Vier Reisen pro Jahr und
jede nur zwei Monate lang. Deutsche Reedereien waren in der Große-Seen-Fahrt
zu Hause. Ab Montreal wurden keine Funkwachen mehr gegangen, zwei Wetterberichte
am Tag und die Verwaltung. Das „Kümmern um die Passagiere“ war Englisch-Unterricht
am lebenden Objekt. Was für ein Leben: „Well-paid to see the World“.
Auf den Großen Seen Nordamerikas gab es schon immer eine bedeutende
Binnenschiffahrt.
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Die "Lakers", wie
hier die SS "Joseph Bloch" / WA6571 (ex "Arthur H. Hawgood") unter der
Mackinac-Brücke,
waren für die Seen
typisch.
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Mit der Eröffnung der Eisenhower-Schleusen
1958 oberhalb Montreals waren die Seen aber kein Binnenrevier mehr und
Chikago wurde eine Seehafenstadt. Die Region prosperierte sprunghaft.
Technisch war man in einem
Dämmerschlaf: Transistoren wurden benutzt, waren aber in der Seefahrt
noch nicht zugelassen. Das Temperaturverhalten war noch zu schlecht. Einige
hatten schon einmal einen Transistor gesehen. Wie er denn aussähe?
Ja, er sei schwarz und hätte drei Beine. Wie er denn funktioniere?
Wie bei einer Röhre, nur alles andersrum.
Radar gab es: große
und unglaublich schwere Kisten. Und zwingend vorgeschrieben für die
Seen: das UKW-Seefunkgerät.
Navigatorisch schien alles
wie bei Kolumbus zu sein: Sextant und Koppelnavigation. Lebhaft erinnerte
ich die Reise, wo unsere Besteckversetzung 80 Seemeilen betrug. Bei den
üblichen Nettigkeiten zwischen Nautikern und Funker durfte dies aber
nicht mehr erwähnt werden.
Von Hamburg durch die Nordsee,
über die Doggerbank. Toll die Navigation mit dem Echolot. Durch den
Pentland-Firth: schwarzes, gurgelndes Wasser neben grünen Weiden mit
Kühen darauf, so dicht, dass man meinte, sie anfassen zu können.
Sehr hohe Stromgeschwindigkeiten. Dann die Großkreisnavigation. Orthodrome
– Loxodrome. Die täglichen kleinen Kurskorrekturen.
Jetzt aber kam mein Einsatz:
als Funker sollte ich den „Alten“ so früh wie möglich mit Eisberichten
versorgen. Unglaublich leise kamen die kanadischen Küstenfunkstellen
mit ihren Eisberichten. Der „Alte“ galt als Eis-Kapitän; schon vor
dem Krieg hatte er „Kanada gefahren“. Er wollte unbedingt durch die Belle-Isle-Straße.
Zwei solcher Eisberichte
und eine Bordwetterkarte
Aufgenommen in Telegrafie
von Jakob Rösti (CH) am 24. Mai 1961 an Bord MS
"Castagnola" / HBDZ in Position 50.57,5N / 28.07,5W
und eine für den gleichen
Tag aufgenommene Bordwetterkarte von NSS (Ausschnitt / gezeichnet von Kpt.
Hermann Schneider)
Argentia Radio / NIK
24-may-61 / 00:48 GMT
us-coast guard radio station
argentia Nfld
NIK 0048 GMT ice bulletin
24 may =
estimated limits of all known
ice in the grand banks region =
47n 5610w to 46n 5630w to
4530n 56w to 4520n 52w to 4820n 5040w to 49n 51w =
loose pack ice in scattered
patches north of 4630n =
many bergs and growlers
located within a line from 47n56w to 46n 55w to 46n 53w to 47n 52w to 48n
52w to 4830n 51w to 49n 51w =
reported 23 may = berg in
46n 5630w
reported 22 may = berg in
4538n 5555w
reported 20 may = berg in
4530n 5215w growler in 4721n 5155w
sighted 19 may = bergs in
4538n 5232w 4547n 5220w 4608n 5228w 4611n 5221w =
growlers in 4611n 5217w
4823n 5032w =
estiamted limits if ice in
cabot strait region 4820n 60w to 4740n 5940w to 46n 5920w to cape canso
=
heavy pack ice reported
within a line from cape north to 4630n 60w to 4620n 5930w to 47n 5935w
to 4930n 6230w to point escuminac =
daily facsimile broadcast
of ice conditions will be transmitted at 1330 gmt on 10287.5 kcs at 60
rpm =
station call and sync signal
at 1323 gmt =
all ships are requested to
report to NIK all ice sighted and when between lats 39n and 49n and longs
43w and 60w to report sea water temp, position, course, speed, visibility,
wind and weather conditions every four hours =
ice observations being conducted
by aircraft =
track bravo effective =
commander international ice
patrol +
und hier der
Eisbericht 4 Tage später am 28. Mai 1961 in Position 44.45N / 56.50W.
Argentia Radio / NIK
28-may-61 / 12:48 GMT
US Coast Guard Radio Station
Argentia Nfld / NIK
12:48 gmt ice bulletin
28 may 1961
Estimated limits of all known
ice in the grand banks region =
47n46w to 46n/5630w to 4510n
5520w to 4520n 52w to 4740n 5520w to 4820n 5040w to 49n 5020w =
loose pack ice in scattered
patches north of 49n =
many bergs and growlers
located within a line from 4650n 5550w to 46n 55w to 46n 53w to 4740n 5220w
to 4830n 5050w to 49n 51w =
reported 27 may: radar tagets
in 4515n 5417w 4518n 5413w =
reported 26 may: growler
in 49n 5041w =
reported 23 may: berg in
46n 5630w =
reported 22 may: berg in
4538n 5555w =
reported 20 may: berg in
4530n 5215w =
sighted may 19: bergs in
4538n 5232w 4547n 5220w =
etsimated ice in cabot strait
region =
loose pack ice of 3 to 6
tenths concentration within a line from flint island to 4610n 59w to 4715n
60w =
three oceanographic buoys
moored in positions 4456n 4911w 4453n 4854w 4452n 4838w =
description =
doughnut shape eight foot
diameter with seven foot tripod tower =
paintes orange
characteristics =
flashing white ten seconds
flash one second =
daily faximile broadcast
of ice conditions will be transmitted at 1330 gmt on 10287,5 kcs at 60
rpm =
station call and sync signal
at 1323 gmt =
all ships are requested to
report to NIK all ice sighted and when between lats 39n and 49n and longs
52w and 60w to report sea water temp, position, course, speed, visibility
and weather conditions every four hours =
ice observations being conducted
by aircraft =
track bravo effenctive =
Commander international ice
patrol + |
Entscheidungshilfe waren meine
Eisberichte. In der zweiten Nachthälfte wurden sie dann auf Mittelwelle
gesendet. Er riss sie mir förmlich aus der Schreibmaschine. Das Schiff
lief immer noch Kurs auf die schöne Insel. Aber das Gesicht des „Alten“
wurde immer länger.
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In den nächsten
Stunden fiel die Entscheidung. Neuer Kurs Südwest und weiter auf die
Cabot-Straße zu: Zu viel Eis für die Jahreszeit. Mehr als einen
Tag wäre die Reise kürzer gewesen.
Stundenlang konnte ich auf
die Seekarte schauen: all die Namen um die Entdeckung der Nordwestpassage
fand ich hier. Wie sehr hatte ich doch als Junge diese Geschichten verschlungen.
Wo war John Franklins Grab?
Aber Cap Race ist auch das
Kap der Stürme. Das Zusammentreffen zweier bedeutender Meeresströmungen
und kleinere Wassertiefen bedeuteten großen Fischreichtum.
In diesem Gebiet waren die
Fanggründe der Portugiesen in ihren Ruderbooten, ihren Dörries.
Ganz alleine in einem Ruderboot fischten sie – ohne Sichtverbindung zum
Mutterschiff. Einzigartige seemännische Leistungen. Rudyard Kipling
beschrieb die zauberhafte Freundschaft zwischen einem Fischerjungen und
dem verwöhnten Kind reicher Eltern, das über Bord fällt
und von einem Fischer in einem solchen Dory gerettet wird. Die nächsten
Monate musste es mit den portugiesischen Fischern leben. Märchenhaft
die Wandlung seines Charakters. |
Gorch von Blomberg in Harburg
baut diese Dories heute wieder; auf der Bootsausstellung kann man sie bestaunen.
Und an dieser Stelle fiel
dem „Alten“ das Radar aus.
Hier durch zu müssen,
ging nur bei extrem guter Sicht und nachts mit sehr kleiner Geschwindigkeit.
„Mal reingucken“, meinte
der „Alte“. Nun, damit war es mit Bordmitteln schwierig. aber Stunden später
lief sein Radar wieder.
In der Nacht ließ er
mich wecken. Eine sternenklare Nacht mit sehr guter Sicht.
Aber was war das denn? Hunderte
von kleinen Punkten waren auf dem Wasser. Glühwürmchen im Nordatlantik?
Unmöglich!
Es waren die Portugiesen
in ihren kleinen Booten, die hier fischten. Natürlich hatten sie Angst
vor dem großen dunklen Ungetüm, das bedrohlich schnell auf sie
zu kam. Mit dem weißen Licht der Petroleumlampen machten sie auf
sich aufmerksam.
Auf dem Radar von Seegangsreflexen
kaum zu unterscheiden. „Ohne Radar wäre ich niemals hier nachts durchgegangen“,
griente er.
Der „Alte“ ließ mit
der Fahrt runtergehen und die Aufbauten beleuchten.
Glücklich etwas für
meinen Berufsstand getan zu haben, freute ich mich auf meine Koje.
Daraus schien nichts zu werden:
Mein neuer Freund stand vor meiner Kammer und wartete geduldig.
Den ganzen Krieg hatte er
U-Boot gefahren, wie ich war er Funker. So gute 20 Jahre älter als
ich war er. Nach dem Kriege ging er aus dem zerstörten Deutschland
nach Kanada. Dies war seine Rückreise von einem längeren Deutschlandurlaub.
In Kanada hatte er seine Familie und seine Existenz. In Deutschland war
sein Elternhaus, hier verbrachte er seine Jugend; für Deutschland
war er in den Krieg gezogen. In einen Krieg, wo die allermeisten seiner
Kameraden geblieben waren.
Sehr zerrissen fühlte
er sich. Das Schiff näherte sich der Stelle, wo sein U-Boot die Kapitulation
erlebte.
Er berichtete mir von dem
Funkverkehr der letzten Kriegstage.
Nach zwanzig Jahren sah
er alles noch einmal, aber aus einer ganz anderen Richtung. Hatte er früher
die Funksprüche der getroffenen Schiffe abgehört, so sah er sich
jetzt selber auf einem Handelsschiff.
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oben:
Funkecke in einem U-Boot mit Empfänger R2
von Radione, Ozeansuper und
E 437
von Telefunken. Unten links erkennt man die Walzen der Kodiermaschine Enigma
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oben:
Sendeanlage mit 150 Watt Lang-
und 200 Watt Kurzwellensender
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Ob er wohl noch einmal funken
dürfe? Natürlich war es nicht erlaubt.
Mit Halifax wurde damals
per Funk die Übergabe des U-Bootes vereinbart.
Und an Halifaxradio sollte
er nun ein TR – einen Travel-Report – abgeben.
Mit ein wenig Hilfe gelang
dann die Übermittlung. Wir schauten uns an.
Zwanzig Jahre – lange noch
überlegte ich, werde ich in zwanzig Jahren auch so eine Wiederholung
in meinem Leben haben.
Und er, wird er in zwanzig
Jahren noch einmal an der Stelle sein, wo er dann vor vierzig Jahren sein
U-Boot übergab und, um auf einem Handelsschiff noch einmal mit Halifaxradio
seinen Funkverkehr in Morse-Telegraphie abzuwickeln?
Wohin würde seine Reise
gehen – wohin wird meine Reise gehen? Würden wir dann noch Menschen
treffen, mit denen wir morsen können? Oder wird es keine Stimmen mehr
geben, die antworten können?
In Montreal stellte er mich
seiner kanadischen Frau vor.
Ganz sicher werden sie noch
ein schönes Stück gegangen sein.
Bericht: Urheber
gem. Urh.G.: Günter Klepke
Eisberichte: Quelle: Jakob Rösti, CH
(Mit freundl. Genehmigung 18-Aug-12)
Bildnachweis:
Abb.1 Urheber gem.§7
Urh.G.:Jakob Rösti, CH (Mit freundl. Genehmigung 18-Aug-12)
Abb.2 Quelle: Nautischer
Funkdienst NF III (Urheber dort nicht genannt / Modifiziert durch
H. Busch, Berne)
Abb.3 und
Abb.4 Quelle: NDR-TV (Screendump durch H. Busch, Berne)
Abb.5 Marinemuseum
WHV (Abfotografiert durch H. Busch, Berne)
Abb.6 Quelle: F.
Trenkle in "Die deutschen Funknachrichtenanlagen bis 1945" Band 2, Seite
192 (Mit freundl.Genehmigung der Witwe / 1999)
Bordwetterkarte: Gezeichnet
von Kpt. H. Schneider HB, auf Vordruck "Bordwetterkarte 4", Herausgeber:
Deutscher Wetterdienst -Seewetteramt - Hamburg
Version:
20-Oct-12 / HBu
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