MS
„Kemsertor“ war ein Bulkfrachter von 18 000 Ladetonnen und befand sich
auf einer Reise mit Eisenerz von Novorossisk, Schwarzes Meer, nach Nordenham.
Durch
Wetterberichte von Landsend Radio / GLD wussten wir, dass im Nordteil der
Biskaya Windstärke 7 bis 9 aus Südost herrschte. Am 19. Januar
1966, 12 Uhr, passierten wir Ushant und steuerten dann einen Kurs, der
uns auf unseren Kanalkurs bringen sollte. Dabei hatten wir Wind, See und
Dünung genau von Steuerbord-Seite, nahmen viel Wasser über Deck
und Luken und rollten stark.
MS
"Kremsertor": Das Schiff wurde 1962 bei der AG "Weser" in Bremen
gebaut. Es war mit 12889 BRT (8186 NRT) vermessen, 212 Meter lang und 21,64
Meter breit. Die Hauptmaschine leistete 7650 PS, damit war das Schiff 15
Knoten schnell.
Um
12.30 Uhr GMT stellten wir eine plötzliche Schlagseite nach Steuerbord
von etwa fünf Grad fest. Als die Schlagseite langsam zunahm, bestimmte
der Kapitän einen Kurs, der uns wieder auf den Atlantik brachte, dabei
hatten wir Wind und See von achtern, und hofften, dass das Schiff wieder
auf ebenen Kiel kam. Der 1. Offizier kontrollierte die Laderäume und
Ballasttanks, die Tanks waren lenz, aber in Raum drei stand ein halber
Meter Wasser auf der Ladung und diese war nach Steuerbord verrutscht. Der
Kapitän telefonierte über Kurzwelle mit der Reederei und erklärte
versuchen zu wollen, das Schiff wieder hinzutrimmen.
Um
ca. 15.30 Uhr änderten wir erneut den Kurs und versuchten jetzt mit
90 Grad in den Kanal und damit unter Küstenschutz zu gelangen. In
der Drehbewegung, bei starkem Überholen nach Backbord, richtete sich
das Schiff auf und lag wieder auf ebenem Kiel. Die Maschine lief während
der ganzen Zeit auf LV. Ab 16.00 Uhr steuerten wir wieder unseren alten
Kanalkurs und der Maschinentelegraf wurde auf VV gelegt. Ca. 16.10 Uhr,
bei einem starken Überholen nach Stb., richtete sich das Schiff nicht
wieder auf. Die Schlagseite betrug jetzt 20 Grad, die Maschine lief wieder
LV. Um 16.30 unterrichtete der Kapitän die Reederei telegrafisch über
die neue Lage. Etwa um 16.50 Uhr GMT erteilte er mir den Auftrag, eine
Seenotmeldung abzugeben.
Ich
arbeitete mit dem Hauptsender auf 500 kHz A2 und gab nach Aussenden des
Alarmsignals folgende Meldung ab:
SOS
German M/V „Kremsertor“ at 16.55 in Position 48,41 North 01,31 West ship
is drifting with 20 degrees list due to shifted cargo stop need immidiately
assistance – Master + (Da mein Tagebuch nicht gerettet wurde, sind
Zeiten und Wortlaut der Meldung nicht genau)
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Meine
SOS-Meldung wurde sofort von Brest Radio/FFU sowie zahlreichen anderen
Schiffen bestätigt. Brest Radio wiederholte um 17.00 GMT meine Meldung
mit vorhergehendem Alarmzeichen. Über FFU erhielt ich dann auch die
ersten Telegramme von Seeschleppern mit Hilfsangeboten. Etwa vier bis fünf
andere Schiffe hielten sofort auf unsere Position zu. Wir akzeptierten
den uns am nächsten stehenden deutschen Schlepper „Atlantik“/DAPQ.
Der
Kapitän hielt es für das beste, langsam in den englischen Kanal
einzudampfen. Wir steuerten 40 Grad bei 7 Knoten, direkt auf die englische
Küste zu.
Links:
Hochseeschlepper "Atlantic"/DAQP
Der Hochseeschlepper "Atlantic" wurde 1959 von der Schichau-Werft für
die Bugsier Reederei AG in Hamburg gebaut. |
In der
Zwischenzeit versuchte fast die gesamte Mannschaft, die Ladung mit Schaufeln
zu trimmen; es war vergeblich, die Schlagseite erhöhte sich langsam
auf 25 Grad. Das Arbeiten in der Funkstation wurde durch die Schräglage
des Schiffes sehr erschwert. Ich hatte einen Leichtmatrosen als Verbindungsmann
zur Brücke zugeteilt bekommen. Dieser hielt ständig meine Taste,
das Tagebuch und eine Haufen Zettel fest, während ich bemüht
war, alles mitzuschreiben und jeden Anruf entgegenzunehmen.
Um
19.30 erreichten die ersten Schiffe unsere angegebene Position, da sie
auf ihren Radargeräten nichts entdecken konnten, baten sie mich um
QTG. Mit gutem Erfolg gab ich auf der Frequenz 410 kHz Peilstriche. Jede
Stunde gab mir die Brücke die neue Position mit Kurs und Geschwindigkeit,
die ich sofort an FFU weitergab. Die Küstenfunkstelle wiederholte
die Angaben immer sofort.
Um
19.50 Uhr trafen drei Schiffe in unserer Nähe ein. Wir baten eines
davon bei uns zu bleiben, bis der Schlepper eingetroffen war. Es war der
englische Passagierdampfer „Hardwick Grange“ / GHMU, alle anderen Schiffe
wurden mit Dank entlassen.
Ca.
20.30 Uhr stellte ich die erste UKW-Verbindung mit dem Schlepper her, weiter
unterrichtete ich Brestradio über das langsame Zunehmen der Schlagseite
und über unsere Absicht, die englische Küste ungefähr bei
Start Point zu erreichen. Während dieser Zeit wurden von der Mannschaft
die Bulleye-Blenden vorgelegt, die Eingangsschotten gesichert und
beide Rettungsboote klar zum Ausschwingen gemacht. Jetzt wurde der Funkverkehr
ruhiger, ich rauchte eine Zigarette.
Um
00.40 Uhr erreichte uns der Schlepper. Wir entliessen den englischen Passagierdampfer,
und da die Schlagseite bei 28 Grad nicht mehr zugenommen hatte, hoben wir
unser SOS auf (QUM with caution). Anschliessend arbeitete ich mit dem Schlepper
auf UKW-Kanal sechs. Wir besprachen unsere Absichten und seine geplante
Hilfeleistung, sowie Informationen über unsere Reederei. Wir beabsichtigten,
eine geschützte Bucht an der englischen Küste anzulaufen, um
dort, mit Hilfe der starken Pumpen des Schleppers, die Ladung wieder hinzutrimmen.
Wir fuhren noch mit eigener Kraft und wären am 20. Januar 1966 um
etwa 08 Uhr GMT an der vorgesehenen Stelle angekommen.
Um
02 Uhr erschien es mir, als hätte die Schlagseite wieder zugenommen,
was aber von der Brücke verneint wurde. Das Schiff wurde immer schwerfälliger
und gierte stark. Um 04.12 liess der Kapitän die Maschine stoppen
und beidrehen. Das Schiff legte sich in die günstigste Lage und hatte
nun eine Schlagseite von 35 Grad. Die Mannschaft sammelte sich auf dem
Bootsdeck, fertig zum Aussteigen. Das Fortbewegen an Deck war bei dieser
Schlagseite sehr erschwert, es gab die ersten leichten Rutschunfälle.
Um 04.30 Uhr bat mich der Kapitän auf die Brücke zu kommen und
den weiteren Funkverkehr über UKW von hier aus abzuwickeln. Nun sah
ich zum ersten Mal das Schiff in seiner traurigen Lage. Die gesamte Steuerbordseite
hing bis zu den Lukendeckeln im Wasser, die Brecher erreichten schon das
Bootsdeck. Als erstes bat ich den Schlepper erneut für uns SOS auszustrahlen
und unsere neue Lage mitzuteilen. Der gesamte Funkverkehr mit dem Schlepper
gestaltete sich sehr gut. (Anm. Red.: Auf der „Atlantik“ sind die Funkoffiziere
Jäckel und Winkler, FU 29). In wenigen Minuten war bereits das erste
Schiff, die „Nabstein“ / DDTJ vom Norddeutschen Lloyd, längsseits
und nahm über UKW Verbindung mit uns auf.
MS
"Nabstein / DDTJ des Norddeutschen Lloyd Bauwerft: Atlas Werke
Bremen, in Dienst gestellt: 12.1959, 5347 BRT, 7240 tdw, Länge: 130,6m,
Breite 16,2m, 4000 PS, 14,5 Kn, 1972 nach Liberia verkauft.
Über
Landsendradio / GLD wurde uns Flugzeug- und Hubschrauberunterstützung
zugesichert, was sich später als sehr gut erwies. Ich gab dann die
Anweisung des Kapitäns für die Ausschiffung unserer Besatzung
an die „Atlantik“ weiter. Der Schlepper wollte eine Leinenverbindung herstellen
und dann mit dem Schlauchboot immer je 4 Mann herüberziehen. Als um
06.30 Uhr alles besprochen war, dankte mir der Kapitän für meine
Arbeit und sagte, ich solle mich so schnell wie möglich, auf das Hauptdeck,
BB-Seite, begeben und mit Aussteigen. Der Kapitän, 1. Und 2.Offizier
und ein 3. Ingenieur wollte noch freiwillig länger ausharren.
Die
Schlagseite betrug jetzt 45 Grad, es war schwierig, über die Backbordseite
das Hauptdeck zu erreichen. Bedingt durch hochgehende See und starke Strömungen
gelang es dem Schlepper in den nächsten zwei Stunden nicht, eine Leinenverbindung
herzustellen. Das Hauptdeck auf BB-Seite war durch ausgelaufenes Schweröl
rutschig geworden, es gab zahlreiche leichte Unfälle. Die Schlagseite
nahm ständig zu und es hiess, das Schiff könne jederzeit kentern.
Es
war empfindlich kalt und das wildbewegte Wasser sah nicht einladend aus.
Unsere Boote waren nicht mehr zu benutzen, das Steuerbord-Boot hing bereits
im Wasser und das Backbord-Boot konnte wegen der Schräglage nicht
mehr ins Wasser gefiert werden. Um 07.30 Uhr erschienen der Kapitän
und der 1. Offizier, beide schwer verletzt, auf dem Hauptdeck. Sie erklärten,
wir müssten das Schiff sofort verlassen. Als letzte Rettungsmöglichkeit
blieb uns nur noch die Backbord-Rettungsinsel, die aber nur 25 Mann aufnehmen
konnte.
Mit
grossen Anstrengungen gelang es uns, die Insel über die schräge
Bordwand zu Wasser zu lassen. Über die Lotsenleiter sprang dann einer
nach dem anderen in die Insel hinein. Diese war zu Anfang gleich beschädigt
worden, das Dach war gerissen und stand halb unter Wasser. Die Insel
tanzte auf der bewegten See hin und her, auf und nieder und schlug gegen
den Schiffskörper, wobei sie oft Wasser übernahm. Es war sehr
schwierig und gefahrvoll, zwei verletzte Besatzungsmitglieder mittels eines
Tampens abzufieren.
Als
27 Mann kreuz und quer in der Insel lagen, wurde die Fangleine gekappt
und wir trieben vom Schiff ab. Zurück blieben sieben Mann, die später
von unserer Rettungsinsel abgeholt werden sollten. Wir trieben genau auf
den Schlepper zu und froren und zitterten erbärmlich. Vom Schlepper
wurde uns eine Fangleine zugeworfen, an der wir uns an die Bordwand heranzogen.
Die Besatzung des Schleppers warf Leinen und zog uns an Bord. Nass wie
Katzen, mit Beulen und Hautabschürfungen bedeckt, wurden wir sofort
unter Deck gebracht. Die nassen Sachen, das einzige, was wir von unserer
Habe retten konnten, wurden uns ausgezogen und jeder erhielt eine Wolldecke.
In
der Zwischenzeit waren Flugzeuge und Hubschrauber eingetroffen. Die Flugzeuge
warfen Schlauchbootbomben ab, die aber von den an Bord gebliebenen nicht
erreicht wurden. Darauf liessen zwei Hubschrauber Seilschlingen herab und
zogen Mann für Mann daran hoch. Um 09.15 Uhr GMT, am 20. Januar 1966,
waren alle Mann gerettet und der SOS-Verkehr wurde aufgehoben. Der Kapitän
den Schleppers wollte es nicht riskieren, eine Leine an unserem inzwischen
mit einer Schlagseite von 60 Grad hin- und herrollenden Schiff festzumachen.
Er nahm an, dass die „Kremsertor“ bald sinken würde.
Aber
alle täuschten sich. Noch sieben Stunden dauerte der Todeskampf unseres
braven Schiffes. Um 16.51 GMT versank die „Kremsertor“, drei Stunden von
der rettenden Küste entfernt, für immer in den Fluten des Englischen
Kanals.
Mit
der „Atlantik“ erreichten wir gegen 22 Uhr den britischen Hafen Falmouth.
Nach 36 Stunden ohne Schlaf fiel ich nach einer warmen Mahlzeit in das
Bett in einer für uns reservierten Pension. Am anderen Morgen wurden
wir auf Kosten des englischen Staates sehr grosszügig neu eingekleidet
und erreichten am 21. Januar 1966 gegen 22 Uhr per Flugzeug unseren Heimathafen
Bremen.
Wir
hatten unser Schiff verloren, aber Dank der guten Disziplin der Besatzung
war niemand ernstlich zu Schaden gekommen. Die Lehre aus dieser Katastrophe
ist, dass man bei derartig labilen Ladungen das Einbauen von Längsschotten
zur Pflicht machen sollte.
Der
Seeamtsspruch zum Untergang der „Kremsertor“, über den am 24.
März 1966 vor dem Seeamt in Bremerhaven verhandelt wurde, lautet:
Die
Schiffsführung der „Kremsertor“ (12 889 BRT) hat keine Schuld am Untergang
des Erzfrachters.
Das
Seeamt stellt dazu fest:
Mit
grosser Wahrscheinlichkeit ist der Untergang darauf zurückzuführen,
dass die Eisenkonzentratladung von 17 288 Tonnen mit einem durchschnittlichen
Feuchtigkeitsgehalt von 10,79 Prozent infolge Vibration durch Maschine,
Propeller und Stampfbewegung des Schiffes zunächst im Raum drei breiig
geworden und dann übergegangen ist, wodurch eine Schlagseite entstand,
die zum Übergehen der Ladung in den anderen Räumen und schliesslich
zum Kentern des Schiffes führte. Es kann jedoch nicht mit Sicherheit
ausgeschlossen werden, dass das Breiigwerden der Ladung und die zunehmende
Schlagseite durch Wassereinbruch von aussen erfolgt bzw. begünstigt
worden ist.
Der
Sachverständige, Professor Wendel, von der Technischen Hochschule
Hannover konnte durch Versuche mit Proben des Eisenkonzentrates aus Krivoe
Rog (UdSSR, Ladegut der „Kremsertor“) nachweisen, dass bei einem Feuchtigkeitsgehalt
von ca. 10,8 Prozent die Ladung ohne Wassereintritt von aussen durch Vibration
breiig werden kann.
Die
navigatorischen Massnahmen, die Abgabe von SOS und das Verlassen des Schiffes
waren gerechtfertigt. Mängel in der Bauart und Einrichtung lagen nicht
vor. Das Seeamt gab aber die Empfehlung, künftig im § 160 der
Unfallverhütungsvorschriften die Grenzwerte der Feuchtigkeitsgehalte
von Schiffsladungen unter Berücksichtigung der Herkunftsorte festzulegen,
bei deren Erreichen die Gefahr des Breiigwerdens auftreten kann, und welche
Sicherheitsmassnahmen – Seitzen von Längsschotten – dann getroffen
werden müssten. Die Arbeiten der IMCO auf diesem gebiet sollten dabei
berücksichtigt werden.
Die
„Kremsertor“ hatte am 9. Januar 1966 den Hafen von Noworossisk (Sowjetunion)
zur Reise nach der Weser verlassen. Als das Schiff am 19. Januar um 14
Uhr bei schlechtem Wetter im Kanal unter Landschutz von Quessant kam, stellte
man fünf Grad Steuerbordschlagseite fest und legte das Schiff in den
Wind. Die Kontrolle der Laderäume ergab, dass im Raum drei das Eisenerzkonzentrat
(4 700 t) breiig geworden war. Die Lenzpumpe wurde sofort auf Raum drei
angesetzt und soll nach den Aussagen des 2. Ingenieurs laufend Wasser geworfen
haben. Um 18 Uhr vergrösserte sich die Schlagseite ruckartig auf 25
Grad. Der Kapitän entschloss sich, SOS zu geben. Der in Brest liegende
Schlepper „Atlantik“ lief sofort aus und erreichte die Unfallstelle gegen
24 Uhr. Als die Schlagseite fast 40 Grad betrug, wurde die Maschine gestoppt
und der mitlaufende Schlepper gebeten, die Besatzung zu übernehmen.
Nachdem wasser durch Schornstein und Lüfter eingedrungen war, sackte
die „Kremsertor“, die zuvor noch mit 80 Grad Schlagseite getrieben war,
schliesslich um 17.51 Uhr über das Heck weg.
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