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Eigentlich
ist es müßig, nach 60 Jahren zu versuchen, die Ursachen des
tragischen Unglücks der Wilhelm Gustloff/DJVZ
zu ergründen, aufgrund der größten Schiffskatastrophe aller
Zeiten in der Geschichte der Seefahrt und dem geplanten ZDF-Film im Herbst
2008 sollten trotzdem einige Gedanken zu den bisherigen, teilweise widersprüchlichen
Veröffentlichungen nicht unausgesprochen bleiben.
Die nachfolgenden Überlegungen beschränken sich in erster Linie auf logistische, nautische und funkspezifische Aspekte sowie zu widersprüchlichen Angaben in der Literatur. Verhängnisvolle Entscheidung Obwohl für sämtliche Transporte von Gotenhafen nach Westen und deren Sicherung durch Geleitschiffe die 9. Sicherungsdivision in Gotenhafen – Oxhöft, Korvettenkapitän Leonhardt, verantwortlich war, entschied der Kommandeur der 2. U-Boot-Lehrdivision (2.ULD), Kapitän zur See Neitzel, das Auslaufen der Gustloff am 30. Januar 1945 ohne ausreichenden Geleitschutz. Trotz genereller U-Bootwarnungen für die Pommersche Bucht (5) war die U-Boot-Waffe der Meinung, keinen Tag versäumen zu dürfen, den Befehl über die schnellstmögliche Rückführung der 1281 Marineangehörigen der 2. ULD auf der Gustloff nach Kiel zu realisieren, obwohl vom Oberkommando der Kriegsmarine (KM) kein konkreter Rückführungstermin vorgegeben war (3). Militärischer Transportbegleiter war Korvettenkapitän Zahn, ehemaliger Kommandant des Wohnschiffes der 2. ULD Wilhelm Gustloff. Er war sich seiner Rolle als ranghöchster Marineoffizier an Bord sehr wohl bewusst (4). Kommandant der Gustloff war jedoch ein 63-jähriger Kapitän der Handelsmarine, Petersen, den die Engländer aus der Gefangenschaft entlassen hatten (4). Unter normalen Umständen hätte man wahrscheinlich Kapitän Petersen niemals mit dem Kommando der Gustloff betraut, aber Schiffskapitäne waren rar in dieser Zeit. Zahn gefiel es allerdings nicht, von einem Zivilisten Befehle entgegennehmen zu müssen. Dies führte natürlich generell zu Spannungen zwischen den älteren Offizieren der Handelsmarine und den U-Boot-Offizieren, die sich zu den Eliten der Marine zählten (4). Unterschiedliche Erfahrungen in Krisensituationen und Kompetenzgerangel der beteiligten Militärs über die diesbezüglichen Verantwortlichkeiten sowie differenzierte Auffassungen von der damaligen Lage haben nicht nur zu dieser verhängnisvolle Entscheidung über das Auslaufen der Gustloff ohne ausreichenden Geleitschutz geführt, sondern auch über die ungenügenden Festlegungen der Verantwortlichkeiten der Wachoffiziere auf der Brücke vor Auslaufen des Schiffes in Gotenhafen (1) (4). Als Schutz begleiteten die Gustloff lediglich zwei eigene Boote der U-Boot-Waffe, das kleine Torpedoboot Löwe und das Torpedofangboot TF 19, das allerdings die maximale Geschwindigkeit der Gustloff von 12 Knoten nicht halten konnte, leck geschlagen war und vorzeitig entlassen werden musste. In
dem herrschenden Chaos konnten sich die verantwortlichen Behörden
auch nicht über den Status des Schiffes einig werden. Die Nachrüstung
der Gustloff mit Flakgeschützen sowie der Transport von Angehörigen
der Wehrmacht haben den Status des Schiffes allerdings zum Truppentransporter
und nicht zum Flüchtlingsschiff erhoben (4).
Fehlende Koordination innerhalb der Marine-Funknetze Die
Gustloff war drei Tage vor dem Auslaufen auf der Werft in Gotenhafen mit
entsprechenden Marinefunkgeräten sowie zwei Chiffriermaschinen zum
Codieren und Decodieren der Funksprüche ausgerüstet worden. Die
Überwachung durch das Funkpersonal der 2.ULD unter Leitung eines Oberfunkmeisters
erfolgte auf insgesamt drei Wellenlängen (Frequenzen), der U-Boot-Sicherungswelle,
der Flugsicherungs-Welle und einer Welle mit dem Decknamen <Orange>
(Rückführung West) zur Aufrechterhaltung der Verbindung mit der
Leitstelle in Oxhöft (2).
Akute U-Boot-Warnungen für die Pommersche Bucht Aufgrund
atmosphärischer Störungen durch starkes Schneetreiben hatte die
Gustloff die U-Boot-Warnungen nicht empfangen, obwohl diese von der Leitstelle
in Oxhöft bereits seit etwa 20.00 Uhr für den betreffenden Seeraum
mehrfach ausgestrahlt worden waren. Auch das begleitende T Löwe hatte
von dieser Warnmeldung keine Kenntnis, da im Funkraum nur die U-Boot-Welle,
nicht aber die der 9. Sicherungsdivision in Oxhöft überwacht
wurde (2) (3).
Unzureichende
Koordinierungen der einzelnen Funknetze, selbst innerhalb der Kriegsmarine,
dürften ursächlich für derartige Pannen im damaligen Marine-Funk-System
sein. Dadurch konnten einheitlich abgestimmte Operationen der Flottenverbände
der Kriegs- und Handelsmarine zur Rückführung der Angehörigen
der Wehrmacht und der Flüchtlinge aus Ostpreußen nicht wirklich
optimal durchgeführt werden.
Streit um Lichterführung Der
gegen 20.35 Uhr auf der Gustloff angebliche empfangene Funkspruch über
einen entgegenkommenden Minensuchverband von sechs Booten soll zwischen
den Offizieren der Handels- und Kriegsmarine, nach dem Disput über
die Festlegung des nördlichen Tiefwasserweges durch Kapitän Petersen,
erneut heftige Diskussionen wegen der nun eventuell notwendigen Lichterführung
des Schiffes ausgelöst haben.
Unabhängig davon, dürfte wohl allen Offizieren auf der Brücke der Gustloff klar gewesen sein, dass bei der voraussichtlich etwa 15-stündigen Nachtfahrt von etwa 200 Seemeilen auf dem Zwangsweg 58 mit Gegenverkehr von eigenen Booten gerechnet werden musste. Darüber hinaus dürfte den Offizieren auf der Brücke bekannt gewesen sein, dass sämtliche Begleitschiffe und kleinere Einheiten zu dieser Zeit und in dieser Situation ohne Lichterführung bzw. stark abgedunkelt operierten (5). Alle Schiffe auf dem Tiefwasserweg mussten in beiden Richtungen mit unbeleuchteten Schiffseinheiten rechnen. Inwieweit
sich der Kapitän der Gustloff, Petersen, bei Vorliegen einer akuten
U-Boot-Warnung und trotz des Gegenverkehrs über die Lichterführung
vielleicht anders entschieden hätte, bleibt ebenfalls offen.
Blackout führte zum Chaos Nach
dem Stromausfall durch den Torpedotreffer im Hilfsmaschinenraum war das
gesamte Schiff zunächst in totale Dunkelheit gehüllt. Lediglich
einige batteriegespeiste Lampen der Notbeleuchtung spendeten einen spärlichen
bläulichen Lichtschein zur groben Orientierung innerhalb des Schiffes.
SOS SOS SOS Sofort
nach der Torpedierung wurde u.a. von Kapitän Petersen der Befehl zum
Absetzen einer SOS-Meldung erteilt. Dieser Befehl konnte jedoch von dem
Funkpersonal der 2. ULD auf der Gustloff nicht realisiert werden.
Wegen des totalen Stromausfalls erübrigt sich auch die wiederholt gestellte Frage, ob nicht die Möglichkeit bestanden hätte, mit den fest installierten Funkanlagen der Handelsmarine, eine Seenotmeldung abzusetzen. Diese Funkanlagen waren nur noch teilweise vorhanden und auch nicht mehr voll einsetzbar. Darüber hinaus waren die Funkmaate der 2. USD mit der Bedienung dieser Anlagen der Handelsmarine nicht vertraut (5). Funkgefreiter funkt SOS, und keiner hat’s gehört Ein
20-jähriger Funkgefreiter der Marine, Rudi Lange, der nicht zum Personal
des Oberfunkmeisters der Funkstation gehörte, sendete mit der batteriebetriebenen
UKW-Anlage auf der Brücke der Gustloff nach der Torpedierung ununterbrochen
einen mündlichen Notruf aus. Ihm war bekannt, dass der UKW-Sender
nur eine Reichweite von etwa 2000 Metern hatte, und er damit nur das Begleitschiff
T Löwe erreichen konnte. Dieser Notruf der Gustloff war allerdings
vom Funker mit der UKW-Anlage auf der Brücke vom T Löwe,
dem Marine Gefreiten Huber, erst wahrgenommen worden, nachdem die Gustloff
bereits rote Leuchtsignale geschossen hatte. Zwar war zwischen den beiden
Schiffen Funkkontakt auf UKW zu jeder vollen Stunde vereinbart worden,
die Torpedierung erfolgte jedoch kurze Zeit nach dem Abschluss der Verbindungsaufnahme
um 21.00 Uhr (5)
Entgegen den Vorschriften erfolgte die Kriegsnotmeldung jedoch offen im Klartext wie folgt: „Kr Kr Wilhelm Gustloff, wir sinken, Position 55° 7,5’ N, 17° 42’ O, Torpedotreffer.“(8) Die
Notmeldung wurde jedoch auf der Welle der U-Boot-Waffe und nicht auf der
Welle der 9. Sicherungsdivision in Oxhöft ausgestrahlt, da T Löwe
zur U-Boot-Waffe gehörte (2)
(3). Daher erfuhren
sowohl die Leitstelle in Oxhöft und deren im Einsatz befindlichen
Geleitschiffe erst auf Umwegen durch T 36 sehr viel später vom Seenotfall
der Gustloff. Die Boote, die in der Lage gewesen wären, am schnellsten
Hilfe leisten zu können, konnten deshalb erst mit beträchtlicher
Verspätung von der Katastrophe der Gustloff durch die Leitstelle in
Oxhöft informiert werden. Aber es war bereits zu spät, um noch
gezielte Rettungsmaßnahmen einleiten zu können (3).
Schlussbetrachtungen Niemand kann mit Sicherheit sagen, ob die Katastrophe des Unterganges der Wilhelm Gustloff hätte vermieden werden können. Fest steht jedoch, dass der wenig später zusammengestellte Konvoi mit drei Passagierschiffen und insgesamt 30 000 Menschen an Bord unbeschadet die Fahrt nach Westen überstanden hat. Allerdings unter dem Geleitschutz von kampferprobten Minensuchbooten (1). Die
Rückführung von mehr als Millionen Menschen im Frühjahr
1945 über See und die Rettung von etwa 10 000 Schiffbrüchigen
aus den eisigen Fluten der Ostsee wird trotz der etwa 20 000 Opfer als
eine der größten Leistungen in der Geschichte der Seefahrt ewig
in Erinnerung bleiben.
Quellenangaben Bekker, Cajus: Flucht übers Meer, München, 1964 (1) Schön, Heinz: Ostsee ´45 – Menschen, Schiffe, Schicksale, Stuttgart 1998 (2) Schön, Heinz: SOS – Wilhelm Gustloff, Stuttgart 1998 (3) Dobsen, Miller/Payne: Die Versenkung der >>Wilhelm Gustloff<<, Wien/Hamburg 1979 (4) Schön, Horst : persönliche Gespräche mit dem Funkmaat, 2007 (5) Ostseezeitung: www.ostsee-zeitung.de vom 13.03.2007, Seite 3 (6) Knopp, Guido: Der Untergang der Wilhelm Gustloff, München 2002 (7) Müller, Wolfgang: Untergang der „Wilhelm Gustloff“, Martenshagen 2005 (8) |