Der Untergang der "Kremsertor" / DEDB
Ein Bericht © 1966: Funkoffizier K. Hempel
Zuerst veröffentlicht im "Mitteilungsblatt der Seefunkkameradschaft Bremen" Nr. 5/1966

MS „Kemsertor“ war ein Bulkfrachter von 18 000 Ladetonnen und befand sich auf einer Reise mit Eisenerz von Novorossisk, Schwarzes Meer, nach Nordenham. 
Durch Wetterberichte von Landsend Radio / GLD wussten wir, dass im Nordteil der Biskaya Windstärke 7 bis 9 aus Südost herrschte. Am 19. Januar 1966, 12 Uhr, passierten wir Ushant und steuerten dann einen Kurs, der uns auf unseren Kanalkurs bringen sollte. Dabei hatten wir Wind, See und Dünung genau von Steuerbord-Seite, nahmen viel Wasser über Deck und Luken und rollten stark. 

MS "Kremsertor":  Das Schiff wurde 1962 bei der AG "Weser" in Bremen gebaut. Es war mit 12889 BRT (8186 NRT) vermessen, 212 Meter lang und 21,64 Meter breit. Die Hauptmaschine leistete 7650 PS, damit war das Schiff 15 Knoten schnell.

Um 12.30 Uhr GMT stellten wir eine plötzliche Schlagseite nach Steuerbord von etwa fünf Grad fest. Als die Schlagseite langsam zunahm, bestimmte der Kapitän einen Kurs, der uns wieder auf den Atlantik brachte, dabei hatten wir Wind und See von achtern, und hofften, dass das Schiff wieder auf ebenen Kiel kam. Der 1. Offizier kontrollierte die Laderäume und Ballasttanks, die Tanks waren lenz, aber in Raum drei stand ein halber Meter Wasser auf der Ladung und diese war nach Steuerbord verrutscht. Der Kapitän telefonierte über Kurzwelle mit der Reederei und erklärte versuchen zu wollen, das Schiff wieder hinzutrimmen.
Um ca. 15.30 Uhr änderten wir erneut den Kurs und versuchten jetzt mit 90 Grad in den Kanal und damit unter Küstenschutz zu gelangen. In der Drehbewegung, bei starkem Überholen nach Backbord, richtete sich das Schiff auf und lag wieder auf ebenem Kiel. Die Maschine lief während der ganzen Zeit auf LV. Ab 16.00 Uhr steuerten wir wieder unseren alten Kanalkurs und der Maschinentelegraf wurde auf VV gelegt. Ca. 16.10 Uhr, bei einem starken Überholen nach Stb., richtete sich das Schiff nicht wieder auf. Die Schlagseite betrug jetzt 20 Grad, die Maschine lief wieder LV. Um 16.30 unterrichtete der Kapitän die Reederei telegrafisch über die neue Lage. Etwa um 16.50 Uhr GMT erteilte er mir den Auftrag, eine Seenotmeldung abzugeben.

Ich arbeitete mit dem Hauptsender auf 500 kHz A2 und gab nach Aussenden des Alarmsignals folgende Meldung ab:
SOS German M/V „Kremsertor“ at 16.55 in Position 48,41 North 01,31 West ship is drifting with 20 degrees list due to shifted cargo stop need immidiately assistance – Master +  (Da mein Tagebuch nicht gerettet wurde, sind Zeiten und Wortlaut der Meldung nicht genau)

Meine SOS-Meldung wurde sofort von Brest Radio/FFU sowie zahlreichen anderen Schiffen bestätigt. Brest Radio wiederholte um 17.00 GMT meine Meldung mit vorhergehendem Alarmzeichen. Über FFU erhielt ich dann auch die ersten Telegramme von Seeschleppern mit Hilfsangeboten. Etwa vier bis fünf andere Schiffe hielten sofort auf unsere Position zu. Wir akzeptierten den uns am nächsten stehenden deutschen Schlepper „Atlantik“/DAPQ.
Der Kapitän hielt es für das beste, langsam in den englischen Kanal einzudampfen. Wir steuerten 40 Grad bei 7 Knoten, direkt auf die englische Küste zu. 
Links:  Hochseeschlepper "Atlantic"/DAQP  Der Hochseeschlepper "Atlantic" wurde 1959 von der Schichau-Werft für die Bugsier Reederei AG in Hamburg gebaut.
In der Zwischenzeit versuchte fast die gesamte Mannschaft, die Ladung mit Schaufeln zu trimmen; es war vergeblich, die Schlagseite erhöhte sich langsam auf 25 Grad. Das Arbeiten in der Funkstation wurde durch die Schräglage des Schiffes sehr erschwert. Ich hatte einen Leichtmatrosen als Verbindungsmann zur Brücke zugeteilt bekommen. Dieser hielt ständig meine Taste, das Tagebuch und eine Haufen Zettel fest, während ich bemüht war, alles mitzuschreiben und jeden Anruf entgegenzunehmen. 
Um 19.30 erreichten die ersten Schiffe unsere angegebene Position, da sie auf ihren Radargeräten nichts entdecken konnten, baten sie mich um QTG. Mit gutem Erfolg gab ich auf der Frequenz 410 kHz Peilstriche. Jede Stunde gab mir die Brücke die neue Position mit Kurs und Geschwindigkeit, die ich sofort an FFU weitergab. Die Küstenfunkstelle wiederholte die Angaben immer sofort. 
Um 19.50 Uhr trafen drei Schiffe in unserer Nähe ein. Wir baten eines davon bei uns zu bleiben, bis der Schlepper eingetroffen war. Es war der englische Passagierdampfer „Hardwick Grange“ / GHMU, alle anderen Schiffe wurden mit Dank entlassen.
Ca. 20.30 Uhr stellte ich die erste UKW-Verbindung mit dem Schlepper her, weiter unterrichtete ich Brestradio über das langsame Zunehmen der Schlagseite und über unsere Absicht, die englische Küste ungefähr bei Start Point zu erreichen. Während dieser Zeit wurden von der Mannschaft die Bulleye-Blenden  vorgelegt, die Eingangsschotten gesichert und beide Rettungsboote klar zum Ausschwingen gemacht. Jetzt wurde der Funkverkehr ruhiger, ich rauchte eine Zigarette.
Um 00.40 Uhr erreichte uns der Schlepper. Wir entliessen den englischen Passagierdampfer, und da die Schlagseite bei 28 Grad nicht mehr zugenommen hatte, hoben wir unser SOS auf (QUM with caution). Anschliessend arbeitete ich mit dem Schlepper auf UKW-Kanal sechs. Wir besprachen unsere Absichten und seine geplante Hilfeleistung, sowie Informationen über unsere Reederei. Wir beabsichtigten, eine geschützte Bucht an der englischen Küste anzulaufen, um dort, mit Hilfe der starken Pumpen des Schleppers, die Ladung wieder hinzutrimmen. Wir fuhren noch mit eigener Kraft und wären am 20. Januar 1966 um etwa 08 Uhr GMT an der vorgesehenen Stelle angekommen.
Um 02 Uhr erschien es mir, als hätte die Schlagseite wieder zugenommen, was aber von der Brücke verneint wurde. Das Schiff wurde immer schwerfälliger und gierte stark. Um 04.12 liess der Kapitän die Maschine stoppen und beidrehen. Das Schiff legte sich in die günstigste Lage und hatte nun eine Schlagseite von 35 Grad. Die Mannschaft sammelte sich auf dem Bootsdeck, fertig zum Aussteigen. Das Fortbewegen an Deck war bei dieser Schlagseite sehr erschwert, es gab die ersten leichten Rutschunfälle. Um 04.30 Uhr bat mich der Kapitän auf die Brücke zu kommen und den weiteren Funkverkehr über UKW von hier aus abzuwickeln. Nun sah ich zum ersten Mal das Schiff in seiner traurigen Lage. Die gesamte Steuerbordseite hing bis zu den Lukendeckeln im Wasser, die Brecher erreichten schon das Bootsdeck. Als erstes bat ich den Schlepper erneut für uns SOS auszustrahlen und unsere neue Lage mitzuteilen. Der gesamte Funkverkehr mit dem Schlepper gestaltete sich sehr gut. (Anm. Red.: Auf der „Atlantik“ sind die Funkoffiziere Jäckel und Winkler, FU 29). In wenigen Minuten war bereits das erste Schiff, die „Nabstein“ / DDTJ vom Norddeutschen Lloyd, längsseits und nahm über UKW Verbindung mit uns auf.

MS "Nabstein / DDTJ des Norddeutschen Lloyd  Bauwerft: Atlas Werke Bremen, in Dienst gestellt: 12.1959, 5347 BRT, 7240 tdw, Länge: 130,6m, Breite 16,2m, 4000 PS, 14,5 Kn, 1972 nach Liberia verkauft.

Über Landsendradio / GLD wurde uns Flugzeug- und Hubschrauberunterstützung zugesichert, was sich später als sehr gut erwies. Ich gab dann die Anweisung des Kapitäns für die Ausschiffung unserer Besatzung an die „Atlantik“ weiter. Der Schlepper wollte eine Leinenverbindung herstellen und dann mit dem Schlauchboot immer je 4 Mann herüberziehen. Als um 06.30 Uhr alles besprochen war, dankte mir der Kapitän für meine Arbeit und sagte, ich solle mich so schnell wie möglich, auf das Hauptdeck, BB-Seite, begeben und mit Aussteigen. Der Kapitän, 1. Und 2.Offizier und ein 3. Ingenieur wollte noch freiwillig länger ausharren.
Die Schlagseite betrug jetzt 45 Grad, es war schwierig, über die Backbordseite das Hauptdeck zu erreichen. Bedingt durch hochgehende See und starke Strömungen gelang es dem Schlepper in den nächsten zwei Stunden nicht, eine Leinenverbindung herzustellen. Das Hauptdeck auf BB-Seite war durch ausgelaufenes Schweröl rutschig geworden, es gab zahlreiche leichte Unfälle. Die Schlagseite nahm ständig zu und es hiess, das Schiff könne jederzeit kentern.
Es war empfindlich kalt und das wildbewegte Wasser sah nicht einladend aus. Unsere Boote waren nicht mehr zu benutzen, das Steuerbord-Boot hing bereits im Wasser und das Backbord-Boot konnte wegen der Schräglage nicht mehr ins Wasser gefiert werden. Um 07.30 Uhr erschienen der Kapitän und der 1. Offizier, beide schwer verletzt, auf dem Hauptdeck. Sie erklärten, wir müssten das Schiff sofort verlassen. Als letzte Rettungsmöglichkeit blieb uns nur noch die Backbord-Rettungsinsel, die aber nur 25 Mann aufnehmen konnte.
Mit grossen Anstrengungen gelang es uns, die Insel über die schräge Bordwand zu Wasser zu lassen. Über die Lotsenleiter sprang dann einer nach dem anderen in die Insel hinein. Diese war zu Anfang gleich beschädigt worden, das Dach war gerissen und stand halb unter Wasser.  Die Insel tanzte auf der bewegten See hin und her, auf und nieder und schlug gegen den Schiffskörper, wobei sie oft Wasser übernahm. Es war sehr schwierig und gefahrvoll, zwei verletzte Besatzungsmitglieder mittels eines Tampens abzufieren.
Als 27 Mann kreuz und quer in der Insel lagen, wurde die Fangleine gekappt und wir trieben vom Schiff ab. Zurück blieben sieben Mann, die später von unserer Rettungsinsel abgeholt werden sollten. Wir trieben genau auf den Schlepper zu und froren und zitterten erbärmlich. Vom Schlepper wurde uns eine Fangleine zugeworfen, an der wir uns an die Bordwand heranzogen. Die Besatzung des Schleppers warf Leinen und zog uns an Bord. Nass wie Katzen, mit Beulen und Hautabschürfungen bedeckt, wurden wir sofort unter Deck gebracht. Die nassen Sachen, das einzige, was wir von unserer Habe retten konnten, wurden uns ausgezogen und jeder erhielt eine Wolldecke. 
In der Zwischenzeit waren Flugzeuge und Hubschrauber eingetroffen. Die Flugzeuge warfen Schlauchbootbomben ab, die aber von den an Bord gebliebenen nicht erreicht wurden. Darauf liessen zwei Hubschrauber Seilschlingen herab und zogen Mann für Mann daran hoch. Um 09.15 Uhr GMT, am 20. Januar 1966, waren alle Mann gerettet und der SOS-Verkehr wurde aufgehoben. Der Kapitän den Schleppers wollte es nicht riskieren, eine Leine an unserem inzwischen mit einer Schlagseite von 60 Grad hin- und herrollenden Schiff festzumachen. Er nahm an, dass die „Kremsertor“ bald sinken würde. 
Aber alle täuschten sich. Noch sieben Stunden dauerte der Todeskampf unseres braven Schiffes. Um 16.51 GMT versank die „Kremsertor“, drei Stunden von der rettenden Küste entfernt, für immer in den Fluten des Englischen Kanals.
Mit der „Atlantik“ erreichten wir gegen 22 Uhr den britischen Hafen Falmouth. Nach 36 Stunden ohne Schlaf fiel ich nach einer warmen Mahlzeit in das Bett in einer für uns reservierten Pension. Am anderen Morgen wurden wir auf Kosten des englischen Staates sehr grosszügig neu eingekleidet und erreichten am 21. Januar 1966 gegen 22 Uhr per Flugzeug unseren Heimathafen Bremen.
Wir hatten unser Schiff verloren, aber Dank der guten Disziplin der Besatzung war niemand ernstlich zu Schaden gekommen. Die Lehre aus dieser Katastrophe ist, dass man bei derartig labilen Ladungen das Einbauen von Längsschotten zur Pflicht machen sollte.


Der Seeamtsspruch zum Untergang der „Kremsertor“, über den am 24. März 1966 vor dem Seeamt in Bremerhaven verhandelt wurde, lautet:
Die Schiffsführung der „Kremsertor“ (12 889 BRT) hat keine Schuld am Untergang des Erzfrachters. 

Das Seeamt stellt dazu fest:
Mit grosser Wahrscheinlichkeit ist der Untergang darauf zurückzuführen, dass die Eisenkonzentratladung von 17 288 Tonnen mit einem durchschnittlichen Feuchtigkeitsgehalt von 10,79 Prozent infolge Vibration durch Maschine, Propeller und Stampfbewegung des Schiffes zunächst im Raum drei breiig geworden und dann übergegangen ist, wodurch eine Schlagseite entstand, die zum Übergehen der Ladung in den anderen Räumen und schliesslich zum Kentern des Schiffes führte. Es kann jedoch nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, dass das Breiigwerden der Ladung und die zunehmende Schlagseite durch Wassereinbruch von aussen erfolgt bzw. begünstigt worden ist.
Der Sachverständige, Professor Wendel, von der Technischen Hochschule Hannover konnte durch Versuche mit Proben des Eisenkonzentrates aus Krivoe Rog (UdSSR, Ladegut der „Kremsertor“) nachweisen, dass bei einem Feuchtigkeitsgehalt von ca. 10,8 Prozent die Ladung ohne Wassereintritt von aussen durch Vibration breiig werden kann.
Die navigatorischen Massnahmen, die Abgabe von SOS und das Verlassen des Schiffes waren gerechtfertigt. Mängel in der Bauart und Einrichtung lagen nicht vor. Das Seeamt gab aber die Empfehlung, künftig im § 160 der Unfallverhütungsvorschriften die Grenzwerte der Feuchtigkeitsgehalte von Schiffsladungen unter Berücksichtigung der Herkunftsorte festzulegen, bei deren Erreichen die Gefahr des Breiigwerdens auftreten kann, und welche Sicherheitsmassnahmen – Seitzen von Längsschotten – dann getroffen werden müssten. Die Arbeiten der IMCO auf diesem gebiet sollten dabei berücksichtigt werden. 
Die „Kremsertor“ hatte am 9. Januar 1966 den Hafen von Noworossisk (Sowjetunion) zur Reise nach der Weser verlassen. Als das Schiff am 19. Januar um 14 Uhr bei schlechtem Wetter im Kanal unter Landschutz von Quessant kam, stellte man fünf Grad Steuerbordschlagseite fest und legte das Schiff in den Wind. Die Kontrolle der Laderäume ergab, dass im Raum drei das Eisenerzkonzentrat (4 700 t) breiig geworden war. Die Lenzpumpe wurde sofort auf Raum drei angesetzt und soll nach den Aussagen des 2. Ingenieurs laufend Wasser geworfen haben. Um 18 Uhr vergrösserte sich die Schlagseite ruckartig auf 25 Grad. Der Kapitän entschloss sich, SOS zu geben. Der in Brest liegende Schlepper „Atlantik“ lief sofort aus und erreichte die Unfallstelle gegen 24 Uhr. Als die Schlagseite fast 40 Grad betrug, wurde die Maschine gestoppt und der mitlaufende Schlepper  gebeten, die Besatzung zu übernehmen. Nachdem wasser durch Schornstein und Lüfter eingedrungen war, sackte die „Kremsertor“, die zuvor noch mit 80 Grad Schlagseite getrieben war, schliesslich um 17.51 Uhr über das Heck weg.


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Version: 10-Jan-03 / HBu