Der Untergang der Melanie Schulte / DICR
Fotos: Debeg (1) und Schulte & Bruns (1)  - 

Vor genau 50 Jahren, am 22. Dezember 1952 verschwand das deutsche Motorschiff "Melanie Schulte" spurlos. Das erst sechs Wochen alte Schiff der Reederei Schulte & Bruns in Emden war auf dem Weg von Narvik in Norwegen nach Mobile (Alabama), die letzte bekannte Position lag nördlich der Hebriden. In einem Spruch des Seeamtes Hamburg vom 24. April 1953 wurden das Schiff und die 35-köpfige Besatzung für verschollen erklärt.
Die Funkstation
Die Funkstation der "Melanie Schulte" / DICR wurde im Herbst 1952 eingerichtet. Bis zu dieser Zeit waren im Nachkriegs-Deutschland erst wenige neue Funkgeräte entwickelt worden, daher stammen hier einige noch aus der Vorkriegszeit. Links am Arbeitsplatz steht ein Allwellen-Empfänger Siemens E 66a aus dem Jahr 1948, links daneben ein Telefunken- Empfänger E 381 H (genannt: "Brotdose") von 1932. Das Gerät darüber an der Wand scheint das Autoalarmgerät zu sein. An der rechten Seite stehen die Sender der Station. Rechts neben dem Fenster zunächst der Mittel- und Grenzwellensender S 517 von Lorenz (max 400 Watt / A1, A2 + A3) als Hauptsender der Anlage, rechts daneben ein 100 Watt Kurzwellensender SK 100. Beide Geräte stehen auf dem Netzteil für den S 517. 
Ganz rechts an der Wand hängt ein Telefunkensender S 356 (316 bis 513 kHz / max. 200 Watt / Baujahr ab 1936) als Notsender. Darunter das Netzteil für den Kurzwellensender und darunter im Schrank der Umformer für den Notsender. Unter der Decke sind der Sendeantennen- Wahlschalter und die Notbeleuchtung, links neben dem Fenster eine kleine Schalttafel und vor der Schreibmaschine die Stationsuhr

Das Schiff:
Die „Melanie Schulte“ / DICR tauchte am 9. September 1952 nach einem zunächst misslungenen Stapellauf - das Schiff blieb für einige Stunden auf der Ablaufbahn stecken – bei den Nordseewerken in Emden in sein neues Element. Sie war 136 Meter lang, 17,76 Meter breit und mit 6367,16 BRT und 3227,35 NRT vermessen. Es war einer der ersten Nachkriegs-Neubau für die Reederei Schulte & Bruns in Emden. Die „Melanie Schulte“ / DICR trat am 10. November 1952 die erste Reise an, sie ging in Ballast nach Quebec und von dort am 27. November mit Getreide nach Hamburg, das am 10. Dezember erreicht wurde. Dann fuhr sie am 13. Dezember in Ballast nach Narvik

um gut 9000 Tonnen Eisenerz für Mobile (Alabama) zu laden sie verliess Narvik am 17. Dezember 1952.
Am 19.12. befand sich das Schiff bei Windstärke 6 querab Svinö. Kapitän Rohde teilte der Reederei mit, dass er nördlich um Grossbritannien herum fahren würde und das Schiff mit der Erzladung ein gutes Verhalten zeige. 
Am 21.12. um 14:40 Uhr ging ein Telegramm an die Reederei, in dem die Position 58° 22‘ Nord 9° 33‘ West angegeben war. Um 23 Uhr gab es eine weitere Verbindung mit Norddeich Radio, danach nicht mehr.
rechts:  MS "Melanie Schulte"
Die Möglichkeiten der Funkstation:
Bei der „Melanie Schulte“ / DICR handelte es sich um ein „ausrüstungspflichtiges“ Schiff, das nach den geltenden Bestimmungen mit einer Funktelegrafieanlage, mit einer Notanlage und mit einem Funkpeiler ausgerüstet war. Darüber hinaus hatte das Schiff einen 100 Watt Kurzwellensender vom Typ Debeg SK 100. Der Funker hatte daher folgende Möglichkeiten, eine Notmeldung abzugeben:
1.) In Telegrafie auf Mittelwelle 500 kHz mit dem Hauptsender Lorenz CL517 oder mit dem gleichen Sender in Telefonie auf der damaligen Grenzwellen Seenot- und Anruffrequenz 1650 kHz.
2.) Mit dem Kurzwellensender Debeg SK 100 auf Kurzwelle.
3.) Mit dem Notsender S 365 in Telegrafie auf Mittelwelle 500 kHz.
Der Notsender Telefunken S 365 stammt aus dem Jahr 1936. Er war unabhängig vom Schiffsnetz, er wurde aus der Notbatterie gespeist. Die Spannung der Batterie war 24 V, die Kapazität 165 Ah. Sie war über der Funkstation auf dem Peildeck untergebracht, der von ihr angetriebene Umformer stand in der Station.
Nach den Bestimmungen hatte Funkoffizier Helmut Balzerssen bis 22:00 GMT Wache. Kurz vor 22:00 GMT fragte er bei Norddeich Radio nach, ob noch Funkverkehr vorliege (QRU?). Am nächsten Morgen hätte er um 08:00 GMT wieder auf Wache sein müssen, während der Nacht wurde die Funkwache durch das Autoalarmgerät sichergestellt. Am nächsten Vormittag lag bei Norddeich Radio Funkverkehr für „Melanie Schulte“ vor, aber DICR meldete sich nicht mehr – nicht bei Norddeich Radio, nicht bei Reykjavik, Wick, Thorshavn oder Malinhead Radio. Nach Aussage von Telegr.Oberinspektor N. vom Funkamt Norddeich hat Funkoffizier Balzerssen auf der ersten Reise des Schiffes nach Quebec immer in kürzester Zeit Verbindung mit Norddeich Radio aufgenommen, wenn Funkverkehr vorlag.

Suchaktion:
Alle Schiffe im in Frage kommenden Seegebiet wurden drahtlos informiert - auch Fischdampfer die diese Route in Richtung Schottland befahren - und ersucht, auch auf Trümmer zu achten. Flugzeuge der Royal Airforce suchten nach der „Melanie Schulte“, ausser einem Ölfleck weit ab von der letzten Position 58° 22‘ Nord 9° 33‘ West wurde nichts gefunden. Täglich berichteten die Zeitungen in Norddeutschland von der Suche, ab Anfang Januar 1953 wurde die Meldungen aber von Tag zu Tag pessimistischer. 

Wrackstücke:
Am 23. Januar 1953 wurde gemeldet, dass auf der Insel North Uist (Äussere Hebriden) einige zerbrochene Planken und Lukenstücke angespült worden seien, darunter auch eine Holzstück mit einem kleinen schwarzen Schild „Mithörleitung“. 
Die Debeg-Zweigstelle Emden äusserte sich vor dem Seeamt Hamburg dazu wie folgt: 
„Es steht fest, dass die Sperrholzplatte ein Teil des Schottes zwischen Funkstation und Funkerwohnraum war. Auf der Funkraumseite sind deutlich die Konturen und Löcher der hierauf befestigt gewesenen Stationsteile zu erkennen. Diese waren: 2 Spezial-Empfangsantennendosen und die dazu gehörenden Kabel, 1 Dose für Mithörleitung, 2 Erdungsklemmen, die Erdungsleitungen und die noch vorhandene Erhöhungsleiste für das Netzanodengerät.“ 
Im Februar wurde in Schottland ein Rettungsring mit der Aufschrift „Melanie Schulte“ angespült.

Spekulationen:
Wie auch 26 Jahre später beim Verlust des Lashcarriers „München“ / DEAT wurde an der Küste viel über den Verbleib der „Melanie Schulte“ / DICT spekuliert. Von Minen, Sabotage, Piraten, Konstruktions- und Materiealfehlern  war die Rede. Auch der misslungene Stapellauf wurde als schlechtes Omen mit einbezogen. 

Das Seeamt:
Im Spruch des Seeamts Hamburg vom 23. April 1953 heisst es:
Es muss geschlossen werden, dass dem Schiff „Melanie Schulte“ in der Zeit vom 21.12.1952 23 Uhr bis zum 22.12. ein Unfall zugestossen ist, der den Totalverlust und den Tod der aus 35 Personen bestehenden Besatzung zur Folge gehabt hat. Die Ursache des Unfalls ist nicht ermittelt, weil keine Augenzeugen vorhanden sind. . . . Wahrscheinlich hat das Zusammentreffen einer ungünstigen Verteilung der Ladung im Schiff mit einer ungewöhnlichen Schlechtwetterlage einschliesslich Windsee und Dünung und den hierdurch bedingten Resonanzen der Schiffseigenperioden mit der Seegangsperiode zu einer derart hohen Druckbeanspruchung im Schiff geführt, dass ein so schnelles Zusammenbrechen des Schiffes erfolgt ist, dass auch zur Abgabe eines Funkspruches keine Möglichkeit mehr bestand.“

Es blieben auf See:
Kapitän Heinrich Rohde, 1. Offizier Lorenz Tebbens, 2. Offizier Arend Freerks, 3. Offizier Manfred v. Schuckmann, Funkoffizier Helmut Balzerssen, Ltd. Ingenieur Wilhelm Finkhausen, 2. Ingenieur Wilhelm Görlach, 3. Ingenieur Helmuth Andrée, 3. Ingenieur Johannes Niebuhr, Elektriker Georg Krause, die Ing.Assistenten Gerhard Welzel, Rolf Brodthagen, Wilhelm Lindenbeck, Koch Fr.-Wilhelm Wiethüchter, Kochsmaat Johannes van der Wall, S-Steward Werner Oldenburger, M-Steward Rudolf Giebner, die Messe-Jungen Jürgen Boelsen und Georg Schweers, Bootsmann Willi Schlimmermeier, Zimmermann Hermann Fokkena, die Matrosen Bernhard Pommer, Johannes Weber, Hermann Guhling, Heinr. G. Freese und Werner Nickel, die Leichtmatrosen Johann Tromp und Horst Kimmerle, Jungmann Fritz Cassens, die Decksjungen Alfred Körte, Hans Misenta und Konrad Berlage und die Reiniger Paul Dirks, Jan Hesse und Walter Pätzold.


Quellen:  U. Frankhäuser, Spruch des Seeamtes Hamburg vom 23.4.1953 und „75 Jahre Schulte & Bruns“ (1958)
Bildnachweis:

Stationsfoto (1)  Quelle: DEBEG (Deutsche Betriebsgesellschaft für drahtlose Telegrafie) Niederlassung Bremen, Hohentorshafen (Mit freundl. Genehmigung 1999)
Schiffsfoto (1)  Quelle: Reederei "Schulte & Bruns", Emden in einer Schiffs-Zusammenstellung von etwa 1970, Seite 29 (Urheber dort nicht genannt) 
                                     Die Firma "Schulte & Bruns" (Emden, Ringstraße 2) ist 1978 erloschen. Rechtsnachfolger bisher unbekannt. 
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Version: 22-Dec-02 / Rev.: 21-Sep-09 / 22-May-11 / HBu