Am Tage des Auslaufens findet man den „Drahtlosen“ schon sehr früh in seiner Station. Lange bevor die Passagiere an Bord kommen, um ihre Luxuskabinen zu suchen, ist der Funkraum ein Ort großer Aktivität. Die Geräte sind sorgfältig überholt, Ersatzteile sind vorhanden und eine Anzahl Testsendungen durchgeführt.
Das Schiff hält jetzt mehrere Stunden seine Verbindung zur Küste über die Funkstelle „Sea Gate“, sogar, nachdem es diese weit hinter sich gelassen hat. Fährt ein Schiff in Richtung Süden an der Küste entlang, wird eine förmliche Meldung zuerst vom Feuerschiff „Ambrose“, später vom Feuerschiff „Scotland“ abgesetzt. Die Transatlantikschiffe jedoch stimmen sorgfältig ihre Sender auf die hohen Masten von „Sea Gate“ ab, bis sie diese nach 90 Meilen wieder verlassen. Ungefähr zu dieser Zeit fügen sie einem Telegramm ein „Good Bye“ hinzu und stimmen Ihre Sender auf die nächste Funkstelle „Sagaponack“/MSK auf Long Island ab. Während der langen Fahrt entlang der amerikanischen Küste halten sie die Verbindung zur Landfunkstelle solange aufrecht, bis sie ohne Schwierigkeiten die nächste Funkstelle erreichen können. Hier draußen auf dem Atlantik, weit außerhalb der Sichtweite zum Land, wird die Funkstation weitaus interessanter als zum Beispiel im Hafen oder an der Pier. Eine Küstenfunkstelle ist ein wunderbares Spielzeug, auf See jedoch ist dieses unsichtbare Verbindungsglied mehr oder weniger nur in unserem Gedächtnis. Die Tür der Funkbude scheint eine Brücke über die See zu öffnen. Die Funkstation hat die Faszination eines Zeitungsstandes, seit uns die Nachrichten über diesen Weg erreichen. Es ist ein ganz großes Privileg, wenn man während einer Atlantiküberquerung einmal in der Funkkabine mithören darf. Zeigt der Besucher jedoch kein großes Interesse bei dieser Angelegenheit, so wird sein Besuch nur ein paar Minuten dauern. Ist ein Platz für ihn in einer Ecke der Station gefunden worden, und der Empfänger erreicht sein Ohr, wird er verblüfft sein, wie sehr der Telegraphist beschäftigt ist. Der Himmel über dem New Yorker Hafen ist mehr von drahtlosen Mitteilungen übersät, als die Meere mit Schiffen. Er liegt im Bereich vieler öffentlicher Stationen und hunderter von Amateurfunkstellen. Lange nachdem die Küste entschwunden ist, geht das unaufhörliche Schwatzen weiter. Bevor eine Stunde vergangen ist, kann der Besucher jedoch zwischen dem schwachen Weit- und dem lauten Nahverkehr unterscheiden. Mit ein wenig mehr Praxis müßte es möglich sein, das Tasten einiger Funker zu erkennen. Einige Stunden nachdem das Schiff Sandy Hook passiert hat, oder ungefähr nach 90 Meilen Fahrt, verabschiedet sich der Funker von der Station „Sea Gate“ und versucht die nächsten Stationen „Sagaponack“/MSK oder „Siaconset“/MSC zu erreichen. War das Ohr des Besuchers empfindlich genug, hat es vielleicht vorher den Ruf „Nantuckets“ gehört. Für wenige Minuten war jede Sendung und jeder Empfang gestoppt, während das Schiff wieder und wieder seinen Namen hinaus rief. Schnell erwidert der Drahtlose den Ruf der „Nantucket“/NLA und erklärte seinem Besucher, daß er die Sendung des Telegraphisten unter Tausenden heraushören würde. „Es ist leichter einen Telegraphisten an seiner Gebeweise zu erkennen, als die Stimme eines Familienmitgliedes aus einer Menschenmenge herauszuhören, fährt er fort. Sie hören sich vielleicht so an wie du selbst, aber du wirst schnell die Geschwindigkeit erkennen und die Berührung seiner Taste, ob sie leicht, fest oder zögernd ist. Außerdem hat jeder Funker seinen eigenen kleinen Trick, schließlich gibt es große Unterschiede in den Geräten selbst. Damit fährt er mit der Arbeit des Sendens und Empfangens fort. Es war die „Nantucket“-Funkstation erklärt er weiter, die als erste Station den CQD-Ruf der „Republic“/MKC hörte, und aufgrund ihrer schnellen Reaktion mit der sie die Rettungsschiffe alarmierte, konnten diese alle Personen an Bord retten. Die Hauptaufgabe eines Telegraphisten ist es, mit Erwartung und Begeisterung zu hören. Ein unaufhörliches Schnattern des Küstenfunks erreicht das Schiff, aber ihr Schiff, werden sie merken, hat keine Zeit für nutzloses Schwatzen. Kommt ein leiser Ruf aus dem Atlantik herein, ist jeder Nerv angespannt, ihn zu empfangen. Von nun an wird er alle Nachrichten der ankommenden Schiffe mithören und ihre Meldungen sind tatsächlich von größter Wichtigkeit. Ist ein Dampfer weit draußen auf dem Atlantik und damit außerhalb der direkten Kommunikation mit den Stationen um New York, ist es für ihn billiger, seine Telegramme von Schiff zu Schiff zu senden, oder zu versuchen, sie an die weit im Norden liegenden Stationen zu senden, die sie dann über Kabel nach New York schicken. Mit anderen Worten, die Dampfer auf den Schiffahrtsstraßen werden als Sprungbrett in der Kommunikation mit New York und umgekehrt benutzt. In dieser Zeit muß er ebenfalls auf die Nachrichten der Schiffe auf den „Bänken“ hören, wie die Region entlang der Küste Neufundlands genannt wird. Diese Mitteilungen sind von größter Wichtigkeit und müssen sofort zum Kapitän gebracht werden, der daraufhin seine Pläne abstellt. Die heimkehrenden Schiffe teilen das Wetter, die Anwesenheit von Nebel und Eisbergen, sowie deren genaue Position mit. Nachrichten dieser Art haben Vorrang vor allem anderen Verkehr und die Sender und Empfänger sind so abgestimmt, diese Berichte zu empfangen, egal ob es reguläre Meldungen sind oder nicht. Der Telegraphist arbeitet auf freundlichste Art mit allen anderen Funkstationen zusammen. Er wechselt ständig zwischen Schiffen und Landstationen. In der Gruppe der Funker scheint die Welt sehr klein zu sein. Die Männer werden sich wahrscheinlich auf Jahre nicht treffen, jedoch wird diese Freundschaft jetzt über Tausende von Meilen durch eine konstante Kommunikation aufrechterhalten. Gerät „Siaconset“ außer Reichweite, stimmt er seine Geräte auf die einsame Station auf Cape Sable/MSB, an der düsteren Küste von Nova Scotia ab. Das Schiff ist zwischenzeitlich ohne Unterbrechung zwei Tage lang über den weglosen Atlantik gefahren, aber immer noch in unmittelbarer Verbindung zum letzten Hafen. Der Funker findet Zeit um ein oder zwei freundliche Worte mit den einsamen Hörern in dieser nördlichen Region zu wechseln. Der „Wirelessman“ auf einem Entgegenkommer erklärte, daß auf seinem westlichen Weg einige Tage vorher „Cape Sable“ für mehr als eine halbe Stunde außer Betrieb war. Es gab dort einen Ausfall der Maschine und in dieser einsamen Lage mußte der Funker dort die Reparatur selbst durchführen. Unser Funker verstand alles genau, aber er fand Zeit, seinen Kollegen auf Cape Sabel zu fragen, ob die Fischerei gut war und empfing sofort eine entrüstete Antwort. Nachdem „Cape Sable“ hinter uns liegt, sendet das Schiff seine Telegramme weiterhin über die Funkstation auf „Sable Island“/MSJ. Unser Schiff befindet sich jetzt weit im Norden, die Funkstellen in dieser Region liegen in ständigem Schnee. Wenn Sie an einem heißen Sommertag aus New York auslaufen, erklärt der Funker dem Besucher, wird es Ihnen schwerfallen, sich vorzustellen, daß der Mann, der gerade mit Ihnen spricht, vielleicht eingepackt in schwere Winterkleidung, auf ein Eisfeld hinaus schaut. Es ist ungewöhnlich, gleichzeitig Telegramme aus den Tropen und aus dem nördlichen Polarkreis zu empfangen. Wenn der Telegraphist es tun möchte, kann er seinen Sender so abstimmen, daß er die vereinzelt an der Küste von Labrador liegenden Funkstellen rufen kann. Diese Stationen werden normalerweise nicht von den Transatlantiklinern benutzt, sie arbeiten mehr mit Expeditionsschiffen, die in diesen Gewässern operieren. Unser Schiff nähert sich jetzt dem nördlichsten Punkt Nordamerikas und nimmt Verbindung mit der letzten Funkstelle „Cape Race“/MCE auf. Noch einmal werden eine Menge Telegramme empfangen und gesendet. „Cape Race“ ist kein Posten, der heiß begehrt ist. Es ist einer der isoliertesten Posten auf der Welt und vielleicht während des größten Teils des Jahres der kälteste. Funker, die hier stationiert sind, kennen keinen Sonnenschein und gehen ununterbrochen über Eisfelder. In ihrer Freizeit finden sie einen Ausgleich in der Jagd im nördlichsten Wildreservat. Einer der hier arbeitenden Funker brach die Monotonie seines Lebens, indem er mit den Schiffsfunkern Wetten auf die Baseballspiele abschloß, die ihm Spiel für Spiel durchgegeben wurden. Seitdem das Schiff New York verlassen hat, wird täglich die Bordzeitung empfangen, genau wie zu Hause. Die Nachrichten werden gesendet von einer Station auf Cape Cod. Es sind Neuigkeiten aus aller Welt und sie enthalten die Börsenberichte. Sie sind allerdings beschränkt auf 500 Wörter und werden jeden Abend um 22.00 Uhr, bis zu 1800 Meilen in alle Richtungen über den Atlantik gesendet, so daß jedes Schiff zwischen Amerika und dem mittleren Atlantik sie empfangen kann. Ist die Aussendung beendet, folgt eine Pause von 15 Minuten bevor sie bis ca. 03.00 Uhr wiederholt wird. Die Funker können diese Meldungen daher zur für sie günstigsten Zeit aufnehmen, wenn sie nicht mit anderem Verkehr beschäftigt sind. Wenn die Sendungen von „Cape Race“ leiser werden, oder sogar ganz aufgehört haben, ist auch die direkte Kommunikation des Schiffes mit der Küste beendet. Inzwischen hat es ein Drittel seines Weges auf dem Atlantik zurückgelegt, und ist auf seiner Überquerung außerhalb der Reichweite zur Küste gekommen. Da die Schiffahrtswege des Atlantiks jedoch mit großen Schiffen besetzt sind, können Telegramme jetzt von Schiff zu Schiff gesendet werden, so daß sie in relativ kurzer Zeit die Küstenfunkstelle erreichen. Bis zur Mitte des Atlantiks, also für weitere 1000 Meilen erreicht uns noch die Presse. Jeden Abend um 22.00 Uhr stimmt der Funker seinen Empfänger auf „Cape Cod“/MCC ab und schreibt die neuesten Nachrichten mit, nun schon seit mehr als 1000 Meilen. Das Schiff hat nun auf seinem Kurs einen beträchtlichen Teil des Erdumpfangs zurückgelegt, und die Uhr ist bereits mehrere Male zurückgestellt worden. Die Zeitungsmeldungen, die um 22.00 Uhr abends gesendet werden, erreichen uns jetzt am Abend, kurz bevor es Dunkel wird. Nachdem die Hälfte des Ozeans überquert ist, und auch die Sendungen von „Cape Cod“ nicht mehr empfangen werden können, empfängt der Funker seine erste Nachricht aus Europa, hinausgetastet von „Poldhu“/MPD, der stärksten Funkstelle an der Küste von Cornwall. Es gibt kein Gebiet auf dem weiten Atlantik, das so weit entfernt ist, daß wir nicht eine dieser Stationen hören können. „Poldhu“ sendet die Pressemeldungen ebenfalls mit 500 Wörtern, genauso wie „Cape Cod“ und beginnt seine Aussendung um 02.00 Uhr morgens. Die Wiederholung in genauem Zeitabstand dauert bis drei Uhr. So ist die Zeitung, die wir morgens zum Frühstück vorfinden genau so aktuell wie jene, die wir zu Hause lesen. In der Mitte des Atlantiks hat der Funker eine kleine Ruhepause, ansonsten aber gibt es kaum eine Stunde, in der er nicht mit anderen Schiffen in Verbindung steht. Auf der Überfahrt eines großen Passagierschiffes werden ungefähr fünf bis sechshundert Telegramme empfangen und gesendet. Kommt ein Schiff in Reichweite, wird dieses im Hauptniedergang, im Rauchsalon, und anderswo angekündigt. Sollte jemand die Absicht haben ein Telegramm an eines dieser Schiff zu senden, so wird er gebeten, dieses in der nächsten Stunde aufzugeben, da es sonst außer Reichweite gerät. Es gibt eine Menge Passagiere, die Freunde auf anderen Schiffen haben und glücklich sind, wenn sie mit ihnen Telegramme austauschen können. Das erste Telegramm von Land wird über die Küstenfunkstelle „Crookhaven“ an der irischen Küste empfangen. Die Küste selbst ist noch lange nicht in Sicht, da beginnen die Passagiere bereits mit den Vorbereitungen ihres Landgangs. Es gibt vorbereitete Telegramme für beide Seiten des Atlantiks, sie kündigen eine sichere Ankunft an und unter Zuhilfenahme des Funks fühlt sich jeder so sicher wie an Land. Grüße werden ausgetauscht, Besuche vorbereitet und Landgänge arrangiert. Kommt die Station „Crookhaven“ außer Reichweite, wird als nächste Station „Rosslare“/GRL bei Queenstown, danach „Seaforth“/GLV bei Liverpool gerufen. Für andere Schiffe sind es „Lizard“/GLD, „Bolt Head“/GBA, „Niton“/GNI und „Cherbourg“/TCF mit denen in schnellem Wechsel gearbeitet wird. Auszug
aus dem Funktagebuch:
Das Schiff, dessen Atlanticüberquerung hier beschrieben wurde, war die „Cedric“/MDC der White Star Line. Am 2. Oktober hatte die „Cedric“ gleichzeitig Verbindung mit den Stationen, „Cape Race“ und „Seaforth“, die Zeichen von beiden Stationen waren sehr gut, die Entfernung zwischen „Cape Race“ und „Seaforth“ betrug 2190 Meilen.
Die Funkstelle „Seaforth“ bei Liverpool, von der hier berichtet wird, war die spätere Küstenfunkstelle „Anglesey Radio“/GLV, die am 19.12.1986 geschlossen wurde. |