Alltag einer Fangreise nach Island
Ein Großvater berichtet seinem Enkel   -   Von: © 2002 Jens Rösemann
Verfasser von "Kok in Ruum" und "Rotbarsch & Co."

Mein lieber Armin, Du hast mich gefragt, ob die Matrosen auf den Fischdampfern, die nach dem 2.Weltkrieg nach Island zum Fischfang fuhren, Helden gewesen seien. Nein - wohl nicht. Solch große Worte waren auf einem Fischdampfer nicht üblich. Sie mußten wohl allerhand aushalten, die Fischer. Dein Opa war einer von ihnen, aber als Held hat er sich nicht gefühlt. Ja, stolz waren wir schon, wenn wir mit einer vollen Ladung Fisch nach Bremerhaven kamen und dann vielleicht auch noch einen guten Markt machten. Jeder im Hafen wußte nämlich, welche Leistung dahinter stand. Wie kommt denn einer zur Seefahrt und besonders zur Hochseefischerei? Ich kann das nur von mir selbst erzählen. Zur See fahren wollte ich schon immer. Warum, weiß ich nicht. Aus den Büchern konnte man lesen, dass Seefahrt, besonders auf Segelschiffen und bei der Hochseefischerei, ein schweres und entbehrungsreiches Leben bedeutete. Das hat mich irgendwie angezogen und war etwas besonderes. So fing ich denn gleich nach dem 2.Weltkrieg an, auf einem Heringslogger in der Nordsee mit dem Treibnetz Heringe zu fischen. 
Das Leben dort war wirklich schwer. Vielleicht hätte ich einen anderen Beruf gewählt, wenn ich wirklich gewußt hätte, was mich dort erwartete. Aber nun war ich einmal dabei, biß die Zähne zusammen und habe alles ausgehalten und auch einiges gelernt. Aber Island und die Fischerei dort hatte es mir angetan. Dort war es noch schwerer, als ich erwartet hatte. Aber ebenso wie auf dem Logger erlebte ich dort richtige Fischerleute, die dieses Leben ertrugen und mir wegen ihrer Seemannschaft Vorbild waren. Und so eiferte ich ihnen nach und ertrug alles, was damit zusammenhing.
So ähnlich mag es den anderen auch ergangen sein. Groß gesprochen haben wir darüber nicht. Als Junge hatte ich Geschichten über das alte Island gelesen. Unter anderem auch von einem, den man Grettir, einen nordischen Helden nannte. Aber der war wohl mehr ein Raufbold gewesen, der in einer Sage verherrlicht wurde. Aber nun fuhr ich nach Island zum Fischen. Wir hofften dort unter Island schöne Fänge zu machen. Weil wir am Erfolg beteiligt waren, sollte das für uns einen guten Verdienst bedeuten.
Diese Fischdampfer, mit denen wir damals nach Island fuhren, waren klein: Etwa 50 m lang, 9 m breit. Die Dampfmaschine leistete ca 1.000 PS und brachte das Schiff damit auf eine Geschwindigkeit von 12 Seemeilen pro Stunde. Das Vorschiff war durch eine Back geschützt. Das ist eine Art Dach, damit beim Eintauchen in die See nicht soviel Wasser an Deck kommt. Unter dieser Back wohnten wir mit 10 - 12 Matrosen und drei Heizern. Viel Platz hatten wir dort nicht, denn unter der Back war noch der Kettenkasten für die Ankerkette und das Kabelgatt für Tauwerk, Netze und Draht. Der Dampf wurde in Dampfkesseln, die mit drei Feuern beheizt wurden, erzeugt. Auf der Ausreise war das Schiff mit Eis im Fischraum und mit Kohlen in den Bunkern beladen.
Da lag denn das Schiff ziemlich dicht über der Wasseroberfläche. Auf der Heimreise war die Kohle fast verbraucht, aber durch das Gewicht der Fische, bis zu 6.000 Zentner, lag das Schiff wieder sehr tief im Seewasser.
Wenn wir im Winter nach Island fuhren, hatten wir meist starken Wind oder Sturm aus Nordwest. Da ballerte der Dampfer dann vier Tage lang gegenan. Vorn hörte sich das an, als ob jemand mit einem Riesenhammer gegen das Vorschiff schlug, wenn das Schiff in die See einsetzte. Seewasser kam trotz der Back genügend an Deck. Wer zur Wache nach achtern auf die Brücke oder in den Heizraum wollte, der mußte ganz schön aufpassen. Zur rechten Zeit losrennen und immer am Manntau festhalten. Das lernt man dort sehr schnell. So ist das nämlich mit der See. Sie gibt dem Seemann die Regeln vor. Richtet er sich nicht danach, wird er unbarmherzig bestraft.
Und doch fühlt sich der Seemann sein ganzes Leben lang von der See angezogen und vermißt sie, wenn er ihr Adieu gesagt hat. Aber das sagt Dir dein Opa sozusagen hinter vorgehaltener Hand. Denn das offen zuzugeben ist genau so wenig üblich, wie das  mit den großen Worten.
Bei schlechtem Wetter war es vorne im Logis, so heißt der Raum in dem die Matrosen und Heizer wohnen, nicht gemütlich. Weil der Schornstein unseres Ofens oft unter Wasser stand, qualmte der Ofen gelegentlich und feucht war es auch. Die meisten der gestandenen Seeleute wurden zwar nicht seekrank, aber wohl fühlten sie sich nicht dabei. Richtig gegessen haben meist nur drei oder vier Leute, denen das nichts ausmachte. Dazu gehörte auch Dein Opa. Die ärgerten mit ihrem Appetit die Wachgänger, die für sie das Essen von achtern aus der Kombüse holen mußten. Der Koch hatte bei einer solchen Fahrt kein leichtes Leben. Dauernd mußte er auf seine Töpfe achten, die statt auf dem Herd stehen zu bleiben, in der Kombüse umhertanzen wollten.
Sechs Matrosen mußten umschichtig Wache auf der Brücke gehen. Die übrigen waren Tageswächter. Sie hatten dafür zu sorgen, dass zur Ankunft auf dem Fischplatz bei Island das Fanggeschirr fertig war. Keine gemütliche Arbeit, denn das Salzwasser wehte über das ganze Schiff. Da gab’s nasse Klamotten und oft auch kalte Hände.
Da könnte man meinen, dass die Heizer es vor den warmen Feuern gut gehabt hätten. Das war aber nicht so. Bei voller Fahrt mußten sie auf ihrer vierstündigen Wache schwerste körperliche Arbeit leisten, damit genug Dampf erzeugt wurde. Das hieß, Kohlen aus dem Bunker in den Heizraum heranschaffen, die Kohlen in die drei Feuerlöcher schaufeln, die Feuer auflockern, Feuer saubermachen und Asche hieven. Und das alles bei dem schaukelnden und bockigen Schiff. Nach vier Stunden waren die fix und fertig. Ich weiß das, denn ich habe einmal als Leichtmatrose im Heizraum aushelfen müssen. Da habe ich dann auch gemerkt, dass richtiges Heizen eine Kunst ist.
Insgesamt aber waren die vier Tage der Ausreise gegenüber den dreizehn Tagen auf dem Fischplatz gemütlich. Wir konnten uns nämlich ausschlafen. Das war beim Fischen anders. Während dieser dreizehn Tage beim Fischen wurde alle drei Stunden das Fanggeschirr ausgesetzt und wieder eingeholt. Die gefangenen Fische mußten von uns geschlachtet, gespült und in den Fischraum gegeben werden, wo sie in Fächern auf Eis gelagert wurden. Das dauerte auch seine Zeit. So kamen die Matrosen zwischen den einzelnen Hols, so nennt man eine Fangperiode, in der Regel nur zu ein oder eineinhalb Stunden Schlaf. Dann ging’s wieder an Deck. Spätestens da wurden wir bestimmt wieder wach, denn wir mußten dauernd in Luv-Seite, dort wo der Wind und die See herkommt, arbeiten. Das war nicht nur unangenehm, sondern auch gefährlich. Da mußte dann jeder auf seinen Nachbarn aufpassen, wenn mal ein Brecher an Deck kam. Bei sehr guten Fängen kam es auch dazu, dass man zwei oder drei Tage keinen Schlaf bekam. Da kam man dann nur für ganz kurze Zeit zum Essen unter Deck, ohne die feuchte Arbeitskleidung wechseln zu können. Aber das haben wir ganz gut ertragen. Wir wußten dann ja, dass wir gut verdienen würden - wenn uns der Fisch am Markt auch wirklich abgekauft würde. Schlimmer war’s schon, wenn dauernd das Netz oder das ganze Fanggeschirr am Grund kaputt ging. Dann war schwere Arbeit angesagt, bei der nichts zu verdienen war.
Ja, schwer war alles, was mit dem Fanggeschirr zu tun hatte. Das fing mit der Kurrleine an, mit der das Geschirr über den Meeresgrund gezogen wurde. Auf zwei großen Trommeln der Dampfwinde waren die Vor- und Achterleine, jede über tausend Meter lang und dick wie ein Forkenstiel, aufgewickelt. 
An den beiden Leinen waren die großen, schweren Scherbretter, jedes wog mehr als eine Tonne, befestigt. Diese großen Bretter sorgten dafür, dass das Netz, das an langen Drahtleinen an ihnen befestigt war, am Grund weit offen gehalten wurde, damit die Fische hineinschwimmen konnten. Die großen Stahlrollen, die unter dem Netz hingen, waren größer als ein Medizinball und schwer. Das Netz war auch nicht etwa leicht. An seinem Ende hatte es Maschen aus dickem, doppelten Netzgarn. Denn mit diesem Beutel wurden bis zu achtzig Zentner Fisch aus dem Wasser an Deck gehievt. 
Wenn der zweite Steuermann den Knoten am Steert löste, klatschen sie an Deck in die Schlachtfächer. Wenn der Fang gut war, mußte der Steert fünf oder sechs Mal übergehievt werden. Dann lag das ganze Vordeck voll Fisch, so hoch, wie unsere langen Seestiefel reichten. Wären wir Jammerlappen gewesen, hätten wir gesagt, das kann man nicht in zweieinhalb Stunden schaffen. Wir aber sprangen wie verrückt in die Fische, die da mit ihren offenen Mäulern lagen und schlachteten um die Wette. Wenn der Fisch einmal da war, mußte man immer sehen, dass das Deck für den nächsten dicken Hol wieder frei war.
Vielleicht meinst Du, dass wir Tierquälerei betrieben hätten. So ging mir das zuerst auch. Vor allem hatte ich etwas Angst, wenn ich vor einem Kabeljau von über einem Meter stand, der mit dem Schwanz schlug und sein großes Maul aufsperrte. Aber so ist das in der Natur, einer frißt den anderen. Und wir lebten nun davon, dass wir Fische fingen. Später sah jeder von uns nicht mehr das einzelne Tier, das da an Deck lag. Es war Geld! Davon lebten wir und unsere jungen Familien.
Zu dem dauernden Schlafentzug kam noch, dass man sich häufig die Finger beim Schlachten oder beim Arbeiten am Geschirr verletzte. So eine Verletzung heilte beim Fischen nicht, weil man ja dauernd im Seewasser arbeitete. Das ging soweit, dass man mit den schmerzenden Händen nicht mal mehr eine Scheibe Brot abschneiden mochte. Da kam dann die Kameradschaft ins Spiel, indem einer der Heizer seinen Kameraden das Brot aufschnitt. Das tat uns wohl und wir versuchten wiederum den Heizern zu helfen, wenn sie auf Aus- oder Heimreise so schwer malochen mußten. Kameradschaft auf See bei der Fischerei ist etwas ganz besonderes. Du vergißt das Dein Leben lang nicht. Jetzt weißt Du auch, weshalb ich meinen Freund Fritz, von dem ich über fünfzig Jahre nichts gehört habe und dem es mit seinen 81 Jahren überhaupt nicht mehr gut geht, mindestens einmal im Monat besuche. Für uns beide ist das dann immer eine schöne Stunde. Auch heute noch verstehen wir uns, notfalls ohne Worte und wissen, dass wir uns aufeinander verlassen können. Die See gibt uns hier etwas wieder!
Wenn wir Glück hatten, waren unsere Fischräume nach zwölf oder dreizehn Tagen gut mit Fischen gefüllt. Blieb nur noch, dass wir bei voller Fahrt - der Kapitän hatte meist bis zur letzten Minute gefischt - das Deck aufklaren mußten. Eine ungeliebte Arbeit, aber es mußte ja sein. Aber dann fielen wir wie tot in unsere Kojen und hätten drei Tage geschlafen, wenn wir nicht zur Wache geweckt worden wären. Dabei kriegten uns junge Leute die Wachgänger sehr schlecht wach. Der Körper wehrte sich gegen das Wecken.
Du fragst mich, was wir denn von Island gesehen hätten? Kaum etwas. Bei guten Wetter schon von weitem die hohen vulkanischen Berge und die Inselgruppe der Westermanns. Manchmal auch die Küste bei Portland. Bei dem klaren Wetter hast Du dann gedacht, Du könntest dreimal soweit gucken als sonstwo. Die klare Luft und Kimm gaben Dir ein wunderschönes Gefühl, die See war gut zu Dir!
Damals konnten wir bei Portland ja noch fischen, wunderbare Qualität! Nur die Drei-Meilen-Grenze durften wir nicht verletzen. Manche Kapitäne taten das trotzdem, weil sie hofften, unter Land noch mehr und bessere Fische zu fangen. Das Risiko war hoch. 
Denn wenn ein isländisches Wachfahrzeug uns geschnappt hätte, wäre zumindest der Fang beschlagnahmt worden. Unser Geld wäre weg gewesen. Ich habe das aber nicht erlebt. Später wurden die Fischereigrenzen um Island immer weiter nach See zu ausgedehnt. Damals waren wir verbittert darüber, weil wir meinten, die See und die Fische gehörten allen Nationen. Heute wissen wir, dass die Bestände gegen Überfischung geschützt werden müssen. Und wir verstehen auch, dass der Fischreichtum unter Island der nationale Reichtum der Isländer ist.
Erlebt habe ich aber die Isländer zweimal. Jedesmal mußten wir am Patreksfjord den Sarg mit einem ertrunkenen deutschen Fischer abholen. Einmal war es unser eigener Kamerad, der bei einem schlimmen Brecher hinter der Winde weggerissen worden war und ertrank. Später hatte ihn ein anderer Fischdampfer mit dem Netz aufgefischt. Das waren sehr düstere Tage für uns andere. Aber hierbei haben wir erlebt, mit welcher Würde die isländischen Kollegen uns den Sarg an Bord brachten. Wir waren ihnen sehr dankbar dafür und haben auch hier die Kameradschaft der Seeleute untereinander über nationale Grenzen hinweg erlebt. Das ist ein sehr schönes Erlebnis, auch wenn der Anlaß sehr traurig war.
Wie es bei Sturm war? Das war eine besondere Sache. Bis höchstens Windstärke neun konnten wir noch fischen. Das war für uns, die an Deck dem Wind und der See direkt ausgesetzt waren, sehr gefährlich. Aber auch das Netz konnte dabei leicht kaputt gehen. Wenn der Wind also stärker wurde - und der Meteorologe des Fischereischutzbootes „Meerkatze“, ein gewisser Dr. Mertins, sagte das meist genau voraus - dann wurden die Bretter an den Galgen vorgehievt und alles, was an Deck war, festgezurrt und die Luken seefest verschlossen. Es konnte dann sein, dass wir drei Tage lang den Sturm abreiten mußten. Immer mit dem Vordersteven gegen den Wind. Kam der Orkan aus westlicher Richtung, dann hatte er die See über den ganzen Nordatlantik vor sich her aufgetürmt. Bei Orkan rollten richtige Wasserberge auf uns zu, überall in der Luft war Schaum und legte sich in breiten Streifen auf die See. Wenn dann große, sich überschlagende Brecher auftürmten, war es, als brülle die See. Ausweichen konnte man denen meistens nicht. Vor allem mußte der Rudersmann aufpassen, dass er mit dem Schiff genau auf die See hielt. Von der Seite durfte uns so ein Brecher nicht fassen. Dann wären wir verloren gewesen. Hatten wir Angst? Anfangs wohl nicht, dann fährst Du als junger Kerl zur See und  denkst, man kann alles überstehen. Aber irgendwann hast Du gelernt, dass die See hart und grausam zuschlagen kann.
Aber es war auch nicht so, dass wir nun vor Angst schlotternd auf der Brücke gestanden hätten. Dazu war der Anblick viel zu großartig. Der kleine Dampfer fuhr richtig die Wasserberge bergab und wieder hinauf. Und war er oben auf einem hohen Wellenberg, dann bot sich Dir ein gewaltiger Anblick von der Kraft und Großartigkeit der Natur. - Und nun will ich Dir noch etwas verraten, worüber wir sonst nicht sprachen: Du fühlst Dich dann in Gottes Hand! Weißt Du wohl, was das bedeutet?
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Version: 21-Jun-02 / JRö / Rev.: 13-Jun-11 / HBu