeuge und ein viermotoriges Landflugzeug gestartet. Die Wetterschiffe „A“ und „B“ halten Ausschau. Das Wetter gibt die „SEYDISFJORD“ mit Nordwestwind in Stärke 4-5 Beaufort und einer Temperatur von minus 22 Grad C an.
Auf Grund der besonderen Umstände rechnen die Fachleute inzwischen mit dem Untergang des Schiffes. Reeder Helmut Kämpf hofft mit den Angehörigen noch immer auf Rettung. Tag und Nacht steht er mit ihnen in Verbindung. Man klammert sich an eine Funkstörung. Eventuell hat der Schwarze Frost die Drahtantenne zwischen den beiden Masten brechen lassen. Beim Schwarzen Frost, der unter Grönland bei bestimmter Witterungslage auftritt, wird innerhalb kürzester Zeit jedes Teil an Deck mit einem Eispanzer verhüllt. Somit kann der Funker in Notsituationen nicht einmal SOS geben.
Am 11. März, inzwischen sind 13 Tage seit der Meldung aus Stornoway vergangen, werden die Befürchtungen immer wahrscheinlicher, dass der FD „JOHANNES KRÜSS“ mit seiner gesamten Besatzung untergegangen ist.
Dieses Schiff wird in der deutschen Hochseefischerei als das "Ordensschiff" bezeichnet. Im Mai 1959 gab es kein Besatzungsmitglied, das sich nicht mit einem Bundesverdienstkreuz, einer Bundesverdienstmedaille oder der Bremischen Rettungsmedaille hätte schmücken können. Der Kapitän Albert Sierck war Träger des dänischen Danebrog- ordens, den er vom Dänischen König Frederik IX verliehen bekam. Diese Orden wurden verliehen für die Suchaktion nach Überlebenden des dänischen MS HANS HEDTOFT. Unter mutigstem Einsatz aller Kräfte hatte man gehofft, Schiffbrüchige zu finden und ihnen zu helfen. 91 Menschen wurden damals Opfer der eisigen Fluten. Sicherlich hätten alle Besatzungsmitglieder lieber auf jeden Orden verzichtet, wenn der selbstlose Einsatz von Erfolg gekrönt gewesen wäre. Nachdem das Schiff aus der Rettungsaktion entlassen war und schon wieder vier Tage erfolgreich gefischt hatte, kam es zu dem folgenden Ereignis:

Zitat:
„Am 9.2.59 schlug die See die achtere Fischluke auf, so daß Wassereinbruch in den Fischraum erfolgte. Zur Dichtung der Fischluke wurden an Deck beordert der Matrose Horst Ewald Voigt, der Matrose Ernst Redlingshöfer und ein weiterer Matrose. Bei den Arbeiten zur Verschalung der Luke riß plötzlich eine See 2 Matrosen über Bord. Bei diesem Ereignis herrschte Windstärke 9-10 Beaufort, die Wassertemperatur betrug 1,5 Grad C, die Lufttemperatur 1 Grad C. Der Steuermann eilte auf die Laufbrücke und versuchte einen Rettungsring zu werfen. Durch die starke Vereisung des Schiffes, die Aufbauten waren bis zu 60 cm mit Eis bewachsen, gelang ihm das Losschlagen des Rettungsringes nicht sofort und er schlug mit dem Messer das Eis frei. Dabei wurde das Haltetau des Rettungsringes zerschnitten. Der Rettungsring ging über Bord und Matrose Voigt konnte diesen Ring greifen. Er trieb aber schnell vom Schiff ab, da das Verbindungstau zerschnitten war. Der Steuermann warf einen zweiten Rettungsring. Diesmal aber mit Verbindungstau, er wurde diesmal auch von Voigt aufgefangen, während der Matrose Redlingshöfer in einiger Entfernung ohne Halt in der aufgewühlten See trieb. Der Matrose Voigt blieb ruhig und tauchte alle Brecher ab. Der Matrose Redlingshöfer war inzwischen sehr geschwächt und kurz vor dem Absinken. In dieser Situation schwamm der Matrose Voigt zu dem Matrosen Redlingshöfer und übergab ihm den sicheren Rettungsring mit der Verbindungsleine zum Schiff, so daß Matrose Redlingshöfer sofort an Bord gezogen werden konnte, während der Matrose Voigt weiter vom Schiff abtrieb. Der Kapitän (Albert Sierck) brachte es durch geschicktes Manövrieren fertig, den inzwischen abgetriebenen Matrosen Voigt längsseits zu bekommen, so daß auch dieser an Bord gezogen werden konnte. Die ganze Rettungsaktion hat in dem eisigen Wasser und dem schweren Sturm etwa 20 Minuten gedauert.  Die Haltung des Matrosen Voigt, der ohne sein eigenes Leben zu achten dem Kameraden den sicheren Rettungring übergab, ist hoch anzuerkennen. Es ist ein Wunder, daß beide Matrosen ohne ernstlichen Schaden, nur der Matrose Redlingshöfer hat leichte Erfrierungen an den Zehen, davongekommen sind.“
Zitat Ende.

 Am 21. März 1967 teilt das dänische Marineoberkommando der Deutschen Botschaft in Kopenhagen mit, dass die Suche nach dem Bremerhavener Trawler „JOHANNES KRÜSS“ eingestellt worden ist. Diese Mitteilung wurde am gleichen Tag der Hochseefischerei Kämpf  & Co. KG in Bremerhaven übermittelt. Damit hatten sich die schlimmsten Befürchtungen bewahrheitet. FD „JOHANNES KRÜSS“ war mit 22 Seeleuten untergegangen. Der einzige Mann an Bord, der noch das Geschehen um die Suchaktion der „HANS HEDTOFT“ miterlebt hatte, war Horst Ewald Voigt, der inzwischen als Steuermann angemustert war. Es war ihm nicht vergönnt, seinem Schicksal zu entgehen. Es wird vermutet, dass die „JOHANNES KRÜSS“ unter einer riesigen Kreuzsee begraben wurde oder aber mit einem unter Wasser treibenden Eisberg zusammenstieß und sofort sank. Was immer diesem Schiff zugestoßen ist, es muss in Sekundenschnelle vor sich gegangen sein. Der Trawler fand sein Grab vermutlich in dem gleichen Seegebiet, in dem er sich im Januar 1959 durch beispielhaften Einsatz beim Untergang des dänischen Grönlandschiffes „HANS HEDTOFT“ ausgezeichnet hatte.

Als der bei Seebeck gebaute Trawler mit der Baunr. 816 am 1.August 1956 seine Probefahrt machte, wurde an Bord ein neuartiges Leinenschießgerät vorgeführt. Es sollte eingesetzt werden, wenn Besatzungsmitglieder über Bord gingen oder anderen Schiffen Hilfe geleistet werden musste. Beide Situationen trafen später wiederholt an Bord ein.  Als Beispiel seien nur zwei Hilfeleistungen hier angeführt. Am 10. November 1961 fischte „JOHANNES KRÜSS“ in der Irischen See zwei britische Segler auf, die schon fünf Tage hilflos und völlig entkräftet im Wasser trieben. Der Trawler nahm ihre Yacht in Schlepp und brachte die Männer samt ihrer Yacht nach Avonmouth. Am 12. März 1963 setzte das Stader Küstenmotorschiff „JOHANNES L“ (498 BRT) einen Hilferuf ab, es trieb vor der norwegischen Küste mit Maschinenschaden. „JOHANNES KRÜSS“ schleppte das Schiff nach Stavanger

Diesem Schiff, das vielfältige Hilfe geleistet hat, konnte trotz größter Anstrengungen und tagelanger Suche nicht geholfen werden. Es war die zweitgrößte Katastrophe in der Hochseefischerei seit dem Zweiten Weltkrieg. Die größte: Der Heckfänger „MÜNCHEN“ NC 452 der NORDSEE Deutsche Hochseefischerei riss 27 Besatzungsmitglieder 1963 in den Tod. Den Seemanstod starben: 

Kapitän Rudolf Starossek, 41 1. Steuermann Horst Ewald Voigt, 31 2. Steuermann Günter Wunram, 42
Bestmann Hans-Ulrich Rabenhorst, 22 Netzmacher Karl Heller, 31 Matrose Paul Ringel, 33
Fischer Franz Hegen, 30 Fischer Hugo Reinholz, 25 Koch Wolfgang Lammel, 30
Funker Erich Kunz, 43 Maschinenassistent Manfred Sommerfeld, 23 Heizer Helmut Fiedler, 34
Heizer Erich Zaroba, 47 Netzmacher Hans Dieter Greif, 25 Matrose Hermann Geratzki, 27
Matrose Horst Hinze, 27 Matrose Ahmed Kadi-Oglon, 23 Matrose Winfried Kaschewski, 17
Matrose Dieter Skodzek, 28 Fischer Josef Wusits, 20 1. Maschinist Peter Babatz, 27
2. Maschinist Said-Abdul Said, 25

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