Black Frost: Teuflisches Eis an Bord
Fischdampfer "ALEMANNIA" entging knapp einer Katastrophe
Bericht von © 1992;  Hans Wölbing

Vor Jahrzehnten gab es noch eine ansehnliche und moderne Hochsee-Fischereiflotte. Deutsche Fischereifahrzeuge waren vom Englischen Kanal bis Spitzbegen, von Neufundland bis zur Barentssee zu finden. Hemmnisse durch erweiterte Hoheitszonen oder Fangquoten kannte man noch nicht. Es zählten nur die Menge der gefangenen Fische und der damit verbundene Auktionserlös an einem der Fischmärkte. Ich fuhr damals als Funker auf der ALEMANNIA, einem  ölbefeuerten Fischdampfer von 649 BRT und fast 5000 Ztr. Laderaumkapazität. An der Spitze der 36 Mann Besatzung stand Kapitän Karl Schumacher. Am 29. März 1957 befanden wir uns seit zwei Tagen ganz allein östlich von Angmagssalik (Ostgrönland) und fischten hart an einer  nördlich von uns gelegenen Packeisgrenze. Es wehte ein eisiger Nordsturm, der uns mit Stärke 9 direkt vom Packeis her mit arktischem Seerauch, Nebelfetzen und Nieselregen um die Ohren blies. 
FD "Alemannia"/DFAW  1957
Der Autor  in der Funkstation.Zu erkennen sind folgende Geräte:
Oben links: HAGENUK KW-Sender KS-300
Rechts daneben: Modulator M-300
Links darunter:GW-Sender GS-100
Hinter dem Kopf des Autors: Netzteil N-351/1
Darunter: Netzteil N-351/2
Rechts oben: Sichtfunkpeiler der Fa.Plath
Der Seegang war dabei, bedingt durch die unmittelbare Nähe des Eises, so niedrig, daß wir trotz des Sturmes noch fischen konnten. Ansonsten ist das bei dieser Windstärke mit entsprechendem Seegang meist nicht mehr möglich. Die Fischdampfer waren damals noch durchweg Seitenfänger, die beim Netzeinholen quer zur See lagen. Die dadurch oftmals überkommenden Brecher haben vielen Seeleuten zu unfreiwilligen Bädern verholfen, wobei leider auch mancher gute Mann für immer über Bord gewaschen wurde. Auch für unsere Matrosen auf der ALEMANNIA war die Arbeit an Deck an diesem Tag alles andere als ein Vergnügen. Peitschte ihnen doch  dieses naß-eisige Gemisch mit Sturmstärke in ihre Gesichter. Alle waren aber schon lange an  Bord, Kummer gewöhnt und hart im Nehmen.
Foto rechts:
Die Funkstation der "Alemannia"/DFAW aus einer anderen Pespektive. 
Links oben, neben dem Autor mit seiner  Tochter,
steht ein Empfänger HAGENUK E-75
FD "Karlsruhe"
Von überkommender Gischt total vereist.
Mir erging es da schon besser, saß ich doch hoch und trocken vor  meinen Geräten im Funkraum und hörte mir das Gezeter aus den Lautsprechern von drei Empfängern an, welches den Funkverkehr ausmacht. Es war nicht unbedingt gemütlich, die Tür zur Brücke stand - wie gewöhnlich - offen, aber das war ich gewohnt. Dann stieg plötzlich ein Unbehagen in mir auf, als die Lautstärke des Funkverkehrs immer geringer wurde, und schließlich garnichts mehr zu hören war. Die Überprüfung der Empfänger und Sender ergaben keine Störung, sodaß es nur noch an den Antennen liegen konnte. Also begab ich mich die Schritte nach vorn zur Brücke, um nachzusehen, was da los war. Dabei wurde mir zum ersten Mal bewußt, wie schwammig das Schlingern des Schiffes geworden war. Kapitän Schumacher hatte übrigens inzwischen das Hieven (Einholen) des Fanggeschirrs veranlaßt und war, wie immer in dieser Situation, allein auf der Brücke. Er machte mich auch gleich auf das aufmerksam, was ich im selben Augenblick selber sah. 

Die ganze Takelage des Vormastes bis hoch zum Flaggenknopf,  alle Aufbauten, praktisch das ganz Schiff war von einer durchsichtigen glasurähnlichen Eisschicht bedeckt bzw. umgeben. Meine von Mast zu Mast, über Rahen laufende Antennen aus sehr dicken Kupferlitzen, die jedem Orkan  standhalten, hingen als armdicke Eiswürste gebrochen herab. Dem Gewicht des anhaftenden Eises waren sie nicht mehr gewachsen gewesen.
So eine Art der Vereisung hatten wir beide noch nicht erlebt. Trotzdem wußten wir, um was es sich handelte. Die englischen Fischerleute nennen es "Black Frost". Die andere Art von Vereisung, die durch überkommendes Seewasser, Gischt und Brecher zustande kommt, wird "White Frost" genannt und läßt sich abschlagen.  Hier in unserem Fall gefror ganz einfach das durch die Gegend stürmende Gemisch aus Seerauch, Nebel und Nieselregen an allem, was Schiff war.

Kapitän Schumacher, der die Gefahr, die auf uns zukam, rechtzeitig erkannt hatte, ließ das Fanggeschirr schon vor Ende der eigentlichen Schleppzeit einholen, um voll manövrierfähig zu werden. Denn das war uns ohne viele Worte klar: Wenn die Vereisung unseres Schiffes so weiterging, mußte die durch die viele Tonnen schwere Eislast hervorgerufene Topplastigkeit auf Dauer unweigerlich zum Kentern der ALEMANNIA  führen. Ein Überleben  würde es für uns dann nicht geben. Es war uns auch noch zu gut das Schicksal der beiden englischen Fischdampfer LORELLA und RODERIGO in Erinnerung, die am 28. Januar 1955 durch Vereisung im Froststurm nördlich von Island mit ihren gesamten Besatzungen untergegangen waren.Noch hielt sich das starke Überholen des Schiffes, bedingt durch das Hieven der kilometerlangen Kurrleinen in erträglichen Grenzen. Nachdem die Scherbretter vorgehievt und abgefangen waren, wurde das Schiff mit dem Heck in den Wind gedreht, damit der Dampfer beim Netzeinholen keine Dummheiten machte.
Als erste Maßnahme gegen die drohende Kentergefahr sollte das Schiff nun in eines der vielen Treibeisfelder gebracht werden, denn in so einem Eisfeld darf man eine ruhigere See erwarten. Normalerweise wird den Eisfeldern natürlich aus dem Weg gegangen, da sie die Gefahr einer Leckage oder Beschädigung der Schiffsschraube mit sich bringen. Aber die Aussicht zu kentern war für uns jetzt wesentlich unangenehmer. So klemmte ich mich hinter das Radargerät um die Umgebung zu erkunden. Die Vereisung des Scanners wirkte sich auch auf die Anzeige auf dem Bildschirm aus, uns so konnte ich mehr ahnend als sehend, die Konturen eines Eisfeldes ausmachen. 
Nachdem das Fanggeschirr an Deck war, wurde der Kurs in diese Richtung abgesetzt.  Inzwischen waren auch der 1. Steuermann und ein Rudergänger auf die Brücke gekommen und berichteten über die Unmöglichkeit, das Eis abzuschlagen. Es war eisenhart und stellenweise bis zu 10 cm dick. Die einzige Rettung konnte für uns nur darin bestehen, so schnell wie möglich in wärmere Gefilde zu kommen. 
Die Decksleute wurden unter Deck geschickt und verschwanden in ihren warmen Unterkünften. Wir dampften nun schräg vor dem Wind laufend nach Südosten auf das Eisfeld zu. Im stillen hofften wir, daß die Vereisung endlich nachlassen oder ganz aufhören würde. Denn die Topplastigkeit wirkte sich manchmal bereits so schlimm aus, daß der Dampfer mit einer Krängung von fast 30 Grad "hängen blieb". Nur mit Ruder- und Maschinenmanövern gelang es dem Kapitän immer wieder, das Schiff- wenn auch widerwillig - auf die Beine, d.h. - auf ebenen Kiel zu bekommen.
Diese kurze Fahrt bis zum Eisfeld setzte uns am meisten zu. Trotzdem verlief auf der Brücke alles ohne Dramatik. Es wurde kein überflüssiges Wort gesprochen. Der sonst üblich lockere Umgangston war allerdings einem stillen Ernst gewichen. Die Spannung löste sich etwas, als wir das scharrende Spektakel der an unseren Bordwänden entlangschlurrenden Eisschollen vernahmen.  Es klang wie Musik 
Eis an der Labradorküste
(Foto: Hans Wölbing)
in unseren Ohren. Denn wie erwartet, ließ die Kenterneigung des Schiffes in dem ruhigerem Wasser nach. Wir hatten wohl noch etwas Schlagseite nach Lee, aber wahrscheinlich nur noch durch den Druck des andauernden Nordsturmes. 
Zudem hatte sich die Vereisung, ohne daß wir es zunächst wahrnahmen, nicht fortgesetzt. Nach einigen Stunden, das Eisfeld hatten wir in östlicher Richtung durchfahren, trafen wir auf eine Reihe fischender Fahrzeuge. Von Vereisung weit und breit keine Spur. So schnell wie sich unser Eispanzer aufgebaut hatte, so schnell taute er auch wieder ab, und der Spuk war vorbei. Außer meinen abgerissenen Antennen, die ich nun wieder flicken und aufbringen konnte, waren keine weiteren Schäden aufgetreten. Die Fischerei ging, als sei nichts gewesen, auf dem neuen Fangplatz weiter. Dort waren die Fänge zwar nicht so ergiebig wie da, woher wir kamen, aber es war weniger gefährlich. Dem seemännischem Geschick von Kapitän Schumacher, und einem bißchen Glück ist es wohl zuzuschreiben, daß wir unbeschadet und lebend aus diesem Dilemma  herausgekommen sind. Denn es ist sicher, daß uns niemand hätte helfen können, wenn wir gekentert und als Folge gesunken wären.
Aufgrund dieser Geschichte habe ich vorgeschlagen, statt Draht-,  nach Möglichkeit Peitschenantennen zu verwenden, fand aber, aus  welchen Gründen auch immer, damals kein Gehör.

Zur Seefunk-Homepage
Version 20-oct-99 / Rev.: 13-Jun-11 / HBu