Die
Vorgeschichte:
Am
21. September 1957 befand sich MS „Brandenburg“ / DIMF mittags auf der
Position 32-27 Nord, 46-02 West. Seit 5 Uhr morgens wurde 75 Grad gesteuert,
die Fahrt betrug 13 Knoten. Die Wetterlage wurde durch den Hurrikan „Carry“
gekennzeichnet, dessen Zentrum nördlich vorbei gezogen war.
Der Wind wehte mit Stärke 7 aus NNW, es herrschte hohe durcheinander
laufende Dünung, vorwiegend aus nördlicher Richtung.
Kapitän
Sch. lag seit dem 17. September mit einer Blinddarmentzündung
in seiner Kammer, er litt unter starken Schmerzen. Das Schiff wurde vom
1. Offizier geführt. Er beabsichtigte, Horta auf den Azoren anzulaufen
und Kapitän Sch. dort in ein Krankenhaus zu bringen.
MS
Brandenburg: Bauwerft: Lübecker Maschinenbau Nr. 443,
Stapellauf 8.11.1950, in Dienst gestellt: 10.2.1951, 2695 BRT 4825
tdw L: 110,4 m B: 14,8 m TG: 6,46 m,
4 Luken, 6 Passagiere, 3600 PS, 13,5 Kn, am 12.1.71 im Ärmelkanal
nach Kollision mit einem Wrackteil innerhalb weniger Minuten gesunken.
Die
"Pamir" / DKEF in Seenot:
Gegen
17:00 UTC empfing Funkoffizier Kr. auf 500 Khz einen vom norwegischen Tanker
„Tank Duke“ / LALY wiederholten SOS-Ruf der „Pamir“
/ DKEF. Nach den Eintragungen im Funktagebuch wurden ausser dem Rufzeichen
der „Pamir“ und dem Notzeichen nur die Position 25-57 Nord, 40-20 West
empfangen. Laut Funktagebuch wurde „Tank Duke“ von der „Brandenburg“ angerufen.
Als Antwort ist „Danke, nichts“ vermerkt. Später wurde durch die OPD
Hamburg ermittelt, dass die „Brandenburg“ sehr wohl weiteren Funkverkehr
mit „Tank Duke“ hatte. Auf dem deutschen Schiff „Kurt Bastian“ ist folgender
Funkverkehr im Tagebuch nachzulesen:
18:37
UTC: LALY de DIMF: QTH 32-27 N 46-02 W bnd Antwerpen.
18:38
UTC: DIMF de LALY: QSL, „Penn Trader“ / 5LLA hat die Leitung Seenotverkehrs
übernommen. Sie können Ihre Reise fortsetzen, danke.
Der
Funkoffizier teilte dem 2. Offizier K. gegen 16 Uhr gesprächsweise
mit,
dass die „Pamir“ SOS gegeben habe. Dieser überprüfte das Rufzeichen
und gab dem Funkoffizier die eigene Position. Auch er informierte die Schiffsleitung
nicht. Der Matrose Gr. hatte – am Ruder stehend – die Unterhaltung mitgehört
und berichtete später davon in der Mannschaftsmesse wo der Fall mit
starker Anteilnahme diskutiert wurde. Der 1. Offizier hörte am nächsten
Tag, wie sich zwei Besatzungsmitglieder über einen SOS-Ruf der „Pamir“
unterhielten und frage beim Funkoffizier nach. Er bekam jedoch die Antwort,
dass kein SOS-Ruf aufgenommen worden sei. Erst am nächsten Tag (23.9.)
erfuhr die Schiffsleitung aus den Nachrichten der „Deutsche Welle“ von
der Katastrophe, die sich in ihrer Nähe abspielte.
Nach
Abwägung aller Umstände (Erkrankung des Kapitäns, Penicillin-Vorrat
an Bord verbraucht, Abstand zum Seenotfall) wurde beschlossen, dass
die „Brandenburg“ ihre Reise nach Horta fortsetzen werde. Auch, nachdem
am 23. September abends ein Telegramm des VDR aufgenommen wurde, in dem
darum gebeten wird, in den nächsten Tagen die Kurse möglichst
durch das Unfallgebiet der „Pamir“ abzusetzen. Das Schiff erreichte Horta
am 24.9.1957 um 10:40 Uhr. Kapitän Sch. wurde in ein Krankenhaus überführt
und noch am gleichen Tag einer Blinddarmoperation unterzogen.
Auffällig
in den auf der „Brandenburg“ aufgenommenen Meldungen ist ein gleichlautender
Hör-/Schreib-Fehler (?). Sowohl in der von „Tank Duke“ / LALY als
auch in der von DAN aufgenommen Meldung des VDR ist eine falsche Breite
für den Seenotfall angegeben. Statt 32-57 Nord wurde in beiden Fällen
25-57 Nord geschrieben.
Funkoffizier
Kr. und 2. Offizier K. musterten in Hamburg von der „Brandenburg“ ab.
Erklärungsversuche:
Kapitän
Sch. hatte bereits am 10. September 1957 in einem Schreiben an die
Reederei die Ablösung des Funkoffiziers erbeten, weil er mit dessen
Leistung nicht zufrieden sei. Er beklagte, dass Wetterberichte und Schiffspresse
nur unvollkommen aufgenommen worden wären und eine Anzahl von Telegrammen
den Empfänger nicht erreicht hätten.
Funkoffizier
Kr. führt in einem Brief an die OPD Hamburg als Erklärung für
sein Verhalten an:
Erste
Reise als Funkoffizier
Überlastung
durch Verwaltungsarbeit
Schlechtes
Verhältnis zum Kapitän
Vom
Kapitän verlangter Funkbetrieb über „das Normale hinaus“
Gesundheitliche
Probleme
Teilweise
defekter Hauptempfänger
Der
2. Offizier K. erklärte bei einer Vernehmung durch die deutsche Botschaft
in Montevideo:
Er
habe nur „gesprächsweise“ vom Seenotfall „Pamir“ erfahren.
Er
habe angenommen, der Funkoffizier werde Meldung beim Kapitän machen.
Er
habe ein „Äusserst gespanntes Verhältnis“ zum Kapitän gehabt.
Das
Seeamt
Die
Vorgänge auf MS „Brandenburg“ im Zusammenhang mit dem Untergang der
„Pamir“ brachten in Deutschland sich widersprechende Gerüchte und
kontroverse Diskussionen in Bewegung. Sie gipfelten im Vorwurf der „Unterlassenen
Hilfeleistung in einem Seenotfall“. Das Seeamt Hamburg tagte am 10. März
1958 in öffentlicher Sitzung, um das Verhalten der „Brandenburg“ zu
untersuchen.
Im
Spruch des Seeamtes wird festgestellt, dass gegen die Schiffsführung
der „Brandenburg“ keine Vorwürfe zu erheben sind. Die „Brandenburg“
war dem Unfallort der „Pamir“ nicht so nahe, dass sie in erfolgversprechender
Weise hätte Beistand leisten können.
Im
Einzelnen:
1.)
Am 21. und 22.9.57 konnte die Schiffsführung schon deshalb nichts
unternehmen, weil sie von dem Seenotfall der „Pamir“ keine Kenntnis erhalten
hatte. Als sie mit 40stündiger Verspätung Kenntnis erhielt, war
eine Hilfeleistung kaum noch sinnvoll. Von der im Funktagebuch vermerkten
(falschen !) Seenotposition war das Schiff bereits über 500 sm entfernt.
2.)
Beim Eintreffen des Telegramms vom VDR habe sich die Entfernung zur vom
Funkoffizier aufgenommenen (falschen!) Position bereits auf mehr als 600
sm vergrössert. Daher sei das einzig Richtige gewesen, die Reise nach
Horta fortzusetzen um dort den schwerkranken Kapitän in ärztliche
Behandlung zu bringen.
3.)
Ein Verstoss gegen die Beistandspflicht könne selbst dann nicht vorgeworfen
werden, wenn der SOS-Ruf der „Pamir“ sofort gemeldet worden wäre.
Nach dem Funkspruch von „Tank Duke“ / LALY „you can proceed“ sei die Pflicht
zur Hilfeleistung (gem. Schiffsicherheits-Vertrag) entfallen.
4.)
Die Gesamtlage am 21.9.1957 nachmittags rechtfertigte die Fortsetzung der
Reise durch MS „Brandenburg“
Das
Verhalten sowohl des Funkoffiziers als auch des wachhabenden Offiziers
ist auf das schärfste zu tadeln. Das Untersuchungsergebnis gestattet
und erfordert, eine solche Rüge auszusprechen, obgleich die Betroffenen
nicht persönlich gehört werden konnten. Der Schiffsbetrieb auf
der „Brandenburg“ war insofern nicht in Ordnung, nur kann die Schiffsführung
für diese Versager nicht verantwortlich gemacht werden.
Funkoffizier
Kr. hat in unverantwortlicher Weise gegen wichtige Dienstvorschriften verstossen.
Er hätte den SOS-Ruf unverzüglich der Schiffsleitung melden müssen,
ohne Rücksicht darauf, ob eine Hilfeleistung in Frage kam oder nicht.
Hinsichtlich dieser Unterlassung kann er sich weder mit Arbeitsüberlastung
noch mit technischen Störungen des Empfängers entschuldigen.
Sein Verhalten war auch nicht durch den Funkspruch von „Tank Duke“ / LALY
„you can proceed“ gerechtfertigt. Im übrigen konnte „Tank Duke“ die
„Brandenburg“ allenfalls von der Beistandspflicht, nicht aber von der Fortsetzung
des Funk-Notverkehrs entbinden.
Bemerkenswert
ist, dass sowohl der Funkoffizier als auch der 2. Offizier ihre Pflichtvergessenheit
mit ihrem gespannten Verhältnis zum Kapitän zu erklären
versucht haben. Dadurch wird deutlich, wie wichtig ein gutes Einvernehmen
unter den Offizieren ist.
Abschliessend
bleibt nur festzustellen, dass die Handlungsweise des Funkoffiziers und
des 2. Offiziers aus den unter Ziffer 4 dargelegten Gründen wenigstens
keine unmittelbaren Nachteile für die „Pamir“ /
DKEF zur Folge haben konnte.
Anlage:
Schiffe
in einer Entfernung von weniger als 400 sm vom Unfallort der „Pamir“ 35-57
N, 40-20 W am, 21.9.57 nachmittags:
QRY
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
13.
14.
15.
16.
17.
18.
19.
20.
21.
22.
23.
24.
25.
26.
27.
28.
29.
30.
31.
32.
33. |
QRA
Penn
Trader
Vestanvik
Marco
President
Taylor
Chun
An
Jaguar
Tank
Duke
S.
Silvestre
Olympic
Cloud
Crsader
Sevane
Volando
World
Liberty
Scherzo
Innstein
Chepachet
Tacoma
Star
Andrea
Pacific
Express
Crystal
Bell
Skagern
British
Flag
Farmsum
Brandenburg
Nordsee
Blue
Star
Campania
Absecon
Trajan
Anita
Jacinto
Vedaguer
August
Thyssen
Hauraki |
c/s
5LLA
SJMA
IBMY
KFEX
BMDW
LHNS
LALY
GBZB
ELIQ
CGJG
FPOS
ELEU
ELAT
5LAG
DEAE
NJVK
GCXK
DIDM
LLID
GNTF
SFGN
GPKJ
PEBE
DIMF
DEAU
HPIE
ICNV
NBNP
LAYD
DHQY
EAOW
DILR
GJLV |
UTC
13:00
18:20
13:00
14:00
15:00
18:00
14:20
18:30
17:00
18:15
17:00
18:00
15:00
18:00
12:00
17:50
12:00
11:00
14:00
15:00
19:00
17:00
14:45
12:00
12:00
17:30
15:15
15:00
17:00
18:00
22:00
20:00
17:00 |
QTH
36-20N
38-55W
24-20N
39-30W
34-24N
38-30W
37-39N
41-36W
36-48N
43-27W
38-20N
41-50W
32-40N
39-40W
38-08N
45-53W
35-29N
44-49W
39-24N
41-12W
32-47N
37-28W
39-15N
38-00W
32-57N
37-31W
35-00N
35-01W
33-42N
35-27W
36-40N
34-10W
31-42N
39-18W
36-18N
34-30W
30-56N
37-20W
39-42N
44-37W
...
...
40-44N
43-02W
32-27N
46-02W
40-21N
36-43W
41-10N
38-15W
40-15N
45-24W
35-00N
48-00W
39-00N
47-00W
34-24N
46-48W
41-23N
46-00W
43-05N
41-36W
32-13N
49-12W |
QRB
70
sm
100
sm
110
sm
119
sm
150
sm
160
sm
170
sm
180
sm
180
sm
210
sm
220
sm
230
sm
230
sm
240
sm
240
sm
260
sm
260
sm
270
sm
270
sm
300
sm
300
sm
300
sm
315
sm
320
sm
320
sm
320
sm
340
sm
350
sm
350
sm
360
sm
380
sm
390
sm
400
sm |
Zum
hier geschilderten Vorfall lesen Sie bitte auch "Seefunk
- sozial" von Robert R. Kühn
¹Quelle: Protokoll des Seeamtes
Hamburg
|