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Mein Fahrtgebiet blieb der
Nordatlantik: USA und Kanada. Sprachlich tat ich viel, um mich in Englisch
weiterzubilden. Es lief immer ein Empfänger auf BBC, Radio Canada
oder Voice of America. Sehr gerne hörte ich auch die Mittelwellen-Programme.
Gelegentlich zeigte man mir auch solche Rundfunksender. Ganz besonders
mochte ich die kleinen Sender für die deutschen Minderheiten: „Vier
Seeleute warten auf einen Tango!“ Neben dem Tango gab es eine Einladung,
die Sendestation zu besichtigen. Wie einfach und unkompliziert man miteinander
umging. Mit meinen anglophilen Einstellungen fühlte ich mich mehr
und mehr diesen Völkern verbunden. Mir gefiel das klare Denken dieser
Menschen. Jetzt verstand ich, warum man uns die „Square Heads“ nennt. Die
deutschen Clubs mied ich.
Ich hatte mich mit einem Deutschen in Detroit angefreundet; er zeigte mir viele Tricks in der Fernsehtechnik. Man war in der Farbfernsehtechnik ja viel weiter als in Deutschland. Viele dieser Dinge wären in einer deutschen Werkstatt undenkbar gewesen. Das Denken jedoch, für sich selber verantwortlich zu sein, das machte den größten Eindruck auf mich. Mein Beruf war zur Routine geworden. Wetter, Wetterkarten, AMVER und OBSe, MSG’s und der private Funkverkehr. Mit der Verwaltung war es ähnlich. Man hatte viele Reisen gemacht, man hatte das Prinzip verstanden und die Dinge verloren ihren Schrecken. Es war viel Arbeit, es gab natürlich noch keine Computer und auch keine Taschenrechner. Wie viele Mannschaftslisten hatte ich wohl getippt? Unverändert blieb das Interesse an den Begegnungen mit fremden Menschen, an ihrer Geschichte. Lebhaft erinnerte ich Gespräche mit einem englischen Ehepaar. Er hatte als Marineoffizier den Krieg mitgemacht und wollte wohl einmal die Deutschen aus der Nähe kennen lernen. Seine Frau hatte eine so schöne Aussprache, dass ich immer meinte, es sei eine Sprecherin der BBC, die neben mir stand. Unsere morgendlichen Small-Talks führten über die Schiffsposition zu irgendwelchen Anglizismen. „What is a Boat and what is a Ship?“ - “You see, a Ship belongs to the Navy. To the British Royal Navy! Any other vessel is a Boat! Even the ‘Queen Mary’ is a Boat!” Nun wusste ich also, auf einem Boot tat ich meinen Dienst im Nordatlantik. Ein sehr altes Dictionary half. Our Position? – “Just entering the German Ocean!“ Das „DL-QTC“ des Deutschen Amateur Radio Clubs gab gute Informationen über die Entwicklungen in der Übertragungstechnik. Ursprünglich hatte ich die Absicht, recht lange zu fahren. Aber innerlich entfernte ich mich immer mehr von diesem Beruf. Vier Messen “fuhren” wir in jenen Tagen auf unseren Schiffen. Unsere Passagiere genossen die Gesellschaft unserer drei leitenden Herren – oder war es umgekehrt? Vorgegebene Räume mussten eingehalten werden. Die Company wollte mich wohl auch anderen Räumen unserer Welt näher bringen. Nun, dies war schon eine Umstellung. Die Reisen dauerten viel länger. Und massive Spanischkenntnisse waren nötig. Südamerika, Westküste. Noch war sie da, diese Begeisterung, fremde Länder erleben zu können. Den Nord-Ostsee-Kanal hatte ich in der Holzfahrt gesehen. Der Suezkanal war seit Jahren gesperrt. Ihn habe ich nie gesehen. Was fehlte, das war der Panama-Kanal. Hatte früher die Überfahrt zehn Tage gedauert, so waren es jetzt drei Wochen von Hamburg nach Panama.
Zu allem Unglück, wurde ‚unser Dampfer’ für einen Modellversuch auserkoren: Der Verpflegungssatz pro Mann und Tag sollte täglich ermittelt werden. Auch funktechnisch gab es Besonderheiten. Die Schiffahrts-Agenturen an der Westküste Südamerikas betrieben eigene Funkstellen. Es waren Transceiver mit einer Leistung von 100 Watt Träger. Damals im Seefunk üblich: Zweiseitenband-Aussendungen mit vollem Träger. Vor dem Befahren der Karibik versuchte ich, diese aufzunehmen. Die Nautiker meinten, gelegentlich müssten sie doch schon zu hören sein. Der Hauptempfänger war der E566 von Siemens. Er besaß eine solch farbenprächtige Skala, dass man ihn auch Regenbogen- oder Papageien-Empfänger nannte. Leider besaß er kein S-Meter. Dass der Empfänger ‚taub’ sei, zeigte sich nicht. Andererseits waren die Radio Propagations in der Karibik instabil. Ich maß der Sache also keine besondere Bedeutung bei. Nach dem Passieren der Karibik empfing uns Panama mit guten Einkaufsmöglichkeiten. Meist hatte man aber gar nicht die Chance an Land zu kommen. Ferdinand Lesseps, der Erbauer von Suez ist hier an den geografischen Gegebenheiten und am Gelbfieber gescheitert. Er versuchte ohne Schleusen den Kanal zu bauen. Erst die Amerikaner haben eine gelbfieberfreie Zone eingerichtet und Schleusen gebaut. Berühmt diese Lokomotiven, die mit dem Schiff schwungvoll diese Steigungen nehmen. Nach dem 1. Weltkrieg übergaben die Amerikaner dann der Weltschiffahrt „ihren Kanal“.
Wir erreichten die peruanischen Häfen. In Callao trafen wir ein Companyschiff. Der 2.Ing heiratet eine Schöne des Landes aus gut betuchtem Hause. Die deutsche Kolonie und zwei Schiffsbesatzungen. Ein gewaltiges Fest, es dauerte eine Woche. Unglaublich die Deutsch-freundlichkeit hier. Das würde sich in Chile noch um ein vielfaches steigern. Meine Gedanken waren im letzten Jahrhundert. Kriege um Salpeter zwischen Peru und Chile. Erst viel später gelang es ja den Deutschen, Salpeter synthetisch herzustellen. Erfindungen, die das Ende der Segelschiffe in der Salpeterfahrt bedeuteten. Chiles Wirtschaft erlitt schwere Rückschläge. Der sehr kalte Humboldtstrom beschert den Chilenen diesen Segen der Natur: Fischreichtum und Guano: „Ich lob’ Euch, ihr Vögel der fernen Guano-Küst’ – trotz meinem Landsmann dem Hegel, macht ihr doch den größeren Mist!“ Dieser Fischreichtum war auch in Europa bekannt. Noch nach dem Kriege gingen einige Büsumer Krabbenfischer mit Familie nach Chile und bauten sich hier eine Existenz auf. Meine privaten Agentursender brauchte ich für den südlichen Teil der Reise nicht mehr. Chile ist ein so unglaublich schönes Land, dass man jede deutsche Landschaft da finden kann. Und schwarzhaarige Frauen mit blauen Augen. Es war die Zeit von Allende, dem Vater der Schriftstellerin Isabel Allende. Der Mittelstand verließ das Land. Der chilenische Escudo wurde international nicht mehr konvertiert. Alle Leute wollten US-Dollars. Ein großer Schwarzmarkt. Die Unitad Popular mit ihrem linken Liedergut in spanischer Sprache machte Eindruck. Sie nahmen mich mit in die Berge der Anden: zauberhaft ihre Lieder zur Gitarre. Ein deutscher Schiffshändler in San Antonio führte mich in den Rotary Club ein. Und – ich mochte es kaum glauben, man sprach English mit mir. Abschwächend erklärten mir die Herren, bei der nächsten Reise müsse ich Spanisch können. Eigentlich gab es da keine Barriere, diese Sprache zu lernen. Nach einem ersten, recht leichten, Einstieg folgt ja dann die lange Phase, in der man kaum Fortschritte macht. Natürlich wusste ich, wenn ich doch wieder in die Elektrotechnik gehen sollte, würde ich Englisch brauchen, Spanisch war da aber weniger anzuwenden. Und so hatte ich mich entschlossen, meine Zeit für die Weiterbildung in Englisch zu investieren. Mich hielt auch der Unterschied zwischen dem kastillianischen Spanisch und dem ‚American Spanish’ ab. Dies wird sehr schnell gesprochen. Der Anteil der mehrsilbigen Wörter ist nun aber viel größer als in der englischen Sprache. Kannte man Ursprung und die Bedeutung der vielen Fremdwörter, so gelang es oft schnell den Sinn von Fragen herauszufinden. Eine Technik, die ich mehr und mehr verfeinerte. Bedauert hatte ich immer, keine Lateinkenntnisse zu haben. Die Prozedur der Einklarierung war imponierend. Die vielen abgeforderten Listen, das kalte Buffet und dann die ‚Presentas’. Schnell lernte ich mich anzupassen. Viel Unbill wurde durch flexible Lösungen und Einfühlungsvermögen vom Schiff abgehalten. Der 1. Steward sprach wirklich perfekt Spanisch. Was habe ich von diesem Mann nicht alles gelernt? Mich beeindruckte, wie schnell er wirkliche Freundschaft bot und auch forderte. Mühsam war das Umrechnen der ‚großen Währungen’. Die Schiffskasse wurde in DM geführt. Fremde Währungen zu unterschiedlichen Zeiten und unterschiedlichen Kursen in die Schiffskasse gebracht, stellten mich vor komische Probleme. Bei den Vorschusszahlungen konnte ich doch die Leute nicht ungleich belasten. Und Überschüsse aus Rundungsdifferenzen gehörten nicht in die eigene Tasche, sondern mit einem Einnahmebeleg in die Schiffskasse. Man war eben doch kein ausgebildeter Kaufmann. Bedenkt man, man hatte sechs Wochen an der Westküste oft täglich einen Hafen, so versteht man den hohen Verwaltungsaufwand. Hier war ich nicht mehr der ‚Radio Oficial’, hier war ich der ‚Senor Contador’. Meine Akzeptanz war viel größer als wenn ich Nur-Funker wäre. Aber bei aller Verwaltung
hatte ich immer noch das Problem des ‚langsam sterbenden’ Hauptempfängers
im Kopf. Nachts um 0118 GMT auf 8511 kHz, auf der DAL-Frequenz, holte ich
mir die Presse. Sie kam sehr leise und war auch schwer aufzunehmen. Ich
nahm sie direkt in die Schreibmaschine. Fehlte zu viel oder waren zu viele
Fehler drin, so schrieb ich sie dann doch noch einmal ab. Nach der letzten
Silence-Period in der letzten Wache schaltete ich die 2. Arbeitfrequenz
im 16 MHz-Band. Man stellte sich mit seinem Rufzeichen und einer Reihe
VVV’s vor. Im Duplex mit anderen Schiffen folgte jetzt der ‚Küstenklatsch’.
Mannschaftslisten und TR’s wurden ausgetauscht. Diese Dinge gingen in die
Messen. Boten sie doch den Leuten Abwechslung im täglichen Bordleben.
Während meiner ganzen Seefahrtzeit hatte ich es immer als ein großes
Glück empfunden, wann immer ich wollte, mit der Außenwelt zu
kommunizieren. Für mich war das Schiff nicht die kleine Einheit im
Ozean. Ich konnte der ganzen Welt zuhören, ich konnte mich mit ihr
unterhalten. Stets versuchte ich, hier auch etwas weiterzugeben. Aber es
war auch viel Sicherheit drin, wenn man so oft wie möglich Kontakte
zu anderen Seefunk- oder Küstenfunkstellen hatte. Drückte man
auf die Taste, so machte der Sender die Eingangsstufen der Rundfunkgeräte
‚dicht’. Blieb der Empfänger während der ganzen Aussendung ‚zu’,
so war das ein weiteres Kriterium für die Qualität des Funkers.
Und ein schlechter Funker wollte man nun wirklich nicht sein!
Mein Notempfänger war der E-66a und damit alleine über den Atlantik mochte ich nicht so gerne. Es waren noch einige Tage bis Colon, dem Eingang zum Panamakanal. Der hohe Verwaltungsaufwand wurde weniger. Nach dem Abendessen warf ich den ganzen Papierkrams in eine Ecke. Diese Nacht sollten jetzt dem E566 gehören. Ein chilenischer Radiohändler hatte mir Kontaktspray überlassen. Das Vielfachinstrument der SeeFuSt verschmähte ich seit langem. Ein kleines japanisches Vielfachintrument mit 20 kOhm/V begleitete mich auf See. Noch einmal wechselte ich die Röhren für den HF- und ZF-Teil. Dann ging es gegen den Drucktastensatz des E566. All das brachte nichts: Mir schien es, als ob mein alter Ausbilder mir über die Schulter sah. „Jungs, habt ihr Spannungen gemessen? Fangt im Netzteil an!“ Aber es gab keine sehr großen Abweichungen. Eine Sichtkontrolle der Elkos, mit der die Elektroden der Röhren wechselspannungsmäßig auf Masse gelegt wurden, brachte auch nichts. Mein alter Ausbilder sagte mir, dass 80 % aller Fehler im Netzteil zu finden seien. Mein Blick blieb an einer Soffittenlampe hängen.
Sie war dunkel aber sie hatte
Durchgang. Was das wohl sollte? Mir war schon klar, diese Art Fehler mit
Bordmitteln zu finden, war auch mit viel Glück verbunden. War es wirklich
ein Fall für die Werkstatt? Gemessen wurde die Anodenspannung, die
Schirmgitterspannung und ggf. die Spannung über dem Kathodenwiderstand.
Bei der Röhrenheizung begnügte man sich mit einem Blick: Sah
man die Röhren glimmen, so war das ok. Trotz allem, alles noch einmal!
Irgendwie war ich es jetzt
leid. Ich ‚holte’ mir aus einem der Sender 6,3 V Heizspannung. Damit versorgte
ich die beiden Oszillator-Röhren des E566. Einziger Nachteil, der
Hauptempfänger musste mit dem Sender zusammen eingeschaltet werden.
Der Empfänger war viel empfindlicher geworden.
Im Seefunk hatte man das
SITOR,
ein erstes fehlerkorrigierendes Fernschreibverfahren, eingeführt.
Im letzten Urlaub hatte ich nach einem Bauvorschlag der ‚Funkschau’ eine
Digitaluhr mit diskreten Bauteilen gebaut. Unaufhaltsam kam die Digitaltechnik.
Siliziumtransistoren lösten die niederohmigen Germaniumtypen ab. Die
TTL-IC’s der 74er-Serie waren da.
6 ‚Mantas’ hatten wir für
die 6 Wochen Aufenthalt an der Westküste zusätzlich an Bord genommen.
Schwarzhaarige, dunkelhäutige Gestalten, die nie viel sprachen; sie
leisteten gute Arbeit. Alle kamen sie aus Manta, einem Hafen in Equador.
Sie blieben unter sich, aber sie waren hochbelastbar. Und in Manta, dem
letzten Hafen des Schiffes vor dem Panamakanal, bekamen sie dann ihre Heuer
und die Arbeitspapiere von mir. Alle Schiffe unserer Company in der Westküstenfahrt
holten sich hier die zusätzlichen Decksleute.
Im europäischen Küstenbereich
blieb ich bis zum Quartalsende.
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