Erinerungen aus dem Küstenfunkdienst 1955-56
Bericht von  © 2006: Hans-Joachim Brandt, DJ1ZB

Wozu Morsekenntnisse gut sein können, auch wenn man sie normalerweise nicht braucht
Ich saß auf Wache auf dem 1. Sprechweg von Kiel Radio. Der Empfänger "Köln" stand wie üblich auf 2146 kHz in Betriebsart A3 (AM-Telefonie). Plötzlich hörte ich auf der Frequenz ein unübliches Geräusch. Ein Träger (unmodulierte Aussendung eines Senders) erschien und verschwand wieder, aber es lag ein Rhythmus darin. Einen Träger erkennt man in Stellung A3 des Empfängers nur an einer Änderung des Empfängerrauschens. Also schaltete ich auf A1 (Morsetelegrafie) um und fragte, wer da sei. Da kamen etwas eckig, aber unverkennbar die Morsebuchstaben DAO und das Rufzeichen eines Schiffes. Ich wurde also in Morsetelegrafie angerufen. Aber die Zeichen kamen so eigenartig, vor allem waren die Punkte zumeist sehr spitz oder fehlten sogar. Es hörte sich an, als ob jemand mit der Sprechtaste eines Telefonhörers Morsezeichen gab. Anscheinend war das Mikrofon oder der Modulationsverstärker des Senders nicht in Ordnung. Ich antwortete natürlich weiterhin in Telefonie, schon um meinem Gegenüber die Situation zu erleichtern. Aber der Funker auf dem Schiff wußte sich zu helfen. Seine Morsezeichen mußten manchmal ziemlich geraten werden, aber bei Klartext war das kein eigentliches Problem. Er gab ein Telegramm an seine Reederei durch, meldete auch den Schaden an seinem Telefoniesender und seine voraussichtliche Ankunftszeit. Ich konnte im Gegensprechverkehr das Empfangene wiederholen, den Erhalt des Telegramms bestätigen und ihm eine gute Heimkehr wünschen.

Diplomatische Verwicklungen und Zusammenarbeit 
Im Jahre 1955 lief in der Ostsee in der Nähe von Saßnitz ein griechisches Schiff auf Grund. Dessen Kapitän meldete die Havarie sofort über Kiel Radio und führte dann gleich ein Funkgespräch mit seinem Reeder, der in Kiel bei der Howaldt-Werft zu tun hatte. Das wiederholte sich auch in den folgenden Tagen, wobei der Grieche wie üblich zunächst auf der internationalen Anruf- und Seenotfrequenz anrief. Dann aber empfing Kiel Radio ein Diensttelegramm von Rügen Radio, DHS, der Küstenfunkstelle der DDR (Deutsche Demokratische Republik) mit der Aufforderung, diesen Notfall an Rügen Radio abzugeben; das Schiff befände sich im Zuständigkeitsbereich von Rügen Radio. In dieser Angelegenheit wandte sich der Stationsleiter von Kiel Radio an das Fernmeldetechnische Zentralamt in Darmstadt.
Von dort kam das folgende salomonische Urteil: Die Deutsche Demokratische Republik sei kein Mitglied im Internationalen Fernmeldeverein und könne ein solches Ansinnen an Kiel Radio also nicht stellen. Kiel Radio solle aber eine feste Wachfrequenz für den Griechen einrichten, damit dieser nicht bei seinen Anrufen jedes Mal die internationale Anruf- und Notfrequenz  benutzen müsse, damit Belästigungen der Funkwache bei Rügen Radio  vermieden werden. 
In der Tat bestand zu jener Zeit zwischen der damaligen Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland in Bezug auf Regelungen im Funkdienst ein eigenartiges Verhältnis. Landeskenner für Funkrufzeichen waren von der ITU nur der Bundes- republik Deutschland zugeteilt worden, damals die Buchstaben DA bis DM, so beschlossen im Weltnachrichtenvertrag von Atlantic City 1947, quasi eine Folge des verlorenen Krieges. Daraus rekrutierten sich aufgrund einer Zusammenarbeit zwischen der deutschen Bundespost und der Deutschen Post alle Rufzeichen der BRD und der DDR. Die Grenzen gingen mitten durch das Alphabet, wie man anhand alter Rufzeichenlisten ersehen kann. So waren z. B. DHAA bis DHRZ Hamburger Schiffe, aber DHS war Rügen Radio und DHSA bis DHZZ waren Schiffe der DDR. Unter DMxx wurden in der BRD Werftprobefahrten durchgeführt, während DM für die DDR der Landeskenner für die Funkamateure war. Erst 1973 wurde diese Zusammenarbeit durch den Eintritt der DDR in die UNO und damit auch in die ITU und durch die Zuteilung des eigenen Landeskenners Y2 bis Y9 überflüssig.  Nach ITU-Unterlagen sind diese Landeskenner Y2 bis Y9 auch heute noch für die BRD eingetragen. 

Begegnung mit einem Funkensender 
Ich war eingeteilt bei Norddeich Radio auf dem Mittelwellenarbeitsplatz für die Telegrammaufnahme. Der Sammelanruf war gelaufen, und ich hörte wie bei DAN damals üblich auf 425 kHz, nahm Anrufe entgegen, empfing Telegramme und übermittelte welche. Wenn das letzte Schiff abgearbeitet ist, kehrt dann üblicherweise Ruhe ein auf der Frequenz, wenigstens für eine gewisse Zeit. Aber diesmal war es noch nicht so weit.
"Äää-e-e  e-äää  äää-e" (DAN) ruft da einer ganz vorsichtig, nicht allzu laut und mit einem ganz kratzigen Ton. "DE" (von wem?) gab ich zurück. Da wußte der Anrufer, daß er gehört wurde, nannte sein Rufzeichen und hatte ein Telegramm abzusetzen. Anhand des Tones und der breitbandigen Aussendung erkannte ich, daß ich es mit einem alten Funkensender zu tun haben mußte. Aber wie breit so ein Sender wirklich war, das sollte ich bald merken. Zunächst ging die Telegrammaufnahme ganz gut, dann aber wurde es auf der 425 wieder lebendig; ein anderes Schiff arbeitete mit einer anderen Küstenfunkstelle im Nordseeraum. Ich mußte dieser Störung ausweichen, drehte zunächst nur von der 425 weg, mußte aber bald neuen Störungen ausweichen und ging daher schließlich auf meine eigene Sendefrequenz 444 kHz, denn dort durfte keine andere Station senden. Selbst dort war der Anrufer immer noch genauso gut zu hören, und ich konnte die Telegrammaufnahme ohne weitere Störungen beenden. Das Schiff befand sich in der Nähe von Dover, und unwillkürlich mußte ich mir vorstellen, wie viele Funker wohl an der Nordsee- und Kanalküste vor diesem breiten Signal "den Kopf eingezogen" haben mögen.
Nach modernen technischen Gesichtspunkten betrachtet waren diese Funkensender nichts anderes als hochgradige Frequenzvervielfacher. Die Frequenz der Funkenfolge war abhängig von der Art der Funkenstrecke (Kugel- oder Löschfunkenstrecke), lag etwa im Bereich von 300...1000 Hz, wurde um den Faktor von einigen hundert bis tausend vervielfacht und so in Hochfrequenz verwandelt. Für Demonstrations- zwecke kann man heute diese Funktionen "unblutig" mit einem kleinen CMOS-IC nachahmen und damit in einem AM-Empfänger sehr schön den Unterschied zwischen dem Klang eines Knall- und dem eines Löschfunkensenders verdeutlichen.
Aber der einzige Schwingkreis eines solchen Funkensenders kann das entstehende Frequenzgemisch, bestehend aus einer Unmenge von Frequenzen im Abstand von 300...1000 Hz, nur grob auf eine Bandbreite von einigen 100 kHz begrenzen. Ein solcher Sender ist daher je nach der Schnelligkeit der Funkenfolge in der Betriebsart A1 mit einem breiten zischerigen Kratzen oder bei besserem Empfang in der Betriebsart A3 auch mit einem charakteristischen Ton im ganzen Seefunk-Mittelwellenbereich zu hören. Dabei war der hellere Ton des Löschfunkensenders bei atmosphärischen Störungen viel besser aufzunehmen als das Knarren der einfachen Funkensender. Bereits zwei solcher Sender im gleichen Frequenzbereich konnten sich gegenseitig weitgehend lahmlegen. Dieses Problem führte schon gegen Ende des 1. Weltkrieges zum Fronteinsatz der ersten Röhrensender.
Der einzige Vorteil dieser Sender war ihre urige Einfachheit. Wenn der Funkeninduktor Hochspannung abgab, alle Verbindungen fest und die Funkenstrecke nicht verdreckt war, dann funktionierte das Ding. Für eine eventuelle Reparatur brauchte man Handwerkzeug und Augenmaß mehr als elektrische Instrumente. Die Löschfunkenstrecke ließ sich auseinander nehmen und reinigen. Nach Einführung der Röhrensender konnte man über die betrieblichen Nachteile der Funkensender bei ausschließlicher Anwendung als Notsender noch einige Jahrzehnte hinwegsehen. Das generelle Verbot solcher Sender war aber nur noch ein Frage der Zeit. Löschfunkensender sollen z. B. auf schwedischen Schiffen noch bis 1956 als Notsender eingebaut worden sein. Auch ein Kollege von mir hat 1956 auf einem in Japan umgebauten Schiff noch einen solchen Sender angetroffen.

Begegnung mit Vorkriegstechnik
Auf einem Kurzwellenarbeitsplatz bei Norddeich Radio bekam ich von der Dauerwache auf 16 MHz einen "Kunden" zugeteilt: "HOWX, 864, dritter Versuch" hieß es kurz und bündig. HOWX (Rufzeichen und Frequenz getürkt) würde also auf 16864 kHz rufen und hatte ein Telegramm. Bei zwei vorherigen Übermittlungs-Versuchen muß aber etwas schief gelaufen sein, ich war also vorgewarnt und jetzt mit dem dritten dran. Ich rief HOWX also auf, konnte ihn auch im Empfänger "Köln" schnell finden und begann mit der Telegrammaufnahme. Dabei merkte ich, daß das Signal von HOWX in der Frequenz enorm driftete. Der hatte wohl noch einen alten Sender ohne Quarzsteuerung. Immer wieder mußte ich den Empfänger zu tieferen Frequenzen hin verstellen. Am Ende des Telegramms waren es meiner Erinnerung nach glatt 20...30 kHz, aber ich hatte alles mitbekommen. Ich prüfte also die Wortzahl des Telegramms und gab die Empfangsbestätigung an HOWX. Keine Antwort! Was nun? Warum antwortete das Schiff nicht mehr?
Da fiel mir siedendheiß ein: Mensch, in der Zeit, in der du das Telegramm gecheckt hast, ist der Sender von HOWX wieder abgekühlt; der muß jetzt wieder etliche kHz höher sein! Also gab ich mit "HOWX pse qsv" eine Aufforderung, eine Reihe von V's als Abstimmzeichen zu senden, drehte den Empfänger wieder zurück, und richtig, da war er wieder. Ich bestätigte nochmals das Telegramm, und wir konnten uns ohne Probleme verabschieden. Denn das dauerte nicht lange, und die Frequenzdrift blieb entsprechend gering. Ohne mein technisches Verständnis im Senderbau als Funkamateur wäre wohl auch dieser dritte Versuch mißlungen. 
In der Zeit vor dem 2. Weltkrieg waren solche Sender noch allgemein üblich. Die Zahl der Senderstufen war gering und leistungsstarke Röhren selbst im Oszillator, die ihn aufheizten, keine Seltenheit. Um mit den Küstenfunkstellen überhaupt erst einmal in Kontakt zu kommen, wurde von den Funkern vor allem im Kurzwellen-Funkverkehr viel Fingerspitzengefühl verlangt, um an den freischwingenden Oszillatoren ihrer Sender die Frequenz genau genug einzustellen. Geeichte Skalen waren damals noch nicht üblich; die Frequenzen mußten anhand von Tabellen eingestellt werden. In den 30iger Jahren dachte man in Bezug auf die Frequenz noch mehr in Meter Wellenlänge als in Mega- oder Kilohertz. Auf weitere Eigenheiten dieser Geräte, wie die geschilderte Frequenzdrift der Oszillatoren, mußte man sich eben auch auf den Küstenfunkstellen einstellen, solange diese benutzt wurden. 
Dagegen war der schlechte Morseton mancher Sender nicht so kritisch, für technisch gestimmte Seelen wie mich oft eher spaßig, manchmal sogar höchst amüsant. Der Inhalt der Morsezeichen liegt ja in ihrem Rhythmus, nicht in ihrem Klang. So konnte sich ein Kollege, der mich einmal bei einer Telegrammaufnahme beobachtete, sich die Bemerkung nicht verkneifen, ich mache ein Gesicht, als wenn der Schiffsfunker mir dreckige Witze erzähle. Mir dagegen schossen Gedanken durch den Kopf, was ich tun müßte, um einen Sender mit gerade diesem eigenwilligen Ton zu bauen. Moderne quarzgesteuerte Sender und quarzkontrollierte Empfänger beendeten dann etwa ab Mitte der 50iger Jahren nach und nach alle diese betriebstechnischen Probleme, allerdings auch den besonderen Unterhaltungseffekt chirpiger Morsezeichen.
In diesem Zusammenhang erscheint es angebracht, darauf hinzuweisen, daß die ersten quarzgesteuerten Sender für bewegliche Funkdienste schon um die Mitte der 30iger Jahre aufkamen. So berichtete Wilhelm Küppers*, Funker auf dem Dornier-Wal "Monsun" im Postzubringerdienst der Lufthansa nach Südamerika, schon im Januar 1934 von einem quarzgesteuerten 20-Watt-Kurzwellensender der Fa. Lorenz, mit dem ihm um 19.45 GMT die Funkverbindung auf der Welle 27 m (ca 11 MHz) von Rio de Janeiro zu seiner Leitstelle Quickborn bei Hamburg auf Anhieb gelang. Die hohe Treffsicherheit einer solchen Funkverbindung mit Quarzsteuerung war nach seinem Bericht schon daran zu erkennen, daß Quickborn den Anrufer bereits beim Abstimmen seiner Antenne bemerkte und "QRZ?" gab (von wem werde ich gerufen?). Auch der Empfänger in Quickborn hatte offenbar schon eine gut eingeeichte Skala. Aber wie man heute weiß, sollte es noch gut zwei Jahrzehnte dauern, bis diese hohe Treffsicherheit und Skalengenauigkeit im Funkdienst allgemein üblich wurde.
* In seinem Buch "Start frei Atlantik", S. 129. Hoffmann und Campe Verlag Hamburg 1955
DJ1ZB 
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Version: 04-Mar-06 / HBu