Sitalputt
in Bangladesh:
Auf
einer der größten Schiffsabwrackstellen der Welt arbeiten 20
000 Menschen Tag und Nacht für wenig Geld.
Das
Telefon wird nie mehr klingeln. Es sei denn, der Elektrohöker Mohammed
Meah findet tatsächlich noch einen Käufer für das Modell,
das einst auf der Brücke eines Ozeanriesen seine Dienste Tat. Die
abgegriffene Wählscheibe erzählt eine lange Geschichte, die nur
in paar Kilometer weiter, am Strand von Sitalputt, ein schnelles Ende fand.
Tausende Läden wie der von Meah säumen die Straße von Chittagong
bis zur Schiffsabwrackstelle Sitalputt, die neben dem pakistanischen Gadani
und dem indischen Alang zu den größten der Welt zählt.
Das Wrackvolumen wird hier auf rund vier Millionen Tonnen pro Jahr geschätzt.
Überall
sind auf dem Weg zum Schiffsfriedhof am Golf von Bengalen die sterblichen
Überreste der zerteilten Meeresgiganten zu sehen: Haushohe Generatoren,
in langen Reihen aufgestellte Toiletten, Rohre in jeder Größe
und Form, Möbel, Navigationsgeräte, Ketten und gestapelte Eisenplatten,
so weit das Auge reicht.
Der
martialische Arbeitsplatz von rund 20 000 Menschen erstreckt sich über
sieben Kilometer entlang der Küste. Tanker, Frachtschiffe, Passagierdampfer
und Kühlschiffe sind hier dicht nebeneinander auf den modrigen Grund
gefahren worden und liegen bei Niedrigwasser trocken. Manche sind noch
komplett, andere sind bereits zweigeteilt, geviertelt, geachtelt. In Sitalputt
wird nie gerastet. Es dröhnt und hämmert sieben Tage die Woche.
Immer rund um die Uhr, nachts bei gespenstischem Flutlicht. Rasselnde Ketten,
aufheulende Motoren und angsteinflößendes Quietschen der Stahlwanten
sind hier allgegenwärtig. Die J.L. Enterprise ist eine von 35 Gesellschaften
die vor der Küste Chittagongs seit Mitte der 70er Jahre dem rauhen
Abwrackgewerbe nachgehen.
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Der
500köpfige Arbeitstrupp dieser Firma macht sich gerade über den
chinesischen Frachter "Suxiang" her. Aus dem Innern der "Suxiang" zischen
Schneidbrenner und dröhnen Trennflexe. "Heja, Heja!" Bei sengender
Mittagshitze schuften die Abwracker, ungelernte Kräfte, die aus ganz
Bangladesh hierherkommen. Männer, Jugendliche und auch Kinder. Wer
eine kleine Pause einlegt, wird sofort von den Vorarbeitern harsch angebrüllt.
In 20er-Gruppen ziehen die Männer und Jungen an schweren Eisenketten,
die sie um die weiter draußen zerlegten Schiffsteile legen und verhaken.
Mächtige motorgetriebene Winden schleppen den Schrott schließlich
an Land.
Alle
Arbeiter sind barfuß. Sie stehen knöcheltief in dem von Eisenspänen,
Öl und Rost geschwängerten Matsch. Ihre Arbeitsmontur beschränkt
sich auf kurzärmliche T-shirts und lunghis, die landesüblichen,
um die Hüfte gebundenen Hosentücher. Keiner trägt Handschuhe,
geschweige denn einen Helm. Dabei ist ihre Knochenarbeit lebensgefährlich,
jede europäische Berufsgenossenschaft würde den Betrieb sofort
schließen lassen. "Accident means dead" (ein Unfall bedeutet Tod),
meint denn auch Amrzad Hossain von der J.L. Enterprise. Lapidar fügt
er an: "Die Leute, denen so etwas passiert, sind nicht vorsichtig genug."
Kinder
schleppen den Schrott an Land |
Die Ozeanriesen
beschaffen sich die Abwracker von Maklern, Handelshäusern und Agenturen
aus aller Welt. London fungiert als eine der Schaltzentralen des "Riesengeschäftes",
bei dem jährlich, so Experten, rund 15 Millionen Tonnen Schiff abgewrackt
werden. Über die Preise mag der Geschäftsmann Hossain zuerst
nichts sagen. "Bei 200 Dollar pro Tonne liegt der Preis im Durchschnitt",
ringt er sich schließlich nur ungern zu einer Summe durch. Ebensowenig
Konkretes erfährt man von hiesigen Firmen, die sich auf den Handel
und das Makeln von abzuwrackenden Schiffen spezialisiert haben. "Die Konditionen
unterliegen einem ständigen Wandel, da kann man von Durchschnittspreisen
nicht reden", hält sich ein Mitarbeiter der Hamburger Firma Eckhardt-Marine
bedeckt. Die Firma All Ship wollte am Telefon keinerlei Auskunft zum Geschäft
geben.
Indes
sind Reeder und Schiffseigner heilfroh, daß sie ihre alternden Pötte,
die normale Lebensdauer liegt zwischen 20 und 25 Jahren, überhaupt
loswerden." Nach 20 Jahren müssen die Reeder für ihre Schiffe
eine Extraversicherung bezahlen, die sie häufig dazu veranlaßt,
das Schiff zu verschrotten", weiß Herr Zilm vom Schiffsklassifizierer
Germanischer Lloyd. "Was danach passiert, interessiert uns nicht."
Das
Abwrackgeschäft mit den großen Seeschiffen ist in den meisten
Ländern der westlichen Welt schon seit einigen Jahrzehnten gänzlich
verschwunden und nach China, Indien, Pakistan, Bangladesh und in die Türkei
abgewandert. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Die Arbeit
kostet in diesen Ländern im Verhältnis zum europäischen
Lohnniveau so gut wie nichts, und Auflagen zur Sicherheit der Arbeiten
werden allzu oft ignoriert. Hinzu kommt, daß es auf den großen
Abwrackstellen in Asien fast überhaupt keine Umweltauflagen gibt.
Insgesamt gesehen also "optimale" Bedingungen für die internationale
Schiffahrt, also besteht auch wenig Interesse daran, die Zustände
auf der Abwrackanlage kritisch in Frage zu stellen.
Dabei
sind es Tagelöhner wie die von Sitalputt, die mit ihrem kärglichen
Tagessatz von 49-90 Taka, umgerechnet ein Dollar, das ganze erst ermöglichen.
Ein Lohn, der auch in einem Land wie Bangladesh nur im Mittelmaß
liegt. Dafür riskieren diese Männer fast täglich ihr Leben,
schneiden sich Füße und Hände auf und werden teilweise
wie Sklaven behandelt. Doch haben viele der ungelernten Männer keine
andere Wahl, für sie geht es häufig ums nackte Überleben.
Im übrigen läuft das Geschäft das Geschäft für
solche Firmen wie J.L. Enterprise momentan durchaus gut, weil der Eisenschrott
in einer Gießerei verschmolzen und zu Armiereisen verarbeitet wird.
"Wir machen Gewinn", freut sich Hossain über die profitable Weiterverarbeitung.
Angesichts des Baubooms in den Städten Bangladeshs kann sich die J.L.
Enterprise über mangelnde Nachfrage nach diesem Baumaterial nicht
beklagen.
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